Donnerstag, 19. März 2020

Brief 618 vom 23.2.1945


 SCHILDERUNG DER ABSETZUNG AUS DEM KESSEL AUS OSTPREUßEN   PILLAU

Mein liebes Mädel !                                                                                          Leipzig, 23.2.45

Nun bin ich doch in Leipzig gelandet. Die Verspätung hat gut 20 Stunden betragen und es war wieder ein Durchmogeln von Station zu Station. Die erste Etappe bis nach Stuttgart nahm 12 Stunden in Anspruch, die nächste bis Würzburg genau soviel. Die Weiterreise über Bamberg, Probstzella, Saalfeld nahm dann verhältnismäßig nicht so lange Zeit in Anspruch. Hier traf ich gestern Abend gegen 10 Uhr ein. Ich habe gleich Erna aufgesucht, um dort mein Gepäck zu lassen. Sie hat sich sehr gefreut und war wirklich sehr nett. Ich habe mich erst etwas frisch gemacht und habe dann den Weg nach Mockau angetreten. Hier traf ich gegen Mitternacht ein und mußte nun Papa und Lotte aus dem Bette holen. Hier haben wir uns bis 2 Uhr unterhalten und dann ging´s ins Bett. Das wäre in kurzen Zügen das, was sich ereignet hat. Über meine weiteren Pläne bin ich mir nicht ganz im klaren. Wenn ich meinen ganzen Aufenthalt hier etwas tarnen will, dann ist es wahrscheinlich am zweckmäßigsten, wenn ich doch erst nach Hamburg weiterreise, um mich dann von dort wieder nach Leipzig versetzen zu lassen. Ich glaube, daß das die beste Lösung ist. Sowie ich hier weiterreise, gebe ich Dir noch kurz Bescheid, damit Du weißt, was weiter geschehen ist. Sonst habe ich alles gut überstanden. Mit dem Zuge waren wir wiederholt im Luftschutzkeller wir sind also im Eisenbahntunnel stehen geblieben.  Mein liebes Mädel, ich habe mich nun  wieder für die schönen Tage, die Du mir während meines kurzen Urlaubs bereitet hast, recht herzlich zu danken. Du hast wieder alles getan, was Dir nur irgend wie möglich war und auch die Kinder haben mir die Tage mit verschönern helfen. Daß alles so schön und harmonisch verlaufen konnte, ist doch immer wieder Deiner Güte und Deinem großen Einfühlungsvermögen zu verdanken. So groß wie die Freude des Wiedersehens war, so schmerzlich ist dann immer der Abschied.  Es hat mir diesmal wohl ganz besonders wehgetan, weil man so gar nichts für Euch tun kann, denn die Dinge sind doch diesmal unklarer denn je, und man hat nur die Gewißheit, daß man alles gesund daheim verlassen hat. Ich sehe Euch, meine Lieben, noch am Zuge stehen und mir die Hände drücken, doch der Zug rückt an und ich bin allein. Im Dämmerschein der Lampe sehe ich Euch noch stehen und alles scheint ausgelöscht zu sein. Aber eines bleibt uns ja noch, und das ist die Hoffnung auf ein gesundes Wiedersehen, das uns bis jetzt immer noch beschieden war. Wir wollen für das nächste Mal glauben, daß uns das Schicksal ein genau so unverhofftes und plötzliches Zusammenkommen läßt. Bleibt mir nur gesund und haltet Euch weiterhin, aber vor allem seid nochmals herzlich bedankt für alles, was Ihr mir getan habt. Ich hoffe, daß ich Euch das in irgendeiner Form wieder entgelten kann. Nehmt recht herzliche und innige Grüße entgegen, laßt Euch alle zusammen vielmals küssen von Eurem Vaterle und 

Deinem Ernst.

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