Donnerstag, 19. März 2020

Brief 561 vom 16.10.1944


 Zu Dir mein lieber Schatz                                                                                  16.10.44   

 wandern heute wieder meine Gedanken und meine besten Grüße. Ich sitze hier in unserem Erholungsheim und lasse es mit gut sein. Etwa 15 km hinter der Front befindet es sich und liegt mitten im Wald. Herrlich wohltuend wäre die Ruhe und man könnte sich direkt in Friedenstage hineinträumen, wenn nicht immer wieder das Gerummse aus der Ferne daran erinnern würde, daß wir uns unweit der Front befinden. Trotz allem kann man sich hier ausruhen und man kann sich einmal andere Gedanken sammeln als die, die uns sonst bewegen. Milde scheint die Herbstsonne zum Fenster herein und leichter Wind bewegt die wenigen Blätter, die noch auf den Bäumen verblieben sind. Ein säuerlicher Rauch liegt in der Luft und läßt mich an Tage gedenken, die wir früher gemeinsam den herbstlichen Wald durchstreifend ver brachten. Ich habe vor einem oder vor zwei Jahren schon einmal an unsere gemeinsame Fahrt über den Schienerberg nach Stein erinnert. Es war zwar noch einige Tage später, aber nach dem Nebel hatten wir auch so einen sonnigen Tag bekommen. Der sich absetzende Nebel hing in den gelben Blättern und nach und nach tropften sie sich ab. In Stein merkten wir dann zu guter letzt, daß wir nicht genügend Fahrgeld hatten, darum fuhren wir bloß bis Tägerwilen. Aber noch einsgibt mir heute Anlaß zu solchen Gedan ken, denn mir fiel hier ein Buch von dem allemannischen Dichter Hermann Busse in die Hand. „Allemanische Geschichten“, das gleich mit seiner ersten Geschichte in Konstang anfängt. Muß man dann in dieser Umgebung nicht solche Gedanken, wie ich sie eben schildere, bekommen? Es gibt aber noch einiges andere zu schreibben. So habe ich erst gestern noch an Erna zum Hochzeitstag geschrie en. Somit habe ich wieder aller Festlichkeiten gedacht, die in der nächsten Zeit im näheren Kreis fällig sind. Dein Vater wird hoffentlich zufrieden sein, wenn ich an den Geburtstag gedacht habe, den seine Frau in den nächsten Tagen hat. _ Deine Mitteilung, daß REsi von Fritz immer noch keine Nachricht hat, tut mir aufrichtig leid. Nach Lage der Verhältnisse muß man schließlich damit rechnen, daß seine Einheit kassiert worden ist. Im allgemeinen hört man ja jetzt, daß unsere Leute in Gefangenschaft meins ordentlich behandelt werden. Zwar ist das unterschiedlich, aber ich habe mit Kameraden, die schon in Gefangenschaft waren, gesprochen, die mir erzählten, daß sie ordentlich behandelt worden sind. Daß man nun schon in Petershausen davon spricht, daß ich vermißt sei, das hängt ja nur mit der Schwatzhaftigkeit des Ortsgruppenleiters zusammen. Aber Du siehst ja in dieser Beziehung gleich klar.  Das Äpfeltrocknen ist ja nun ein voller Erfolg geworden. Wenn ich lese, daß Ihr sechs Säckchen  voll habt und daß es jetzt noch frische Äpfel gibt, dann kann man wirklich dankbar um den Baum sein. Dazu haben wir noch das viele Apfelmus schon während meiner Urlaubszeit gehabt. Ich hoffe, daß Ihr alle in Ruhe genießen könnt. _ Ich schließe für heute wieder mit recht herzlichen Grüßen und bin in getreuem Gedenken und mit vielen lieben Küssen immer Dein Mann und 

Dein Ernst.

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