Donnerstag, 19. März 2020

Brief 579 vom 18.11.1944


Mein liebes Mädel!                                                                                              18.11.44.  

Gerade komme ich von einer ersten Wache und habe etwas gefrühstückt. Heute will ich mich gleich am Morgen hinsetzen, um Dir zu schreiben, denn tagsüber komme ich schlecht dazu und wenn es dann Abend wird, dann reicht es mir nicht hin, um mir die paar Minuten ruhe zu gönnen. Jetzt liegt fast alles in der Falle, und man kann sich einigermaßen auf dem Tisch bewegen. Geheizt habe ich zwar noch in unserer Bude, aber es geht noch so einigermaßen, wenn ich auch den Mantel anbehalten muß. Wenn ich aber warmhalten will, dann muß ich erst Holz machen und die ganze Zeit am Ofen stehen, um es nicht ausgehen zu lassen. Mit unserem Trockenbrennstoffkocher habe ich mir etwas warmen Kaffee gemacht, dann bin ich doch von innen her erwärmt. Post ging gestern nur von Deinem Vater ein. Den Rundbrief Nummer 22 wirst Du ja auch erhalten haben. Die Dinge sind ja in Leipzig unverändert. Es ist gut, daß Du die Zigaretten per Einschreiben geschickt hast. Erstens sieht er den guten Willen und dann hat man ihm damit auch eine Freude gemacht. _ Das hat wohl unseren Jörg geärgert, daß er nicht mehr zu den Pimpfen gehen kann. Er war doch gern dabei. Manchmal wird der gute Wille durch solche Dinge totgedrückt. Wir haben nun einmal Schwierigkeiten in der Versorgung und auch in der Bekleidung. Wie ist es denn sonst mit unserem Jungen? Hat er denn noch genügend anzuziehen? Wenn irgendwelcher Mangel besteht, dann wird wohl das eine oder andere Stück von mir noch da sein, was man für ihn verändern bezw. umarbeiten kann. Meine Hose vom Marinesturm oder was sonst noch so herumfährt. Ich selbst bin ja nicht mehr so im Bilde. _ Was machen denn unsere Beiden mit der Schule? Helga ist ja der Ansicht, daß sie in der Schule wieder gebraucht werden kann, weil ich doch in meinem letzten Brief an die Kinder eine solche Frage gestellt hatte. Ja, es ist schon besser, wenn sie wieder etwas eingespannt werden, denn sonst kommen sie mit der Zeit ganz und gar ins Hintertreffen. Sowas macht sich doch in irgendeiner Form später einmal bemerkbar, wenn das Lernen auf solch einen langen Zeitraum ausgesetzt wird. Daß unsere Beiden den Unterrichtsstoff nicht packen würden, daran habe ich nicht gezweifelt, denn sie sind gut und normal veranlagt, so daß eigentlich keine Schwierigkeiten bestehen dürften. Wenn ich so den Brief von Helgadurchlese, so kann man sich schon in der Hinsicht freuen, weil er fast fehlerfrei geschrieben ist. Sie müßte das Geschriebene nur noch einmal durchlesen. Was sieht man manchmal von Erwachsenen Geschriebenes, da könnten einem die Haare zu Berge stehen. Die Ausdrucksweise ist ihrem Alter entsprechend, und das freut mich immer wieder, wenn sie alle Beide noch kindlich sind, denn wie bald sind diese Jahre vorüber, und das Leben verlangt dann von ihnen sein Recht. Noch schöner wäre es, wenn sie diese Jahre  während der Zeit des Friedens verleben könnten, aber das liegt ja leider nicht in unserer Hand. An Helga werde ich deshalb wieder antworten, denn ich denke, daß sie auch ihre Freude daran hat, wenn ihr Vater ihr einmal schreibt. Jörgs Brief muß ja auch bald eintreffen. _ Daß Dir meine Schuhe schon gute Dienste geleistet haben  , das freut mich sehr. Ich habe sie in recht schweren Tagen getragen und habe sie aus diesem Grunde so ungern hergegeben. Wenn Du sie nun noch so nützlich verwenden kannst, dann haben sie ja ihren Zweck vollauf erfüllt. Als wir die ersten Kampfhandlungen nach den langen Märschen hinter uns hatten, da waren diese Schuhe vollkommen an den Seiten aufgeplatz. In dem einen Dorf, in dem wir einquartiert waren, fand sich dann ein Schuhmacher, der mir diese (?)  wieder in Ordnung brachte. Ich hatte diese Schuhe etwa eine Viertelstunde wieder an den Füßen, da bekamen wir ganz unvermittelt Beschuß und zwar derart stark, daß wir das Dorf räumen mußten.  das wir besetzt hielten. Da war ich so froh, daß ich meine Schuhe wieder hatte, und daß sie in Ordnung waren. Das sind so kleine Erlebnisse, die wohl keine großen Ereignisse sind, aber sie halten so fest in der Erinnerung. _ Lasse Dich, mein liebster Schatz, recht herzlich grüßen. Dir und den Kindern recht liebe Küsse.  Vater grüße bitte wieder von mir, wenn er bei Dir vorbeikommt. Wie ist denn jetzt Euer Verhältnis? In Liebe und teuem Gedenken bin ich heute immer wieder 

Dein Ernst. 

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