Donnerstag, 19. März 2020

Brief 605 vom 27.12.1944


Mein liebster Schatz !                                                                                             27.12.44        

Die Feiertage liegen nun hinter uns. Das Essen und alles andere geht wieder seinen Gang, wie wir es gewohnt sind. Ich schrieb ja schon, daß wir froh sind, daß sich unsere Vermutungen  glücklicherweise nicht bestätigt haben, daß uns der Russe hier einen Streich während der Feiertage spielen würde. Auch über die Jahreswende stehen wir noch an unserem alten Platz und hoffen, daß dann gleich hinterher eine Änderung eintritt. Also behalten wir unseren Tritt hinter dem Fluß bei und beobachten. Über die Zimmerangelegenheit habe ich ja gestern ausführlich mit Dir gesprochen. Ich hoffe, daß wir beide uns nun einig sind. Was für Dich noch aufklärenswert wäre. mußt Du mir dann mitteilen, ich werde Dir dann entsprechend meiner Auffassung Bescheid zukommen lassen. Deine Klage bezüglich Vater und seiner Redewendungen kann ich verstehen, denn ich kenne ihn ja von dieser Seite nur zu gut. Es ist nicht nur, daß er so spricht, sondern auch das Lächeln ist mir sehr erinnerlich, das er in solchen Fällen aufsetzt. Daß dies alles zum Widerspruch reizt, ist mir ganz verständlich.  Das, was mich am meisten an dieser Geschichte ärgert ist das, daß er ausgerechnet während der Zeit herummeckert, während der ich nicht da bin. Komme ich dann einmal nach hause, dann erzählt er mir vom Zusammenhalt und gegenseitiger Unterstützung. Wenn er früher auch seine Macken gehabt hat, so habe ich doch das Empfinden, daß sich dies alles wieder verschärft hat, seit er zu Paula geht. Paula ist gewissermaßen der böse Geist, der sich gegen uns wendet. Eine Möglichkeit direkt gegen uns zu arbeiten besteht kaum, aber auf diesem Wege läßt sich das anscheinend auch tun.  Früher war unser lieber Kurt das Werkzeug und jetzt nimmt Vater die Stellung ein.  Die Einzelheiten, die Du nun anführst, kann ich zum großen Teil erklären. Die meisten Mullbinden stammen von Deinem Vater. Die extra eingepackten hast Du von mir erhalten. Es liegt also keine Veranlassung vor, daß er sich darüber wundert. Von mir hast Du soviel Schreibpapier erhalten, daß wir auf kein anderes Papier angewiesen sind. Was sonst die anderen Dinge von Kurt anbelangt, so bleibt ja letzten Endes das Verfügungsrecht darüber mir vorbehalten. Die Angelegenheit mit den Büchern geht so ganz und gar in Ordnung, wie Du sie erledigt hast. Ich selbst lege ja keinen großen Wert darauf, wenn mir gänzlich unbekannte Leute in unseren Büchern herumkramen. Bücher, die wir doch teilweise unter recht schweren Opfern und Einschränkungen erstanden haben. Wenn Vater glaubt, daß er in irgendeiner Form benachteiligt ist, dann soll er dies offen und ehrlich äußern, denn wird sich ohne weiteres ein Weg finden, der ihm das zukommen läßt, was er braucht. Ich persönlich bin nicht auf die Sachen angewiesen, die dieser arme Junge uns hinterlassen hat, denn ich habe das, was ich brauche. Von mir aus kann er alles das haben, was von ihm da ist. Ich will aber andererseits nicht, daß wir das Vermächtnis von Kurt mißachten und nun hier irgendwelche Änderungen vornehmen, die nicht in seinem Sinn sind. Ich habe schon immer diesen Standpunkt vertreten, denn Du brauchst ja nur einmal in den letzten Briefen von mir nachblättern, aus denen läßt sich ja heute noch einwandfrei feststellen, daß ich Vater alles zur Verfügung stellen wollte. Daß ich gerne ein Andenken von ihm hätte, das braucht wohl weiter nicht in Frage stehen. Aber eins kann ich nun einmal nicht vertragen und das ist diese Stichelei. Wir haben heute weiß Gott doch andere Sorgen als solches Gekörgele. Wenn er ein alter Nockergreis sein will, dann muß er zusehen, daß er dafür andere Opfer findet.  Die Nerven eines einzelnen sind heute derart angespannt, daß man sich nicht noch solche zusätzlichen Belastungen leisten kann. Ich bitte Dich daher, Vater gegenüber ein etwas bestimmteres Auftreten zu zeigen, denn das ist nach meiner Ansicht das einzige, was er noch einigermaßen respektiert. Eins kann ich aber auf die Dauer nicht dulden, daß Vater immer wieder herumstänkert, denn es ist ja nicht so, daß nur Du die Leidtragende bist. Auch die Kinder versuchen schon Abstand von ihm zu nehmen in der Erkenntnis, daß er doch immer nur wieder etwas zu bemängeln hat. Das geht auf keinen Fall, und das muß unbedingt abgestellt werden. Ich bitte Dich aber diesmal wieder dringend, daß Du mir solche Sorgen mitteilst, damit ich hier nicht eines Tages vor eine vollendete Tatsache gestellt werde und Du hir unter diesen Dingen leidest, was wirklich nicht notwendig ist. Wie gesagt, tritt ihm in bestimmter Form entgegen, behaupte unseren Standpunkt und unser Recht. Daß Du trotzdem korrekt bleibst, das weiß ich sowieso. Deshalb mache ich mir die wenigsten Gedanken.  Gestern ist keine Post angekommen ausser einem Päckchen von Deinem Vater, das er ja mir selbst schon angekündigt hatte. Lotte hat einige Zeilen dazugeschrieben. Ich werde mich besonders noch dafür bedanken. DAs Gebäck ist ja nicht selbstgebacken und ist auch nicht so gut, aber ich habe immerhin den guten Willen gesehen. Ich habe ja genügend zu essen gehabt, das hast Du wohl bereits aus meinen vorhergehenden Briefen ersehen. _ Daß sich die Lage im Westen einigermaßen für uns entspannt hat, ist für mich einigermaßen eine Beruhigung. Wenn wir wahrscheinlich auch keine allzu großen Vormärsche machen werden, so werden wir hoffentlich doch noch soviel Möglichkeiten haben, um uns den Feind vom Leib zu halten und von den Grenzen wegzudrängen. Wenn damit eine Entlastung für die Grenzbevölkerung eintritt, so ist das wirklich eine Notwendigkeit. _ Was es sonst noch zu beantworten gibt, das regle ich in den nächsten Briefen. Eins will ich aber gleich noch erwähnen, daß ich mich über die gemalten Köpfe von Helga gefreut habe, Das sind ja die reinsten edelsten Griechenköpfe, die sie da praktiziert hat. Sie soll nur ihre Sachen so weitermachen. Ich kann es jedenfalls nicht so. Mich freut es, wenn sie sich dafür interessiert und wenn sie dafür Geschick hat. Ich danke ihr für ihre Malerei und sie soll sich nur weiter anstrengen und vervollkommnen.  Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Auch diesmal gelten Dir und den Kindern viele Küsse, denn Ihr seid ja meine Lieben, für die ich mich immer einsetzen kann. Bleibt gesund und denkt an Euer Vaterle und an 

Deinen Ernst.


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