Donnerstag, 19. März 2020

Brief 603 vom 25.12.1944


Mein liebstes Mädel !                                                                                           25.12.44        

 Ich sitze im Kreis der Kameraden unter dem Weihnachtsbaum. Es ist gerade Mitternacht nach Heiligabend. Unser Troß hat uns wirklich nett beschert. Gestern erhielten wir Frontkämpferpäckchen, Schokolade und Drops und heute erhielt jeder ein großes Stück Streuselkuchen, vier Mann bekamen eine Torte, Zigaretten und Cognac. Es ist wirklich in netter Weise an uns gedacht worden. Ein schöner Tannenbaum, der mit Lametta geschmückt ist, steht auf dem Tisch. Ein jeder hat das Bild seiner nächsten Angehörigen an den Fuß gestellt. Ich habe mir Eure lieben Weihnachtsbrief vorgenommen, der mir viel Freude bereitet hat. Wie viel Liebe spricht aus Euren lieben Zeilen. Du erinnerst auf verschiedene kleine Dinge, die uns früher gemeinsam das Fest sahen und auch unsere Helga schreibt in einer wirklich netten Form. Auf allen Briefen die kleinen Bildchen am Rande haben so recht an das Fest erinnert. Wir haben nun schon verschiedene Besuche von unserem Kompanie und Bataillonsführer, Gruppenführern usw. hinter uns. Jetzt ist nun die Reihe an uns, eine Grabenstreife zu gehen und dabei und dabei bei unseren einzelnen Gruppen vorzusprechen und unsere Wünsche zum Fest auszusprechen. Das Weihnachten an der Front ist eben schon anders wie in der früheren Umgebung. Aber es herrscht laufender Betrieb bei uns, so daß man nicht lange zum Nachdenken kommt.  Unsere Grabenstreife ist beendet. Bei einer unserer Gruppen sind wir längere Zeit mit den Kameraden zusammengesessen. Einer hat Mundharmonika gespielt. Einige Weihnachtslieder und auch Soldatenlieder. Wenn auch nicht die Stimmung aufkommen kann, wie sie einem aus Friedenszeiten bekannt ist, so sind wir doch zufrieden mit dem, was sich hier so ergibt. Die Nacht war anfänglich hell und fast klar. Gegen Mitternacht trat stärkere Bewölkung ein und der Mond hatte sich dann sowieso verzogen. Unsere Wacht am Fluß wurde dadurch erschwert. Leuchtkugeln erhellen hin und wieder das Gelände und einzelne MG-Granaten peitschen über die Eisfelder, sonst ist alles ruhig. Das Eis knackt und reißt höchstens hin und wieder, doch dem gilt ja nicht weiter unsere Aufmerksamkeit. Vom Osten her weht ein scharger Wind, der auch feinen Schnee mitbringt. Es will scheinen, als ob die graue Landschaft nun doch noch ein weihnachtliches Winterkleid anziehen will. Der Posten späht hinaus und achtet auf jedes Geräusch und jeder Bewegung, die sich auf der anderen Seite zeigt gilt seine erhöhte Aufmerksamkeit. Doch der Russe hat sich in seine zweiten Graben zurückgezogen, Von dort aus sendet er hin und wieder einige Gewehr und  MG-Schüsse herüber. Weiße und grüne Leuchtkugeln  erhellen wieder das Gelände. Langsam kühlt durch die dicke Tarnbekleidung  der eisige Wind den Körper aus. Ob das Eis auch immer noch brüchig genug bleiben wird? Das ist ja die Frage des Postens. Doch mit dem Antritt von Schneewetter wird der Frost auch wieder etwas brechen, das hilft dann über einige weitere Tage hinweg. Bald kommt auch die Zeit der Ablösung heran. Der Gedanke an den durchwärmten Bunker ist allein schon verlockend.  Als ich nach Stunden wieder zurückkehre, finde ich Eure lieben Bilder unter unserem Baum. Die beiden roten Kerzen stehen daneben, und die Gedanken wandern wieder zu Euch nach hause. Das Päckchen, das ich mir aufgehoben hatte, wird nun aufgemacht. Die bunten Klebebilder sehen mich lustig an und machen den Inhalt noch verlockender. Ein Griff hinein, und man kann sagen, es lohnt sich. Das Äußere hält bestimmt was es verspricht. Der Heilige Abend liegt nun hinter uns, denn der erste Feiertag ist angebrochen.  Ich habe versucht, ein kleines Stimmungsbild aufzureißen. Ich hoffe, daß ich Euch einen bescheidenen Eindruck gegeben habe. Die Tage werden auch vorübergehen. Wenn es klappt, werden wir am Silvesterabend hier wieder auf einige Tage herauskommen, solange geht es im Wechsel, als man uns hier in Ruhe läßt.  Von Deinem Vater traf noch vorhin ein Rundbrief ein. Ich komme im nächsten Brief noch darauf zurück. Für heute ein frohes Fest, wünsche ich Dir nochmals im Kreise der Kinder. Ich werde auch, wie sonst immer, in den kommenden Tagen in Ge danken bei Euch weilen mit viel Liebe, herzlichen Grüßen und einigen Küssen bin ich immer 

Dein Ernst.

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