Donnerstag, 19. März 2020

Brief 612 vom 10.1.1945


 Mein liebster Schatz !                                                                                              10.1.45                  

Als ich diesen Brief beginnen wollte hieß es, daß wir uns fertig machen müßten. Also blieb es bei dem guten Willen. Wir haben nun schon vorzeitig unseren Stellungswechsel was uns nicht ganz in den Kram paßte, aber beim Barras wird man ja nicht gefragt, ob man will oder nicht. Da heißt es eben abmarschieren, wenn es befohlen wird. Bevor wir abrückten, bekam ich noch zwei liebe Briefe von Dir, die ich Dir auch hier beantworten werde. Es sind Deine Schreiben 128/129, für die ich Dir vorerst recht herzlich danke. Die Post konnte ich gerade noch lesen, dann hieß es abmarschieren. Ich hatte ja mit meinem Fuß wieder etwas Glück, denn ich konnte mich auf ein Fahrzeug platzieren, da fiel wenigstens die Schlepperei des Gepäcks  weg. Es wurde zwar etwas kühl auf dem Bock, aber schließlich haben wir doch die neue Stellungen erreicht. Diese ist ja für uns wieder vollkommen neu, und ich kann schon sagen, daß sie Überraschungen in genügender Menge für uns hatte. Von der vorhergehenden Stellung waren wir wohl in Bezug auf Unterkunft etwas verwöhnt, aber das, was wir hier antrafen, das ist dann doch etwas stark. Das wirft uns in die erste Zeit zurück, in der wir über den Bach kamen. Ein Bunker ist es, mit allen Schikanen. Wenn man nicht gebückt stehen will und gern einmal den Kopf aufrecht tragen möchte, dann ist es hier am besten, wenn man sich auf den Knieen bewegt. Außer der Verlausung, die bei mir zwar etwas nachgelassen hat, haben wir nun noch eine neue Errungenschaft zu verzeichnen, wir haben hier Ratten. Die Biester bewegen sich mit Vorliebe auf dem Tisch und in unseren Betten. Man muß schon etwas Humor haben, wenn man hier zufrieden sein soll. ABer wir werden ja auch nicht ewig in dieser Stellung bleiben. Auch sonst gibt es hier manche Unannehmlichkeiten, die früher nicht in diesem Maße hervorgetreten sind. Aber es hilft eben alles nichts und mit Jammern verbessert man sich auch nicht die Lage. Licht ist zwar bei uns ganz großer Luxus, denn beim Bunkerbau hat man anscheinend erst hinterher gemerkt, daß er dunkel ist. Wenn Du in unserem Keller daheim das Gitter hoch machst, dann ist es gegen hier taghell, aber deshalb kann ich trotz allem nicht das Briefeschreiben einstellen. Mit der Zeit gewöhnt sich das Auge an diesen Zustand, und wenn man sich dazu hält, bekommt man während der hellsten Zeit doch einen Brief fertig. Zwar werde ich immer wieder einmal zwischendurch gestört. In der Zeit, in der ich jetzt diese Seite geschrieben habe, habe ich schon wieder drei T34 geknackt. Die Abschußzahlen haben sich aber seit einigen Tagen schwer verringert. Ich hoffe, daß ich diese Biester doch wieder einmal für eine Zeit ganz loswerde.  Nun zu Deinen Briefen. Die kleine Zeichnung von Helga ist wirklich gut gelungen. Wenn sie Freude daran hat, dann soll sie sich nur etwas stärker damit beschäftigen. Alles, was es so an Gegenständen im Haushalt gibt, läßt sich ja gut zeichnen. Das ist das beste Lern und Anschauungsmaterial . Für das nächste Bildchen, ich denke an eine kleine Skizze, werde ich ihr einen kleine Geldbetrag aussetzen, der ihr dann weiteren Ansporn für frohes Lernen sein soll. Sie soll auch meiner Ansich nach mehr Gegenstände zeichnen, denn es ist nichts schwerer zu zeichnen wie der Mensch. Wenn sie das hin und wieder versucht, dann ist es recht, aber sie sollte doch erst einmal tote Gegenstände nehmen. Häuser, Bäume oder ähnliche Dinge. Ich wünsche ihr also weiterhin viel Glück zu ihren Arbeiten. Eine Prämie gilt es also zu verdienen. Auch über Jörg und seine Bastelei habe ich immer meine Freude. Es macht mir Spaß, wenn Du mir berichtest, daß er das oder jenes sich gebaut hat. Gewundert habe ich mich nur, daß er sogar selbst seine Figuren schneidet. Das ist doch schon etwas schwieriger. Aber Geschick hat er anscheinend, das muß man ihm wohl lassen. Daß Du nun Deine Sorge mit ihm hast, weil er alles andere darüber vergißt, das kann ich mir vorstellen. Mit Geschick bringst Du ihn ja schon dahin, wo Du ihn haben willst.  Deine Mitteilung über die Zimmerangelegenheit hat mir etwas zu denken gegeben. Ich habe früher schon immer dagegengesprochen, wenn du an fremde Leute unser Zimmer abgegeben hast. Wie Du aus dem Beispiel ersiehst, hat man nur durch seine Gutmütigkeit Schwierigkeiten. Daß die lieben Nachbarn so Obacht auf uns geben, das ist nun einmal eine Tatsache, um die werden wir nicht herumkommen. Wir werden dagegen auch nicht sonderlich stark kämpfen können. Wenn die Dinge jedenfalls so liegen, wie Du sie mir schilderst, dann kommt eine Vergebung des Zimmers auf keinen Fall infrage.  Ich habe jedenfalls keine Lust, auf dem Abtreter zu übernachten, weil es verschiedenen Herrschaften in Konstanz so gefallen würde. Ich tue schon seit Jahren meine Pflicht. Wenn ich auch keinen Dank dafür haben will, aber auf eines habe ich ja immer noch Anspruch, das ist meine Familie und meine Wohnung, wenn ich einmal nach hause kommen sollte. Wir gehen in dieser Richtung einig, und das ist ja die Hauptsa che. Lasse Dich nur nicht auf die Hühneraugen treten und beharre auf Deinem Stand punkt. _ Was sonst noch aus Deinen Briefen zu beantworten ist, das werde ich morgen mit erledigen. Zum Abschluß grüße ich Dich und die Kinder wieder recht herzlich. Viele liebe Küsse kriegst Du, Helga und Jörg von 

Deinem Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen