Mein liebstes Mädel ! 16.1.45
Die Post hat mich gestern wieder einmal nicht bedacht. Außer
von Deinem Vater, der mir einige Briefumschläge und Briefpapier sandte, erhielt
ich keine Post. Man kannja schließlich auch nicht verlangen, daß jeden Tag
etwas eingeht. aber das läßt sich nun
nicht verheimlichen, daß der Empfang liebe Zeilen doch eine recht angenehme
Abwechslung in unserem Alltag ist. Dafür hatte ich eben vorgestern gleich drei
Briefe von Dir. Als ich sie mir noch einmal durchlas, da mußte ich im Stillen
für mich lachen, als unser Mädel den Anspruch erhebt, schneidig auszusehen. Sie
ist ja einmal ein kleines Äffle, das zwar schon mächtig in die Länge geschossen
ist. Das sind eben die Sorgen der Kinder, wenn sie größer werden. Aber das gute
Mutterherz hat es doch nicht überwinden können und hat gleich die Windjacke
geopfert, damit das Mädel schneidig aussieht. Daß unser Herr Sohn nicht
nachziehen will, das kann ich mir ohne weiteres denken, denn gerade so ein
neues Stück , vor allem, wenn es modern und schnittig aussieht, dann reizt das.
Wie ich aus dem letzten Brief von Dir lesen kann, hast du doch den Radioapparat
irgendwo untergebracht. Daß das keine Kleinigkeit ist, ihn jetzt gemacht zu bekommen,
das ist ja ohne weiteres erklärlich. Aber ich hatte Dir ja schon gesagt, daß Du
eben etwas unternehmen mußt, damit Du zu Deinem Ziel kommst. Es ist ja ein
Einrichtungsstück geworden, das man heute fast nicht mehr entbehren kann.
Hoffentlich hast Du Glück und erhältst ihn bald wieder zurück. Seit gestern ist das Wetter hier sehr
winterlich geworden. Es hat lange geschneit, und alles ist schön mit Schnee
überzogen. Nur in den Gräben macht da wenig Spaß, denn der Wind hat sie uns zum
Teil recht verweht. Da heißt es schaufeln, damit sie nicht ganz zugeschneit
werden. Dann muß man ja auch damit rechnen, daß das alles taut, und dann haben
wir die Schweinerei im Graben. Zur Nacht hin hatte es aufgeklart. Es war eine
herrliche Sternennacht, und der Morgen hatte eine Klarheit, wie ich sie selten
erlebt habe. Der Himmel blau und dazu überall der frische Schnee. Es war ein
Anblick, der recht friedlich anmutete, doch die raue Wirklichkeit läßt sich nun
einmal nicht hinwegtäuschen. Heute
jährt sich zum zweiten Mal der Tag, an dem unser lieber Kurt sein Leben in
diesem grausamen Kriege opferte. Wie oft, muß ich an ihn denken. Was hatte er nicht für Pläne, wenn der Krieg
vorbei ist. Das ist nun alles zunichte geworden. Man könnte wohl manchmal
sagen, daß ihm manches, was sich bisher ereignet hat, erspart geblieben ist,
aber das hätte er auch so ausgehalten, wie ich es auch durchhalte. Wenn man
nach dem Sinn des Sterbens sucht, dann könnte man sich manchmal sagen, daß für
das, was bis jetzt erreicht worden ist, die Opfer zu groß sind. Es ist ja nicht nur unser Kurt; die Zahl ist
wohl ins Ungeheuerliche gestiegen, wenn man gleichzeitig noch die Opfer durch
Terrorangriffe denkt. Man kann dann höchstens wieder einen Sinn darin sehen,
wenn man sich sagt, daß diese Opfer gerechtfertigt werden müssen durch ein
siegreiches Beenden dieses Krieges. Wenn ich den Brief von Nannie lese, dann
muß ich immer wieder, wie auch in den vorhergehenden, feststellen, daß sie
mächtig darunter leidet, daß dieser arme Junge draußen geblieben ist. Niemand kann sich um das Grab kümmern.
Wahrscheinlich wird alles dem Verfall preisgegeben sein. Das Andenken an ihn
kann man bewahren und hegen. Daß wir ihn nicht vergessen, das versteht sich ja
von selbst. An einem solchen Tag, da ist das Gedenken besonders stark. Recht herzlich grüße ich Dich und die
Kinder. Bleibt Ihr mir nur gesund und grüßt auch Vater wieder von mir. Ich
lasse für die neuen Jahreswünsche bestens danken. Dir und den Kinder gebe ich
jedem einen herzlichen und kräftigen Kuß und bin wie immer
Dein Ernst.
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