Donnerstag, 19. März 2020

Brief 591 vom 6.12.1944


Mein liebstes, mein gutes Mädel !                                                                            6.12.44    

Es ist wieder mal eine Stille eingetreten. Die Postzustellung für mich stockt wieder. Man läßt mich warten, man enthält mir Deine lieben Grüße vor.  Doch für jeden Tagen, den ich länger warte, habe ich begründerte Aussicht, von Dir wieder ein paar liebe Zeilen zu erhoffen. Wenn auch nach dem Wehrmachtsbericht die Nachrichten nicht gerade für unsere Heimat günstig lauten in Bezug auf Fliegerangriffe, so will ich doch immer glauben, daß Ihr, meine Lieben, alle noch gesund seid. Wenn es mir auch immer und täglich Sorgen bereitet, was Ihr machen werdet und wenn man hier von fern tatenlos zusehen muß, was sich bei Euch vielleicht abspielen wird. _ Vor wenigen Tagen ,ließ ich Dir zwei Gedichte zugehen, die ich aus der Zeitung ausgeschnitten hatte. Sie gehören zu einem Artikel aus unserer Zeitung, in der anläßlich des Totensonntags erschien. Ich sandte Dir erst einmal diese Gedichte, um unvoreingenommen von Dir zu hören, ob Du sie empfindest als Abschiedsworte für immer. Die Überschrift und auch der Inhalt selbst sind wohl fein empfindend abgestimmt und lassen auf eine sehr tiefe Empfindung des Verfassers schließen, wenn er sein Leben und Aufgabe so auffaßt, wie er seinen Regungen Worte verleit. Damasls, als ich Dir die beiden Gedichte sandte, wußte ich nicht, ob ich die passenden Worte finden würde, um mit Dir darüber zu sprechen. Ob es mir heute gelingt, darüber bin ich mir selbst noch nicht im Klaren. Seit wir an jenem Abend vor nun 4 ½ Jahren die Nachricht erhielt, daß ich meine Pflicht gegenüber unserem Vaterland erfüllen muß, haben wir alle voneinander wiederholt Abschied genommen. Ich sehe Dich und die Kinder noch vor dem Zugfenster stehen und wehen Auges, doch festen Herzens, von mir Abschied nehmen.  Glorreichen Feldzüge lagen in der Entwicklung und das Kriegsende schien damals nicht allzu fernzuliegen. Meine Vereidigung und auch eine Verabschiedung zum Feldheer hatte ich miterlebt. Manches erfüllte mich damals mit Stolz. Als ich das erste Mal die Uniform anzog, und manches andere, die Enttäuschungen vieler Art sind mir während dieser Zeit nicht erspart geblieben. Doch immer wieder hatte ich die Gewißheit im Herzen, ich bin für Euch da, ich komme nach Beendigung dieses Krieges zu Euch zurück und alles das liegt hinter mir. Ich hatte nur während der langen Jahre Gelegenheit, mir die Welt zu betrachten, und ich habe mir mannigfach das schwere Leben bei uns und das der anderesn zum Beispiel sein lassen. Mein Lebenskreis aber auch mein Gesichtskreis der Weltbetrachtung hat sich in diesen Jahren ungemein entwickelt.  Doch bei dieser Betrachtungsweise habe ich nie die Notwendigkeiten für unsere Lebensauffassung vor mir verschließen können. Aber auch nie habe ich vergessen, wo ich hingehöre. Wir hatten während dieser Jahre wiederholt das Glück, daß wir uns sehen und sprechen konnten; doch auffallend ist dabei, daß wir ernstlich darübwer gesprochen hatten, daß es einmal anders kommen könnte, wie es immer war. Ich will damit nicht sagen, daß wir nicht den Mut gehabt hätten, einem solchen Fall ins Auge zu sehen. Es lag wohl auch vielfach daran, daß ich, wie heute auch, immer noch der Meinung bin, daß eine grundlegende Änderung bei uns wohl kaum eintreten wird. Ich sage Dir das nicht, um Dir von vorherein eine Kümmernis vom Herzen wegzunehmen, sondern rein gefühlsmäßig aus meinem Inneren heraus. Ich will hoffen, daß sich dieses Gefühl nicht als trügerisch erweist. Wir haben unsere Opfer in diesem Krieg schon in vielerlei Hinsicht gebracht und ich möchte in diesem Zusammenhang noch an das Wort unseres unvergeßenen Kurt erinner, der sagte:“ Wenn ich einmal draußen bleiben sollte, dann ist das weiter nicht so wichtig, wie wenn Ihr Euch einmal von Eurem Vater trennen müßtet, denn ich habe keinen Anhang.“ So, oder in ähnlicher Weise hatte er gesprochen. Er hat ein Opfer gebracht und wir damit, denn er war nicht nur ein stiller, sondern auch ein wertvoller Mensch, der viel innere Größe hatte, wenn man es ihm auch sonst nicht so anmerkte. Sein Leben hat sich erfüllt und seiner Auffassung nach hat sich sein Opfer dann erst erfüllt, wenn wir uns nach diesem Kriege der Dinge unserer Familie wieder ungehindert annehmen können. Ich muß aber hier in dieser Stunde auch noch etwas anderes anführen, das für mich zwar keine Parallele sein soll. In meinem letzten Urlaub kamen wir mit Resi zusammen. Sie gab uns Gelegenheit, aus einem Brief ihres Fritz etwas zu erfahren.  das sie als eine Art Abschiedswort deutete. Ihr Frauen fühlt vielleicht noch mehr, wie wir Männer. Das ist Euch schon in die Wiege mitgegeben worden. Aber auch ich habe mir damals Gedanken gemacht, bevor ich von Dir ging. Ich hatte doch gewiß manchen harten Kampftag schon erlebt und wußte, wie es hier draußen zugeht, aber ich wehrte mich innerlich dagegen, jetzt ein solches Gef ühl aufkommen zu lassen. Auch während des neuen Einsatzes nach meine Rückkunft hätte ich wohl manchmal Grund gehabt, Gedanken des Abschieds zu bekommen, aber wie schon gesagt, rein gefühlsmäßig sah ich hierzu keine Notwendigkeit. Aber wie dem auch sei. Wenn man Unausgesprochenes so lange Jahre mit sich herumträgt, so kommt doch einmal vor irgendeiner Seite ein Anstoß, und ich glaube, daß man diese dann von sich geben muß, wenn man glaubt, daß das, was man in sich solange gwetragen hat, reif genug ist, um davon zu sprechen. Nicht allein dieser Artikel ist es, der mir den Antrieb dazu gegeben hat, es ist auch die Sorge, die ich schon seit einiger Zeit mit Euch habe, daß ich dieses Thema einmal mit Dir besprechen muß. Die Zeit ist sehr ernst, und ich habe Dir schon wiederholt davon Aufschluß geben können, daß Ihr mein Lebensinhalt seid, und daß ich nur für Euch hier draußen meine Pflicht erfül le. Daß ich dies nicht nur halb zu tun gewillt bin, habe ich wohl dadurch bewiesen, daß man mich hat auszeichnen können. Auch dies hat mich insoweit am meisten gefreut, daß ich Dir und der Familie sagen z#und zeigen konnte, daß ich mich nicht unwürdig fühlen brauche, um mit Euch zusammen zu leben. Wenn Du auch Deinen Glauben auf einem Wiedersehen in einem besseren Jenseits aufbaust, so sehe ich das Abschiednehmen doch realer und bin des Glaubens, daß unsere Trennung nur noch von beschränkter Dauer ist, damit wir uns der Aufgaben unserer Familie nach Beendigung dieses Ringens in voller Schaffenskraft wieder widmen können. Du weißt, daß ich das Leben noch nie leicht genommen habe, und wenn ich Dir erkläre, daß ich meine Ansicht über meine Rückkunft und über unser späteres Zusammensein nicht geändert habe. Es muß manchmal etwas ausgesprochen werden, was man lange mit sich herumträgt, es gibt eben niemand anderes als einen lieben Menschen, dem man dies anvertrauen kann. Wer konnte das anderes sein als nur Du. Darum nimm dies gewissermaßen als ein Bekenntnis, als ein Bekenntnis für Euch und für unsere Familie. Ob mir das bnun so gelungen ist, das überlasse ichDeinem Urteil. Vielleicht wirst Du mir zu meinem heutigen Schreibenetwas zu sagen haben. _ Bleib Du mit den Kindern gesund und laßt Euch vielmals herzlich und innig küssen. Ich bin und bleib immer 

Euer Vaterle und Dein Ernst.

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