Mein liebstes, mein gutes Mädel ! 6.12.44
Es ist wieder mal eine Stille eingetreten. Die Postzustellung
für mich stockt wieder. Man läßt mich warten, man enthält mir Deine lieben
Grüße vor. Doch für jeden Tagen, den
ich länger warte, habe ich begründerte Aussicht, von Dir wieder ein paar liebe
Zeilen zu erhoffen. Wenn auch nach dem Wehrmachtsbericht die Nachrichten nicht
gerade für unsere Heimat günstig lauten in Bezug auf Fliegerangriffe, so will
ich doch immer glauben, daß Ihr, meine Lieben, alle noch gesund seid. Wenn es
mir auch immer und täglich Sorgen bereitet, was Ihr machen werdet und wenn man
hier von fern tatenlos zusehen muß, was sich bei Euch vielleicht abspielen
wird. _ Vor wenigen Tagen ,ließ ich Dir zwei Gedichte zugehen, die ich aus der
Zeitung ausgeschnitten hatte. Sie gehören zu einem Artikel aus unserer Zeitung,
in der anläßlich des Totensonntags erschien. Ich sandte Dir erst einmal diese
Gedichte, um unvoreingenommen von Dir zu hören, ob Du sie empfindest als
Abschiedsworte für immer. Die Überschrift und auch der Inhalt selbst sind wohl
fein empfindend abgestimmt und lassen auf eine sehr tiefe Empfindung des
Verfassers schließen, wenn er sein Leben und Aufgabe so auffaßt, wie er seinen
Regungen Worte verleit. Damasls, als ich Dir die beiden Gedichte sandte, wußte
ich nicht, ob ich die passenden Worte finden würde, um mit Dir darüber zu
sprechen. Ob es mir heute gelingt, darüber bin ich mir selbst noch nicht im
Klaren. Seit wir an jenem Abend vor nun 4 ½ Jahren die Nachricht erhielt, daß
ich meine Pflicht gegenüber unserem Vaterland erfüllen muß, haben wir alle
voneinander wiederholt Abschied genommen. Ich sehe Dich und die Kinder noch vor
dem Zugfenster stehen und wehen Auges, doch festen Herzens, von mir Abschied
nehmen. Glorreichen Feldzüge lagen in
der Entwicklung und das Kriegsende schien damals nicht allzu fernzuliegen.
Meine Vereidigung und auch eine Verabschiedung zum Feldheer hatte ich
miterlebt. Manches erfüllte mich damals mit Stolz. Als ich das erste Mal die
Uniform anzog, und manches andere, die Enttäuschungen vieler Art sind mir
während dieser Zeit nicht erspart geblieben. Doch immer wieder hatte ich die
Gewißheit im Herzen, ich bin für Euch da, ich komme nach Beendigung dieses
Krieges zu Euch zurück und alles das liegt hinter mir. Ich hatte nur während
der langen Jahre Gelegenheit, mir die Welt zu betrachten, und ich habe mir
mannigfach das schwere Leben bei uns und das der anderesn zum Beispiel sein
lassen. Mein Lebenskreis aber auch mein Gesichtskreis der Weltbetrachtung hat
sich in diesen Jahren ungemein entwickelt.
Doch bei dieser Betrachtungsweise habe ich nie die Notwendigkeiten für
unsere Lebensauffassung vor mir verschließen können. Aber auch nie habe ich
vergessen, wo ich hingehöre. Wir hatten während dieser Jahre wiederholt das
Glück, daß wir uns sehen und sprechen konnten; doch auffallend ist dabei, daß
wir ernstlich darübwer gesprochen hatten, daß es einmal anders kommen könnte,
wie es immer war. Ich will damit nicht sagen, daß wir nicht den Mut gehabt
hätten, einem solchen Fall ins Auge zu sehen. Es lag wohl auch vielfach daran,
daß ich, wie heute auch, immer noch der Meinung bin, daß eine grundlegende
Änderung bei uns wohl kaum eintreten wird. Ich sage Dir das nicht, um Dir von
vorherein eine Kümmernis vom Herzen wegzunehmen, sondern rein gefühlsmäßig aus
meinem Inneren heraus. Ich will hoffen, daß sich dieses Gefühl nicht als
trügerisch erweist. Wir haben unsere Opfer in diesem Krieg schon in vielerlei
Hinsicht gebracht und ich möchte in diesem Zusammenhang noch an das Wort
unseres unvergeßenen Kurt erinner, der sagte:“ Wenn ich einmal draußen bleiben
sollte, dann ist das weiter nicht so wichtig, wie wenn Ihr Euch einmal von
Eurem Vater trennen müßtet, denn ich habe keinen Anhang.“ So, oder in ähnlicher
Weise hatte er gesprochen. Er hat ein Opfer gebracht und wir damit, denn er war
nicht nur ein stiller, sondern auch ein wertvoller Mensch, der viel innere
Größe hatte, wenn man es ihm auch sonst nicht so anmerkte. Sein Leben hat sich
erfüllt und seiner Auffassung nach hat sich sein Opfer dann erst erfüllt, wenn
wir uns nach diesem Kriege der Dinge unserer Familie wieder ungehindert
annehmen können. Ich muß aber hier in dieser Stunde auch noch etwas anderes
anführen, das für mich zwar keine Parallele sein soll. In meinem letzten Urlaub
kamen wir mit Resi zusammen. Sie gab uns Gelegenheit, aus einem Brief ihres Fritz
etwas zu erfahren. das sie als eine Art
Abschiedswort deutete. Ihr Frauen fühlt vielleicht noch mehr, wie wir Männer.
Das ist Euch schon in die Wiege mitgegeben worden. Aber auch ich habe mir
damals Gedanken gemacht, bevor ich von Dir ging. Ich hatte doch gewiß manchen
harten Kampftag schon erlebt und wußte, wie es hier draußen zugeht, aber ich
wehrte mich innerlich dagegen, jetzt ein solches Gef ühl aufkommen zu lassen.
Auch während des neuen Einsatzes nach meine Rückkunft hätte ich wohl manchmal
Grund gehabt, Gedanken des Abschieds zu bekommen, aber wie schon gesagt, rein
gefühlsmäßig sah ich hierzu keine Notwendigkeit. Aber wie dem auch sei. Wenn
man Unausgesprochenes so lange Jahre mit sich herumträgt, so kommt doch einmal
vor irgendeiner Seite ein Anstoß, und ich glaube, daß man diese dann von sich
geben muß, wenn man glaubt, daß das, was man in sich solange gwetragen hat,
reif genug ist, um davon zu sprechen. Nicht allein dieser Artikel ist es, der
mir den Antrieb dazu gegeben hat, es ist auch die Sorge, die ich schon seit
einiger Zeit mit Euch habe, daß ich dieses Thema einmal mit Dir besprechen muß.
Die Zeit ist sehr ernst, und ich habe Dir schon wiederholt davon Aufschluß
geben können, daß Ihr mein Lebensinhalt seid, und daß ich nur für Euch hier
draußen meine Pflicht erfül le. Daß ich dies nicht nur halb zu tun gewillt bin,
habe ich wohl dadurch bewiesen, daß man mich hat auszeichnen können. Auch dies
hat mich insoweit am meisten gefreut, daß ich Dir und der Familie sagen z#und
zeigen konnte, daß ich mich nicht unwürdig fühlen brauche, um mit Euch zusammen
zu leben. Wenn Du auch Deinen Glauben auf einem Wiedersehen in einem besseren
Jenseits aufbaust, so sehe ich das Abschiednehmen doch realer und bin des
Glaubens, daß unsere Trennung nur noch von beschränkter Dauer ist, damit wir
uns der Aufgaben unserer Familie nach Beendigung dieses Ringens in voller
Schaffenskraft wieder widmen können. Du weißt, daß ich das Leben noch nie
leicht genommen habe, und wenn ich Dir erkläre, daß ich meine Ansicht über
meine Rückkunft und über unser späteres Zusammensein nicht geändert habe. Es
muß manchmal etwas ausgesprochen werden, was man lange mit sich herumträgt, es
gibt eben niemand anderes als einen lieben Menschen, dem man dies anvertrauen
kann. Wer konnte das anderes sein als nur Du. Darum nimm dies gewissermaßen als
ein Bekenntnis, als ein Bekenntnis für Euch und für unsere Familie. Ob mir das
bnun so gelungen ist, das überlasse ichDeinem Urteil. Vielleicht wirst Du mir
zu meinem heutigen Schreibenetwas zu sagen haben. _ Bleib Du mit den Kindern
gesund und laßt Euch vielmals herzlich und innig küssen. Ich bin und bleib
immer
Euer Vaterle und Dein Ernst.
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