Donnerstag, 19. März 2020

Brief 601 vom 21./22.12.1944


Mein liebster Schatz !                                                                                 21.12.44      

Die Dämmerung ist hereingebrochen, die ja heute recht zeitig gekommen ist, denn wir haben ja nach dem Kalender den kürzesten Tag. Aber wenn wir auch eine lange Nacht haben, so ist es doch sternenklar, und am Anfang der Nacht scheint uns noch schön der Mond. Es ist schon etwas wert, wenn es nicht ganz so dunkel ist, denn in der Nacht im Graben herumstolpern ist bei völliger Dunkelheit doch keine reine Freude. Wenn die Kälte so anhält und nicht stärker wird, dann geht es ja.  Der Fluß ist wohl gefroren, aber die Tragfähigkeit kann man wohl in Zweifel ziehen.  Wenn wir gerade jetzt vor Weihnachten noch etwas schärfer als bisher aufpassen müssen, so wollen wir hoffen, daß es doch zu keinen größeren Ereignissen kommt.  Eins ist nur gut, daß wir jetzt richtig angezogen sind. Ich schieb ja, daß wir wie richtige Schläger aussehen.

Du mein liebes Mädel!                                                                                   22.12.44
Auch gestern konnte ich diesen Brief nicht zuende bringen. Es ist dies nun binnen kurzer Zeit das zweite Mal. Das geht aber manchmal dumm zu mit der Zeit, daß sie hinten und vorne nicht reicht. Mit dem Schlaf kommt es oft sowieso nicht hin. Das ist aber alles noch verträglich und ich denke, daß Du dafür Verständnis aufbringst, wenn ich an einem Brief einmal zwei Tage schreibe. Ja, mit unserer Bekleidung, da muß man sich wirklich wundern, daß es uns noch möglich ist, die Männer noch derartig einzukleiden. Jeder hat einen zweiteiligen gefütterten Anzugerhalten, ein Paar feste Handschuhe und Kopfschützer. Heute soll es Filzstiefel geben. Es handelt sich bei dem meistens um neue Sachen. Dann erhält jeder einen zweiten Pullover, der aus der Wollesammlung stammt. Meiner muß ein Damenpullover gewesen sein. Der ist schön bunt quergestreift. Doch das macht wohl weiter nichts, denn die Hauptsache ist wohl daß er warm hält. Von den gestrickten neuen Wollunterhosen hatte ich ja auch schon geschrieben. Du siehst also, daß in dieser Hinsicht für uns gesorgt worden ist. Wenn ich schon davon schreibe, daß man sich wundern muß über das, was noch geliefert wird, dann liegt für das Wundern noch eine weitere Veranlassung vor, wenn man die Weihnachtszuteilungen betrachtet. Damit der Mann nicht alles bei sich haben muß, ist uns schon vorgestern ein Teil dieser Sachen ausgehändigt worden. Es gab für den Kopf etwa 30 Stück Gebäck /Keksart), den Tag vorher eine Stolle und gestern bekam jeder eine Wurst von Etwa einem Pfund. Bonbons und Likör wurden außerdem noch zugewiesen. Rauchwaren hat es ebenfalls schon gegeben, doch es soll noch etwas kommen. Ist das nicht allerhand? Ich habe im Moment soviel zu essen, daß ich damit bestimmt nicht durchkomme. Aber ich denke, daß ich es mit der Zeit schon noch schaffen werde. Aber nun erst einmal herzlichen Dank für Deinen Brief Nr. 114 vom 6.12. Heute früh erhielt ich ihn beim Postempfang. Deine Schilderung vom Nikolausabend der beiden Mädels hat mir Spaß gemacht. Ich kann mir denken, daß sie selbst alle Beide Freude daran gehabt haben. Ihre große Freude wird wohl mit darin bestanden haben, daß sie nicht erkannt wurden. Du mußt sie aber auch ziemlich gut hergerichtet haben. Daß nun unser Lümmel ein solcher Herumtreiber ist und sich erst kurz vor Mitternacht heimfindet, das ist auch meine Meinung, daß die Jungs nicht nur bis kurz nach Einbruch der Dunkelheit nach hause gehören, sondern daß sich diese Bengels, die sich Führer nennen, von den anderen absondern und meinen, sie müßten für sich extra etwas tun. Ich habe nur immer wieder die Meinung von unserem Jungen, daß er an sich natürlich denken kann, und das er mit Hilfe des Einflusses des Elternhauses in sich bewahrt und das er sich nicht durch solche Mätzchen verderben läßt.  Vielleicht kann er doch einmal mit seiner gesunden charakterlichen Veranlagung anders wirken, als diese von den anderen bisher bekannt geworden ist. Hauptsächlich aus diesem Grundhabe ich auch nichts dagegen einzuwenden, daß er mitmacht. Ich hoffe nur immer wieder, daß er sich  ein gesundes Empfinden bewahrt und daß er es entsprechend anwendet. DAß die Straßenbengels sich von ihm unterscheiden, siehst Du ja auch schon daran, daß diese sich erst stark fühlen, wenn sie in Gemeinschaft sind. Es sind doch im allgemeinen gesehen große Feiglinge. Ich freue mich deshalb auch, daß sich Jörg nicht in diesem Fahrwasser befindet und daß als Kerl auftreten kann. Wenn das nicht der Fall wäre, würde er sicherlich nicht, nachdem er erst dieses Jahr zu den Pimpfen gekommen ist, zu diesem Führerlehrgang genommen worden sein. Er soll sich seine Art bewahre. Ich glaube, daß er dann ohne viel Schwierigkeiten durchkommen wird.  Von der Gehaltsabrechnung habe ich Kenntnis genommen. Was macht das eigentlich monatlich brutto aus, was ich erhalte? Waren das schon immer 280,RM? Mit der Länge der Zeit kommt man so ganz und gar heraus. Mit dem, was Du abheben kannst, kommst Du doch wohl durch, oder wird es sehr knapp bei den verschiedenen Zahlungen?  Du schreibst, daß Du nichts nach Leipzig schicken kannst, weil Du in diesem Jahr nichts hättest. Wie ist das, hast Du nicht einige Rauchwaren abgesandt? Wenn das noch möglich ist dann kannst Du das ja nachholen. Dein Vater wird sich sicherlich darüber freuen. Ich habe ja auch schon wieder einiges, was ich an Dich absenden kann. Du mußt ja noch einen kleinen Vorrat da haben.  Was hört man denn von Fritz? Ist da bis jetzt noch keine Nachricht von seiner Einheit angekommen? Das würde mich aber schwer wundern. Man muß doch die Frau einmal benachrichtigen. Man kann sie doch nicht im Unklaren lassen. Das wäre doch recht seltsam. Was sagt denn Resi zu allem?  Augenblicklich herrscht bei uns schönes winterliches Wetter. Es ist nur schade, daß man so gut wie nichts davon hat. Am Tage, wenn die Sonne scheint, schläft man, sofern einem Zeit und Gelegenheit dazu gegeben ist. Will man hier laufen, dann kann man sich doch die meiste Zeit nur im Graben bewegen. Nachts ist es ja empfindlich kalt, so daß unser Fluß schon eine ziemlich geschlossene Eisdecke bekommen hat. Es ist aber noch nicht so, daß man schon darauf laufen kann. Hoffentlich bleibt dieser Zustand noch eine Weile so, aber auf die Witterung haben wir ja keinen Einfluß.  Nun lasse mich wieder mit recht herzlichen Grüßen und vielen lieben Küssen schließen. Ihr seid meine lieben Drei mit Seelen (?), denen mein ganzes Streben und meine ganze Liebe gilt. Bleibt gesund und behaltet mich lieb, denn ich bin und bleibe ja immer Euer Vaterle und 

Dein Ernst

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