Du mein herzliebes Mädel ! 24.11.44
Unter den gegenwärtigen Umständen scheint es das beste zu
sein, wenn ich mein Briefschreiben in die Zeit nach unserer Grabenstreife
verlege, denn tagsüber habe ich schlicht keine Möglichkeit, Dir zu schreiben,
wenn ich zwar oft an Euch denke. Das
Denken nimmt ja nicht soviel Zeit weg, wie wenn man sich erst hinsetzt. Das
merkt auch keiner weiter. Denn wenn ich mich erst irgendwo breitmachen muß,
dann haben diese komischen Feldwebel sicher etwas auszusetzen oder irgeneinen Auftrag.
Wenn wir zwar auch mit den Lichtern nicht gerade reich gesegnet sind, aber
soviel muß es einfach werden. Schließlich kann ich ja das Briefeschreiben nicht
einstellen. _ Hier ist auch ein Stillstand eingetreten in der Zustellung der
Post, denn seit einigen TAgen bekomme ich keine liebe Nachricht von Dir.
Gestern abend erhielt ich von Siegfried einen Brief, der micht recht gefreut
hat. Er schreibt sehr nett und hat mir auch mitge teilt, wo er sich jetzt
aufhält. Den Brief klasse ich Dir mit zugehen, wenn ich ihn beantwortet habe.
Daß er nun gleich an Helga und Jörg je 50,.RM zum Geburtstag sendet, das ist ja
wirklich sehr nobel, wie er sich selbst ausdrückt. Da muß sich ja wirklich der
eigene Vater verstecken. Daß er auch an Bekleidungsstücke gedacht hat, freut
mich umso mehr, weil doch daheim alles rart ist. Man sieht eben, daß es dort
noch Möglichkeiten gibt, um etwas zu kaufen. Hier ist das ja ganz
ausgeschlossen. Der nächste Ort ist etliche Kilometer weg und eine Stadt, in
der man etwas kaufen könnte, gibt es nicht bezw. sie ist schon geräumt.
Ausserdem ist es ja so, daß in den Gebie ten, in denen wir uns aufhalten, alles
unter Bewirtschaftung steht. Mich freut aber in erster Linie, daß er sich
Deiner erinnert. Das Leben bei uns hier
entbehrrt nun jeder Gemütlichkeit, soweit man überhaupt hier davon sprechen
könnte. Heute nacht hat es wieder fein geregnet, verbunden mit Schnee, während
es gestern ganz anders war, abgesehen von dem heftigen Wind. In unserem Bunker
steigt von den dauernden Niederschlägen stetig das Wasser. Die Luft ist immer
feucht und ohne Schuhe kann man hier keinen Schritt tun. Zwar habe ich schon
seit Wochen nur einmal Gelegenheit gehabt, mich richtig abzuwaschen. Man wird
wirklich zu einem Schwein. Mit den Schuhe legt man sich zu Bett, weil man ja
jederzeit bereit sein muß. Der Mantel ist versaut und verdreckt durch das
DurchdenGrabenLaufen. Überall streift man an und der Sand und der Lehm bleiben
hängen. Manchmal ist es wirklich beängstigend. _ Einige Päckchenmarken lebe ich
Dir bei, die Du bei Gelegenheit verwenden kannst, wenn irgendetwas zu schicken
ist. Ausserdem füge ich eine Urkunde mit bei, die Du bitte mit aufhabst. Mit
dem nächsten Brief sende ich Die andere. Man weiß ja nicht, ob sie verloren
geht. Dann wären alle beide mit einem Mal weg. Das Risiko ist eben heute in
allen Sachen, die man in fremde Hände geben muß, groß. Ein Päckchen habe ich ge
stern auch an Dich abgesandt. Der Inhalt, vor allem wieder Rauchwaren und zwei
Rollen Drops. Ich wünsche guten Empfang. _ Die Kämpfe im Westen nehmen in den
letzten Tagen eine Form an, die langsam beängstigend wirkt. Nun wird es bald
noch soweit kommen, daß auch Ihr an das Räumen denken müßt. Ich hoffe zwar, daß
die Westverteidigungsanlagen doch noch einen Kampfwert besitzen, um die Angriffe
aufzufangen und aufzuhalten. Ich weiß ja nicht, wie bei Euch die Lage beurteilt
wird. Auf jeden Fall bitte ich Dich, daß Du mich in dieser Beziehung auf dem
Laufenden hältst. Du weißt ja, wie Du Dich verhalten sollst. Ich würde ja
versuchen, bei Dora anzufragen, ob sie Euch eine Weile aufnehmen könnte. Ich
weiß aber nicht, ob Dir das recht ist. Wir haben us zwar lange geschrieben,
aber ich würde es gern für Euch tun.
Lasse Dich und die Kinder recht herzlich grüßen und vielmals küssen. In
Gedanken weile ich immer bei Euch. In treuer Liebe
Dein Ernst.
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