Donnerstag, 19. März 2020

Brief 600 vom 19.12.1944


Du mein liebster Schatz!                                                                                     19.12.44      

Einigermaßen zur Ruhe gekommen, möchte ich Dir von meinem neuen Gesichtspunkt aus meinen heutigen Gruß zukommen lassen. Es soll aber auch gleichzeitig mein Neujahrsbrief werden. Vorerst aber doch von dem, was so zu erledigen ist.  Gestern kam ein Brief von Deinem Vater an. Es war ein Rundbrief Nr. 23. Ich hatte ihm erst kürzlich nochmals geschrieben, ob er mir etwa mein Sonderschreiben übel genommen hätte. Das scheint wohl nicht der Fall zu sein, im Gegenteil, er hebt meinen Brief wieder einmal so besonders hervor. Was wird das bei ihm erst noch für ein Gewundere hervorgerufen haben, als er so ganz kurz und bündig von meinen Auszeichnungen erfahren hat. Im großen und ganzen schreibt er ja ziemlich das wieder, was wir so jedes Mal von ihm erfahren. Es hat mich gefreut, daß er bei seiner Betrachtung über die Gräber auch an unseren Kurtgedacht hat. Ja, was aus den Gräbern dieser armen Jungs geworden ist, das weiß man so gar nicht. Es laufen da ja so die verschiedensten Ansichten. _ Ehe wir hierher gegangen sind, hatten wir ja noch einen ordentlichen Kompanieabend mitgemacht. Ich persönlich hatte ja keine besonders starken Absichten. Aber wenn man so eine Bekanntheit erreicht hat, wie das bei mir der Fall ist, dann muß man schon mehr mittun, als man sich vorgenommen hatte. Ich bin aber trotz allem klar geblieben, denn unmäßig habe ich dabei trotzdem nicht gelebt. Das Essen war gut und reichlich, wie ich Dir ja schon berichten konnte. Nun geht es streng auf Weihnachten zu, und wir sollen schon heute und in den kommenden Tagen unsere Weihnachtszuteilung erhalten.  Damit wir nicht alles auf einmal bekommen. Wir werden uns also durch das, was uns geboten werden wird, hindurcharbeiten. Was uns jeweils geboten wird, das schreibe ich Dir dann. Eines steht fest, daß ich Dein zweites größeres Päckchen noch gerettet und bis jetzt aufgespart habe, das werde ich mir vornehmen, wenn ich Deinen Weihnachtsbrief lese. Mit dem Näherrücken der Weihnachtstage kommen wir auch dem Ende des Jahres entgegen. Das Jahresende als solches gibt uns immer wieder Veranlassung über die hinter uns liegenden Tage des Jahres zu blicken. Aber Jahresende ist ja eigentlich Rückblick und Ausblick zugleich. Denn nach diesem Monat folgt ja der Januar, der nach dem römischen Janus benannt ist. Janus ist der Gott mit den zwei Gesichtern, das eine vor und das andere rückblickend. Das alte Jahr liegt nun bald hinter uns, und wir müssen uns dabei fragen, wie auch die Jahre vorher, was hat uns das Jahr gebracht.  Am 1. Januar war ich mit Kameraden zusammen und hörten, uns die Rede de Kommandeurs von Griechenland an, der der Hoffnung Ausdruck gab, daß wir dem Ende des Krieges in diesem Jahre entgegengehen mögen. Für mich hat es manche Umstellung gegeben. Ich mußte mir, nachdem ich erfahren hatte, daß es nicht mehr umgänglich ist, mich noch länger als Beamten zu halten, sagen, daß jetzt in mancher Hinsicht ein schärferer Wind wehen würde. Die Versprechungen waren am Anfang recht beachtlich. Mit meiner Rückversetzung nach Deutschland war ja ein Urlaub verbunden. Erwartet und doch unerwartet traf ich bei Euch ein. Schöne Tage ohne den grauen Rock konnte ich mit Euch verleben. Manche Kleinigkeiten konnte ich Dir noch präsentieren, was mir immer eine besondere Freude war. Damals lagen die Dinge gewiß nicht rosig für uns, aber man hatte doch nicht erwartet, daß in einigen Monaten die Lage sich so ändern würde, daß manchmal bald die Veranlassung vorlag, an einem Endsieg zu zweifeln. Nachdem die Urlaubstage verflossen waren, verzog ich mich nach Marburg und im Stillen trug ich mich schon mit dem Gedanken, wenn es irgend möglich ist, mit Euch nochmals zusammenzukommen. Ich konnte es ja dann erreichen, einen kurzen Zwischenurlaub in Leipzig einzuschieben, und wir trafen uns vorher noch einmal, bevor ich meinen Weg nach Rußland antrat. Das Zusammensein mit den Kindern und Dir war so schön und so eindrucksvoll, daß es für uns stets eine bleibende Erinnerung sein wird. Die kurzen Besuche von Orten, an denen wir früher gemeinsam waren.  Auch hier konnten wir Gedanken und Erinnerungen auffrischen. Unsere früheren Wohnstätten und die Dinge, die damit verknüpft sind, waren nicht nur für uns sondern auch für die Kinder interessant. Für wie lange Zeit der Abschied gehen würde, das lag ja für uns alle noch im Dunkel. Ich trat dann meine Fahrt in den Raum von Minsk an, um dort wieder meine schon früher erworbenen Kenntnisse aufzufrischen. Das Leben hatte gewisse Härten, doch lebte man immer noch in einer ziemlich gesicherten Zone. Der Dienst war wohl ausgiebig aber doch zum Aushalten. Nach Wochen trat der Russe zum Angriff an und wir mußten als Etappeneinheit abziehen. Wir marschierten und glaubten nicht, daß es ein derart langer Marsch werden sollte, der uns auf eine Strecke von rund 500/600km führen würde. Bald kamen die ersten Zusammenstöße und Gefechte und plötzlich waren wir mitten im Kampfgeschehen drin. Die Feuertaufe hatten wir ziemlich schnell und gründlich weg. Auch sonst wurde man mit vielen Dingen vertraut, die alles andere nur nicht angenehm waren. Wir haben das getan, was wir konnten, und bald war ich soweit, daß ich die Fahrt ins Lazarett eintreten mußte. Ich glaube, daß ich es Dir damals schon schrieb, daß es für mich mit die erhabendste Stunde war, nach all den Schrecknissen wieder deutsche Menschen und deutsche Ordnung zu sehen. Daß ich dabei weich wurde, dessen brauche ich mich gewiß nicht zu schämen, denn dafür war das vorher Durchlebte zu eindrucksvoll. Diese Tage, von denen ich nicht geglaubt hatte, daß sie sich so lang hinausziehen würden, haben mich wieder ordentlich aufgefrischt. Das größte Glück widerfuhr mir aber, als ich im Anschluß an meinen Lazarettaufenthalt noch an so herrlichen Sommertagen bei Euch sein konnte. Ich stehe wieder in Gedanken vor unserer Haustür und klingele Alarm. Dich höre ich leise und ungeduldig wettern (?). Deinen leisen Schrecken sehe ich beim Öffnen der Tür und die Freude darüber, daß ich zu Euch zurückgekehrt bin. Es war ein herrliches Erleben. Das Zusammensein mit Euch. Die sonnigen Badetage und immer wieder die Freude über das unverhoffte Wiedersehen. Es war ein Glück, das ich mir Tage vorher gar nicht auszudenken wagte. Es war aber trotz allem Wirklichkeit geworden. Ihr hattet alles, was nur möglich war, aufgeboten, um mir diese Erholungstage so unbeschwert wie nur möglich zu gestalten. Der Abschied war wohl wieder schwer, aber die Gewißheit, daß wir uns in einem Jahre zum dritten Male sehen durften, die war uns gegeben und die machte uns vollends froh und gab uns die Stärke, über das, was nun einmal unveränderlich war, hinwegzukommen. Den Luftangriff auf Königsberg und auch das Aushalten in unserem Brückenkopf habe ich glücklich hinter mich gebracht. Es waren alles harte Stunden.  Nach dem, was man während der großen Absatzbewegung vom Sommer her gewöhnt war, glaubten wir alle, daß wir uns in der neugewonnen Stellung nicht allzu ewig aufhalten würden. Über drei Monate sind seither schon vergangen. Noch stehen wir hier, was immerhin als etwas gewertet werden muß. Was uns hier noch bevorsteht, das läßt sich ja heute noch nicht voraussagen, doch hoffen wir, daß es uns möglich ist, hier solange zu bleiben, bis auch hier neue Kräfte eingesetzt werden können. Die Stellungen haben wir hier ziemlich gründlich kennen lernen können. Vielleicht gereicht uns das auch einmal zum Vorteil. Gerade gestern erreichte uns die Nachricht, daß unsere Truppen wieder im Westen zum Angriff angetreten sind. Für mich ist das wieder eine gewisse Beruhigung insofern, daß ich vielleicht hoffen darf, daß Ihr unsere Heimat nicht verlassen braucht. Wenn es dann möglich sein sollte, im Ausblick auf das neuen Jahr, uns nach dem Kriegsende gesund wiederzusehen, dann wollen wir alles das, was wir an Kummer und Sorgen mitmachen mußten, hinter uns lassen und neu auf dem aufbauen, was uns verblieb. Ich wünsche dies uns, Dir und den Kindern, denn Ihr seid die, für die ich meine Pflicht erfülle. Das muß ich jedes Mal wieder betonen, und daran wird sich bei mir auch nichts ändern. Hoffen wir also im Ausblick auf das neue Jahr, daß wir nun doch zu einem sichtbaren Erfolg  kommen, der uns neuen Auftrieb und ein Vorwärtskommen gibt, damit dieses fürchterliche Ringen nun doch einmal ein Ende nimmt. Vom neuen Jahr erhoffen wir uns wieder soviel Glück, wie von dem scheidenden, denn wir persönlich können doch sagen, daß es unserem kleinen Kreis, trotz der schweren äußeren Umstände, manche schöne Stunde gebracht hat. Gesundheit ist aber höchste Erfordernis, das wir alle dringend brauchen und um das wir am meisten bitten müßten. Darum ein kräftiges Glückauf und mit neuem Mut in das Neue Jahr, das uns nun doch den ersehnten Frieden bringen möge. Daß Ihr in Gedanken immer bei mir sein werdet, wie ich bei Euch bin darüber brauche ich wohl nicht erst besonders sprechen.  Herzliche Grüße und viele liebe Küsse sende ich Dir und den Kindern. Gleichzeitig auch an Vater herzliche Neujahrsgrüße von 

Deinem Ernst.

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