Donnerstag, 19. März 2020

Brief 610 vom 3.1.1945


Liebste Annie, Du guter Schatz !                                                                            3.1.45       

 Für Deine beiden Schreiben vom 20. und 22.12. Nummer 124 und 125 danke ich Dir recht. Wie mir scheint, habe ich Dich aber wohl doch etwas zui sehr mit meinen Schreiben verwöhnt, weil Du gleich von meinem Brief Nummer 136 feststellst, daß er kurz sei. Du schränkst zwar ein, daß Du Dich gefreut hättest, daß ich trotz des Marsches noch an Dich geschrieben hätte. Ich weiß zwar, daß Du gerade durch Deine Näharbeit, die Du freiwillig übernommen hast, mit Deiner Zeit nicht allzu viel Vergeudung treiben kannst, aber in den letzten Tagen muß ich aus Deinen Briefen öfters lesen, daß Du „gestern“ nicht schreiben konntest. Ich nehme zwar an, daß Du auch durch die vorweihnachtlichen Arbeiten ziemlich angespannt bist. Es ist ja viel, was Du immer zu arbeiten hast, ich weiß das wohl, aber ich bitte Dich trotzdem, daß das ein Ein-Tag-um-den-Anderen-Schreiben nicht zur Gewohnheit wird. Daß Du mich nicht vergißt, ist mir wohl bekannt, doch auch ich freue mich über jede Zeile, die ich von Dir erhalte. Wenn Du eben zuviel zu tun hast, mußt eben ab und zu mit der Näherei aussetzen, denn das geht auf die Dauer auch nicht, daß Du Nacht für Nacht bis 12 und 1 Uhr schaffst. Daß Du Dich nun abschuftest, liegt nicht in unser aller Interesse, denn Du mußt Dich nicht nur für Dich gesund erhalten, sondern für uns alle. Ich bitte Dich immer wieder, daß Du Dir das vor Augen hältst. Wenn Du auch Deine Freude daran hast, daß Du  zu Deinem Teil an den Kriegsanstrengungen teilhaben kannst, so darfst Du das, was ich vorher erwähnt habe, nicht außer acht lassen.  Helga wird sicher ihre Freude an der ihr gearbeiteten Mütze haben, denn blond und blau paßt doch nach meiner Meinung ganz gut zueinander.  Wie ich aus Deinem gestrigen Brief las, hat Jörg doch wieder Schule gehabt. Du schriebst mir doch einmal, daß ihr Schulunterricht ausfiel, weil ein Lazarett dort eingerichtet wurde. Es ist mir schon lieber, wenn er nicht verbummelt.  Das Päckchen Nr. 1 hatte ich schon ganz aufgegeben. Ich dachte, daß es schon verloren gegangen sei. Damit sind die ersten fünf Päckchen alle bei Dir eingelaufen. Ich bin nun gespannt, wie es den anderen zehn Päckchen , die noch unterwegs sind, ergeht. Es freut mich jedenfalls, daß es trotz der vergangenen Zeit ncch den Weg zu Dir gefunden hat. Der Zettel, der darin lag, hat die Tour mit durch den Narew gemacht, darum hat er so komische Ränder. Das mitgesandte Schreiben von Marburg habe ich inhaltlich schon von meiner früheren Dienststelle erhalten. Ich schrieb ja schon an Dich um Deine Meinung wegen des Reserveoffiziers. Ob diese ganze Sache für mich in Betracht kommt, weiß ich ja nicht genau. Ich habe jedenfalls zu meiner Unterrichtung nochmals an meine alte Dienststelle geschrieben. Ich werde abwarten, was ich von dort für eine Antwort erhalte. Ich könnte mich ja schließlich auch hier befragen, aber diese Herren haben ja uns alle nicht sondern leiden mögen. Ich möchte mir hier keine Abfuhr holen, wenn es nicht nötig ist.  In der vergangenen Nacht hat es hier ordentlich geschneit. Ein heftiger Wind hat ihn nun stellenweise verweht.  Gegen morgen, als es sich etwas erwärmte, hat es nun darauf geregnet, so daß jetzt alles verharscht ist. Das ist weniger angenehm. Aber heute Abend marschieren wir ja. Am 5. soll bei uns ein kräftiger Kameradschaftsabend gestartet werden. Ich verhalte mich im wesentlichen abwartend und lasse mich überraschen. Ruhe werden wir nicht sonderlich haben, denn wahrscheinlich werden wir exerziermäßig ziemlich herangenommen werden, aber lassen wir der Dinge ihren Lauf. Bleibt Ihr mir gesund. Laßt Euch alle Drei recht herzlich grüßen und recht recht oft küssen von 

Deinem Euch liebenden Ernst.

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