Liebste Annie, Du guter Schatz ! 3.1.45
Für Deine beiden
Schreiben vom 20. und 22.12. Nummer 124 und 125 danke ich Dir recht. Wie mir
scheint, habe ich Dich aber wohl doch etwas zui sehr mit meinen Schreiben
verwöhnt, weil Du gleich von meinem Brief Nummer 136 feststellst, daß er kurz
sei. Du schränkst zwar ein, daß Du Dich gefreut hättest, daß ich trotz des
Marsches noch an Dich geschrieben hätte. Ich weiß zwar, daß Du gerade durch
Deine Näharbeit, die Du freiwillig übernommen hast, mit Deiner Zeit nicht allzu
viel Vergeudung treiben kannst, aber in den letzten Tagen muß ich aus Deinen
Briefen öfters lesen, daß Du „gestern“ nicht schreiben konntest. Ich nehme zwar
an, daß Du auch durch die vorweihnachtlichen Arbeiten ziemlich angespannt bist.
Es ist ja viel, was Du immer zu arbeiten hast, ich weiß das wohl, aber ich
bitte Dich trotzdem, daß das ein Ein-Tag-um-den-Anderen-Schreiben nicht zur
Gewohnheit wird. Daß Du mich nicht vergißt, ist mir wohl bekannt, doch auch ich
freue mich über jede Zeile, die ich von Dir erhalte. Wenn Du eben zuviel zu tun
hast, mußt eben ab und zu mit der Näherei aussetzen, denn das geht auf die
Dauer auch nicht, daß Du Nacht für Nacht bis 12 und 1 Uhr schaffst. Daß Du Dich
nun abschuftest, liegt nicht in unser aller Interesse, denn Du mußt Dich nicht
nur für Dich gesund erhalten, sondern für uns alle. Ich bitte Dich immer
wieder, daß Du Dir das vor Augen hältst. Wenn Du auch Deine Freude daran hast,
daß Du zu Deinem Teil an den
Kriegsanstrengungen teilhaben kannst, so darfst Du das, was ich vorher erwähnt
habe, nicht außer acht lassen. Helga
wird sicher ihre Freude an der ihr gearbeiteten Mütze haben, denn blond und
blau paßt doch nach meiner Meinung ganz gut zueinander. Wie ich aus Deinem gestrigen Brief las, hat
Jörg doch wieder Schule gehabt. Du schriebst mir doch einmal, daß ihr
Schulunterricht ausfiel, weil ein Lazarett dort eingerichtet wurde. Es ist mir
schon lieber, wenn er nicht verbummelt.
Das Päckchen Nr. 1 hatte ich schon ganz aufgegeben. Ich dachte, daß es
schon verloren gegangen sei. Damit sind die ersten fünf Päckchen alle bei Dir
eingelaufen. Ich bin nun gespannt, wie es den anderen zehn Päckchen , die noch
unterwegs sind, ergeht. Es freut mich jedenfalls, daß es trotz der vergangenen
Zeit ncch den Weg zu Dir gefunden hat. Der Zettel, der darin lag, hat die Tour
mit durch den Narew gemacht, darum hat er so komische Ränder. Das mitgesandte
Schreiben von Marburg habe ich inhaltlich schon von meiner früheren
Dienststelle erhalten. Ich schrieb ja schon an Dich um Deine Meinung wegen des
Reserveoffiziers. Ob diese ganze Sache für mich in Betracht kommt, weiß ich ja
nicht genau. Ich habe jedenfalls zu meiner Unterrichtung nochmals an meine alte
Dienststelle geschrieben. Ich werde abwarten, was ich von dort für eine Antwort
erhalte. Ich könnte mich ja schließlich auch hier befragen, aber diese Herren
haben ja uns alle nicht sondern leiden mögen. Ich möchte mir hier keine Abfuhr
holen, wenn es nicht nötig ist. In der
vergangenen Nacht hat es hier ordentlich geschneit. Ein heftiger Wind hat ihn
nun stellenweise verweht. Gegen morgen,
als es sich etwas erwärmte, hat es nun darauf geregnet, so daß jetzt alles
verharscht ist. Das ist weniger angenehm. Aber heute Abend marschieren wir ja.
Am 5. soll bei uns ein kräftiger Kameradschaftsabend gestartet werden. Ich
verhalte mich im wesentlichen abwartend und lasse mich überraschen. Ruhe werden
wir nicht sonderlich haben, denn wahrscheinlich werden wir exerziermäßig
ziemlich herangenommen werden, aber lassen wir der Dinge ihren Lauf. Bleibt Ihr
mir gesund. Laßt Euch alle Drei recht herzlich grüßen und recht recht oft
küssen von
Deinem Euch liebenden Ernst.
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