Donnerstag, 19. März 2020

Brief 607 vom 31.12.1944


Du mein liebstes Mädel, liebste Frau !                                                                   31.12.44      

Mit diesem Brief werde ich nun unseren Briefwechsel für dieses Jahr beschließen. Es war ein langes und sorgenreiches Jahr, das wir nun in wenigen Stunden abschließen. Aber trotz aller Schwernisse und trotz großer Anforderungen, die an uns gestellt wurden, könne wir heute sagen, daß wir es geschafft haben. Der Weg war hart und steinig, aber wenn wir vielleicht etwas Abstand von diesen großen Ereignissen gewonnen haben, werden wir einmal sagen, es hat sich gelohnt. Im Ungewissen liegt nun das Jahr 1945. Wir erhoffen uns von ihm sehr viel, denn dieses Hinausziehen Jahr um Jahr kann wohl auf die Dauer nicht getragen werden. Was haben nicht allein die vielen bombengeschädigten Familien aufgeben und leiden müssen. Wie viele haben ihr Haus und ihren Hof aufgeben müssen, weil der Krieg an unsere Grenzen herangerückt ist und teilweise diese Grenzen schon überschritten hat. Die Nervenanspannung des Einzelnen von der Arbeit her ist ebenfalls stark, und doch hat es sich gezeigt, daß wir in der Lage sind, unserem Feind die Stirn zu bieten, wenn wir nur unsere Kräfte alle anspannen. Trotz des verstärkten Einsatzes gibt es aber leider auch heute noch Menschen, die Abseits von diesen Dingen stehen und andere den Kopf hinhalten lassen. Solche Schmarotzer wird es immer wieder geben und die muß man packen, wo man sie antrifft. Mit verstärktem Glauben und neuem Vertrauen wollen wir aber in das Neue Jahr hineingehen, denn das, was uns im vergangenen Jahr bekannt geworden ist, liegt zum größten Teil grau hinter uns. Die Zukunft ist zwar nicht rosig, denn sie wird uns manches abverlangen, aber wenn wir fest zupacken, werden wir es meistern. _ Vielmals danke ich Dir für Deine lieben Zeilen vom 19., die mir gestern bei der Postverteilung ausgehändigt wurden. Manche Kleinigkeit erwähnst Du, die mir wieder gefallen haben. Schön ist es, daß Ihr zum Fest doch ein kleines Bäumchen gehabt habt. Es macht das Fest doch gleich stimmungsvoller. Wenn die Gabenverteilung auch nicht groß sein konnte, so gibt solch ein Bäumchen doch gleich einen anderen Rahmen. Du hast ja noch einige Kleidungsstücke für unsere beiden Stromers kaufen können. Das macht ja nicht nur ihnen, sondern auch Dir Freude, weil Du diese Sachen, trotz der Schwierigkeiten, die jetzt bestehen, hast bekommen können.  Was machst Du nur mit Deinem großen Verdienst, den Du im November ausgezahlt erhalten hast? Eins ist mir nicht ganz klar, wenn Du schreibst, Du hättest auch Ferien bis zum 2. Januar? Du gehst doch immerhin noch freiwillig zum Schaffen. Es freut mich, daß Du mich damit tröstest, daß auch an Dir die Jahre nicht spurlos vorübergegangen sind und daß auch Du älter geworden seist. Damit werde ich zwar meine grauen Haare nicht los, aber ich will mir diese Worte als kleinen Trost gelten lassen. Doch es liegt doch durchaus Grund zu meiner Auffassung vor, wenn Du mit Deiner Frisur jünger wirkst, daß ich eben doch wie der Vater von allen aussehen muß. Aber das Jüngeraussehen gehört nun einmal zum Vorrecht einer Frau, und damit will ich mich abfinden.  Du bemerkst weiter, daß die Kinder wieder Ferien haben. Jörg macht doch schon länger frei. Wie steht es denn mit seinem Lernen während dieser freien Wochen? Ich hoffe, daß er sich dahinter setzt während dieser Zeit, das will ich nochmals betonen, muß er mindestens eie Stunde am Tag sich seinen Büchern widmen.  Ich muß sagen, daß sich Frau Dietz immer noch in rührender Weise um unseren Jungen kümmert. Sie vergißt ihn nicht. Hast Du ihr denn auch wieder einmal ein Bild von ihm mitgesandt. Ich erwarte, daß sich unser Junge einmal persönlich bedankt. Er hat jetzt Zeit dafür, da gibt es kein Hinauszögern.  Gestern erlebte ich noch eine weitere Freude, denn ich erhielt von Siegfried einen wirklich netten Brief, den ich Dir mit zugehen lasse, wenn ich ihn beantwortet habe. Ich finde, daß das Verhältnis, das doch in früheren Jahren zwischen mir und ihm nicht immer zufriedenstellend war, das sich das von Jahr zu Jahr gebessert hat. Manchmal könnte ich sagen, daß die Verbindung zwischen uns nicht besser sein könnte, wenn wir Brüder wären. Das freut mich auch, daß ich das in Deiner Gegenwart sagen darf, denn er ist ja schließlich Dein Bruder. Es will ja schon etwas heißen, daß ich im Laufe der Jahre ein solches Verhältnis zu Dir herstellen konnte—aber das gehört ja wieder nicht hierher.  Unter dern letzten Jahresbrief möchte ich einen besonders lieben und kräftigen Kuß zum Abschluß setzen. Die Grüße sollen nicht minder herzlich sein für Dich, die Kinder und Vater. Glück auf ins Neue Jahr. Die besten Wünsche für Gesundheit im Neuen Jahr begleiten auch diesen Brief. Seid immer lieb zueinander und zu Eurem Vaterle und zu 

Deinem Ernst.   

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