Du mein liebstes Mädel, liebste Frau ! 31.12.44
Mit diesem Brief werde ich nun unseren Briefwechsel für
dieses Jahr beschließen. Es war ein langes und sorgenreiches Jahr, das wir nun
in wenigen Stunden abschließen. Aber trotz aller Schwernisse und trotz großer
Anforderungen, die an uns gestellt wurden, könne wir heute sagen, daß wir es
geschafft haben. Der Weg war hart und steinig, aber wenn wir vielleicht etwas
Abstand von diesen großen Ereignissen gewonnen haben, werden wir einmal sagen,
es hat sich gelohnt. Im Ungewissen liegt nun das Jahr 1945. Wir erhoffen uns
von ihm sehr viel, denn dieses Hinausziehen Jahr um Jahr kann wohl auf die
Dauer nicht getragen werden. Was haben nicht allein die vielen
bombengeschädigten Familien aufgeben und leiden müssen. Wie viele haben ihr
Haus und ihren Hof aufgeben müssen, weil der Krieg an unsere Grenzen
herangerückt ist und teilweise diese Grenzen schon überschritten hat. Die
Nervenanspannung des Einzelnen von der Arbeit her ist ebenfalls stark, und doch
hat es sich gezeigt, daß wir in der Lage sind, unserem Feind die Stirn zu
bieten, wenn wir nur unsere Kräfte alle anspannen. Trotz des verstärkten
Einsatzes gibt es aber leider auch heute noch Menschen, die Abseits von diesen
Dingen stehen und andere den Kopf hinhalten lassen. Solche Schmarotzer wird es
immer wieder geben und die muß man packen, wo man sie antrifft. Mit verstärktem
Glauben und neuem Vertrauen wollen wir aber in das Neue Jahr hineingehen, denn
das, was uns im vergangenen Jahr bekannt geworden ist, liegt zum größten Teil grau
hinter uns. Die Zukunft ist zwar nicht rosig, denn sie wird uns manches
abverlangen, aber wenn wir fest zupacken, werden wir es meistern. _ Vielmals
danke ich Dir für Deine lieben Zeilen vom 19., die mir gestern bei der
Postverteilung ausgehändigt wurden. Manche Kleinigkeit erwähnst Du, die mir
wieder gefallen haben. Schön ist es, daß Ihr zum Fest doch ein kleines Bäumchen
gehabt habt. Es macht das Fest doch gleich stimmungsvoller. Wenn die
Gabenverteilung auch nicht groß sein konnte, so gibt solch ein Bäumchen doch
gleich einen anderen Rahmen. Du hast ja noch einige Kleidungsstücke für unsere
beiden Stromers kaufen können. Das macht ja nicht nur ihnen, sondern auch Dir
Freude, weil Du diese Sachen, trotz der Schwierigkeiten, die jetzt bestehen,
hast bekommen können. Was machst Du nur
mit Deinem großen Verdienst, den Du im November ausgezahlt erhalten hast? Eins
ist mir nicht ganz klar, wenn Du schreibst, Du hättest auch Ferien bis zum 2.
Januar? Du gehst doch immerhin noch freiwillig zum Schaffen. Es freut mich, daß
Du mich damit tröstest, daß auch an Dir die Jahre nicht spurlos vorübergegangen
sind und daß auch Du älter geworden seist. Damit werde ich zwar meine grauen
Haare nicht los, aber ich will mir diese Worte als kleinen Trost gelten lassen.
Doch es liegt doch durchaus Grund zu meiner Auffassung vor, wenn Du mit Deiner
Frisur jünger wirkst, daß ich eben doch wie der Vater von allen aussehen muß.
Aber das Jüngeraussehen gehört nun einmal zum Vorrecht einer Frau, und damit
will ich mich abfinden. Du bemerkst
weiter, daß die Kinder wieder Ferien haben. Jörg macht doch schon länger frei.
Wie steht es denn mit seinem Lernen während dieser freien Wochen? Ich hoffe,
daß er sich dahinter setzt während dieser Zeit, das will ich nochmals betonen,
muß er mindestens eie Stunde am Tag sich seinen Büchern widmen. Ich muß sagen, daß sich Frau Dietz immer
noch in rührender Weise um unseren Jungen kümmert. Sie vergißt ihn nicht. Hast
Du ihr denn auch wieder einmal ein Bild von ihm mitgesandt. Ich erwarte, daß
sich unser Junge einmal persönlich bedankt. Er hat jetzt Zeit dafür, da gibt es
kein Hinauszögern. Gestern erlebte ich
noch eine weitere Freude, denn ich erhielt von Siegfried einen wirklich netten
Brief, den ich Dir mit zugehen lasse, wenn ich ihn beantwortet habe. Ich finde,
daß das Verhältnis, das doch in früheren Jahren zwischen mir und ihm nicht
immer zufriedenstellend war, das sich das von Jahr zu Jahr gebessert hat.
Manchmal könnte ich sagen, daß die Verbindung zwischen uns nicht besser sein
könnte, wenn wir Brüder wären. Das freut mich auch, daß ich das in Deiner
Gegenwart sagen darf, denn er ist ja schließlich Dein Bruder. Es will ja schon
etwas heißen, daß ich im Laufe der Jahre ein solches Verhältnis zu Dir
herstellen konnte—aber das gehört ja wieder nicht hierher. Unter dern letzten Jahresbrief möchte ich
einen besonders lieben und kräftigen Kuß zum Abschluß setzen. Die Grüße sollen
nicht minder herzlich sein für Dich, die Kinder und Vater. Glück auf ins Neue Jahr.
Die besten Wünsche für Gesundheit im Neuen Jahr begleiten auch diesen Brief.
Seid immer lieb zueinander und zu Eurem Vaterle und zu
Deinem Ernst.
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