Meine liebste, liebe
gute Annie! 21.10.44
Diesmal kann ich mich gleich wieder für zwei Briefe von Dir
bedanken, die ich gestern erhielt. Es handelt sich um Deine beiden Briefe von
9. und 10. Solche lieben Nachrichten
sind mir immer ein Lichtblick in unserem grauen Alltag. Grau ist schon das
Wetter. Die Spätherbstnebel vermischt mit Regen und den sonstigen unangenehmen
Begleiterscheinungen, lassen wenig Wärme im Herz und auch rein körperlich
aufnehmen. Trotz allem habe ich keinen
Anlaß zu Murren, denn ich sage mir, wenn wir in unserem Abschnitt in keine
größeren Kampfhandlungen verwickelt werden, dann will ich herzlich froh sein,
denn ich kann mir vorstellen, daß es wenig angenehm ist, jetztin eine
rückwärtige Stellung zurückzumüssen, in der sich keine Bunker befinden, dann
ist die Vorstellung nicht unbedingt rosig. Vorläufigliegt ja auch noch keine
Veranlassung für solche Gedanken vor, und wenn es tatsächlich einmal soweit
kommen sollte, dann wird man sich damit auch wieder zurechtfinden müssen. Von Deinem
Vater erhielt ich gestern den Rundbrief Nummer 21, der ja inzwischen auch in
Deine Hände geraten ist. Ich habe mich im Wesentlichen darüber gefreut, doch
eines stößt mir immer wieder auf, wenn er schreibt, daß sich andere Frauen
einfach hinlegen würden, wenn sich sich das Bein verletzt hätten Seine Lotte
dagegen opfert sich asuf und schafft für ihren geliebten Mann weiter. Wenn man
die Frau nicht kennen würde, dann könnte man das glauben, aber wenn man mit ihr
schon zusammengekommen ist, dann kann man wohl schon mit Recht behaupten, daß
da selbst die Hühner lachen, wenn mann so etwas liest. Ich werde das
selbstverständlich nicht zum Anlaß einer Kritik ihm gegenüber nehmen, denn ich
habe nicht Lust, solch einen Streitvom Zaune zu brechen wie Siegfried, bei dem
man sich gegenseitig ärgert, und bei dem am Ende doch nichts herauskommt. So
lassen wir ihn in seinem Glauben, daß er doch mit seiner Frau den besseren Teil
erwählt hat. Bei dem Brief, den Siegfried an Deinen VAter geschrieben hat,
beklagt Siegfried sich doch darüber, daß die Zeitungen immer noch an den
Sanitätsgefreiten, nicht an den Feldwebel gerichtet sind. Daß er sich vorkommt,
als sei ere degradiert worden. Die Art und Weise, dies zu bemängeln, finde ich
etwas kleinlich, doch wenn ich hier sehe, was für Funktionen die Herren hier
ausüben und wie wichtig sie sich vorkommen, dann kann ich diese Redewendung
schon verstehen. Ich will mich bestimmt nicht als Musterknabe hinstellen, aber
was soll ich nur sagen, was ich mit meiner Rückversetzung mitgemacht habe. Wenn
das schließlich auch nicht auf einer Stufe liegt, so kann man ja ohne weiteres
auf solche Gedanken kommen und man muß sich sagen, was seid ihr doch für kleine
Würstchen. Die Frage Deines Vaters an mich, ob ich noch nicht befördert sei und
ob die Vwersprechungen, die uns frühergegeben wurden, nicht eingehalten würden,
zeugen ja vbon einer gewissen Anteilnahme, doch ich habe Dir ja meine
Stellungnahme zu diesem Offiziersproblem anläßlich meines letzten Urlaubs mit
Dir durchgesprochen. Ich habe hier wiederholt Gelegenheit gehabt, diese Leute
zu beobachten. Wenn ich so sehe, wie die zu allen möglichen Dingen hingezogen
werden, dann bin ich doch liebe in meiner gegenwärtigen Stellung, als daß ich
mir noch um andere Dinge Kopfschmerzen mache.
Deine Mitteilung über Vater, daß er immer noch an dem Schuppen arbeitet,
hat mich doch etwas in Verwunderung versetzt. Daß er sich nicht sonderlich
beeilt hat, das weiß ich. Aber daß er fast zehn Wochen dazu braucht, bis er das
bißchen Schuppen fertig bekommt, das ist doch für meine Begriffe etwas zuviel.
Wenn er mit solchen Arbeiten sein Brot
verdienen müßte, dann ging es aber verdammt knapp bei ihm zu. Nun kann ich mir
auch erklären, warum er Dir während Deines Krankseins nicht hat behilflich sein
können. Wir müssen uns eben damit abfinden, daß er so ist und wir machen ihn
auch nicht mehr anders. Ich sende Dir heute gleich wieder die Bilder von Athen
mit zurück. Ich habe hinten daraufgeschrieben, was es ist, damit man darüber
immer im Bilde ist. Das eine wurde anläßlich meines Abschieds abends gemacht.
Aus diesem Grund sitze ich auch gleich mit in vorderster Front. Das andere Bild
ist ja etwas flau, aber immerhin kann man ja erkennen, wer es ist. Mein
Feldwebel hat etwas Augen gemacht und wollte eine lakonische Bemerkung dazu
machen, doch er hat es sich doch nicht so ganz getraut. Einige Zulassungsmarken
für Päckchen habe ich auch beigelegt. Ich habe sie vor einigen Tagen erhalten.
Ich bitte Dich aber aufrichtig, schicke mir keine Eßwaren, denn ich habe hier reichlich
und ich könnte das Gesandte nich in Ruhe genießen, ohne dabei daran zu denken,
daß IhrEuch das von Eurem Wenigen abgespart habet. Sei bitte brav. _ Die
Feldpostnummer von Siegfried habe ich mit notiert, ich werde ihm in diesen
Tagen auch einmal schreiben. _ Wenn Du jetzt mit Deinem Fuß‘ einigermaßen
wieder in Ordnung kommst, so bitte ich Dich, Helga nicht gleich zum
Arbeitseinsatz weggehen zu lassen, denn
Du sollst Dich nicht gleich überanstrengen. Was für Arbeit müßte sie dann denn
machen? Eins habe ich Dich auch noch fragen wollen. Du hast mir immer
geschrieben, daß Dir die Grabgabel durch den Fuß gegangen sei, aber welcher Fuß
eigentlich getroffen wurde, das hast Du mir nicht mitgeteilt. _ Dein Verhalten
gegenüber den Leuten, die Dir die Leiter geborgt haben, billige ich voll und
ganz. Die können doch nicht erwarten, daß man ihnen nun die kleine Apfelernte
in den Hals wirft. Wenn sie nicht wollen, dann gibt es schließlich auch noch
andere Möglichkeiten. Schließlich kann man ja auch im Notfalle im Gutshof
danach fragen. Wenn Du dem Mann einige Zigaretten gibst, dann kommst Du ent
schieden weiter, wie in diesem Fall. Doch das ist ja nun erledigt. _ Daß Du
Dich nun auch der Schulaufgaben annimmst und mit den Kindern rechnest, freut
mich sehr. Sie selbst werden ja gemerkt haben, daß sie ganz aus der Übung
gekommen sind und daß die Wiederholung notwendig ist. Wenn sie das Gelernte
immer wieder einmal auffrischen, dann bleiben sie doch in einem gewissen
Training. Wenn Du mit Helga immer etwas Eng lisch sprechen kannst, so macht
sich doch das, was Du einmal in früheren Jahren gelernt hast, bezahlt, wenn man
so sagen soll. Die große Rechnung, die Du mir aufgeschrieben hast, ist mir noch
in blasser Erinnerung aus der Schulzeit her. Ich muß nur fest stellen, daß ich
für diese Art zu rechnen bisher noch keine Verwendunghatte, aber ich bin bald
drtaufgekommen, wie das läuft, und nachgerechnet habe ich auch und ich habe die
erstaunliche Feststellung treffen müssen, daß sie stimmt. Helga ist ja an sich
nicht so dumm, daß sie nicht daraus profitieren würde. Es ist mir nicht um das
Geld, das man an Privatstunden geben könnte, ab er ich glaube, daß ihr das auch
genügt. Zudem ist es so, daß sich Resi nicht so darum kümmert wie Du und das
darf man dabei nicht ausser Acht lassen. _Recht herzlich grüße ich Dich und die
Kinder und füge viele liebe Küsse für Dich und die Kinder bei. Ich bin in Liebe
immer
Dein Ernst.
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