Donnerstag, 19. März 2020

Brief 611 vom 8.1.1945


Du meine Liebste !                                                                                                  8.1.45       

Deinen letzten Brief vom ersten Weihnachtstag erhielt ich am 3.  Die vergangenen Tage habe ich leider vergeblich auf einen Gruß von Dir gewartet. Es muß dies aber mit der allgemeinen Postbeförderung von unsrer Kante herauf zusammenhängen, denn meine anderen Kameraden, die aus unserer Gegend Post erwarten, ergeht es genau nicht anders. Da heißt es also weiter abwarten. Gestern habe ich einmal nicht an Dich geschrieben, wenn ich auch Gelegenheit dazu gehabt hätte. Ich war nicht so recht in Stimmung dazu. Vorgestern hatten wir nach dem Kameradschaftsabend einen Ruhetag eingeschaltet und gestern früh ging es mit unserer Ausbildung weiter. Wir haben Angriff geübt und mußten in eine Stellung einbrechen. Dabei passierte mir wieder einmal ein Pech, denn ich habe mir zur Abwechslung den Fuß übertreten. Diesmal ist es das rechte Fußgelenk. Das linke Fußgelenk und das Kniegelenk habe ich ja schon dran gehabt. Da wäre also jetzt noch das rechte Kniegelenk heil. Es ist diesmal nicht ganz so schlimm, denn ich denke, daß ich bald wieder richtig mitschlurfen kann. Für heute , dem Tag, an dem die große Übung steigt, ist es ja aus. Dafür habe ich hier Telefonwache, während alle anderen Kameraden weg sind. Das läßt sich nun nicht ändern. Hauptsache ist, daß es bald wieder ins richtige Gleis kommt, alles andere wird sich schon finden. Was macht eigentlich Dein Fuß? Hast Du noch größere Beschwerden damit, oder hat es sich jetzt ganz gegeben. _ Gegenwärtig herrscht hier ein einigermaßen ordentliches Winterwetter. Heute morgen hat es auf den alten verharschten Schnee wieder neue flocken gegeben. Es sieht alles wie frisch überzogen aus. Die Tannen und Kiefernbäumchen, die zur Tarnung vor dem Bunkerfenster stehen, sind leicht bereift und haben dadurch ein etwas festliches Kleid bekommen. Der Himmel ist zwar gleichmäßig grau und verspricht noch mehr Schnee. Ist es bei Euch ebenso kalt wie in Leipzig gewesen? Hier war die Temperaturschwankung nicht ordentlich stark. Da wird für Dich bald wieder eine Schuhsorge eintreten, denn Jörg wird dann bei einigermaßen ordentlichem Eisverhältnissen Schlittschuhlaufen wollen. Das ist eben in dieser Zeit nicht so einfach. Wegen des Kalenders mußt Du Dir weiter keine Lauferei machen, denn Dein Vater sandte mir erst einmal einen zu und versprach, daß er mir bald einen ordentlichen Taschenkalender folgen lassen will, sobald er den bestellten erhält.  Ich komme noch einmal auf die Angelegenheit wegen einer Räumung von Konstanz zurück.  Durch die Maßnahmen, die gegenwärtig in militärischer Hinsicht laufen, ist dieser Fall wohl wieder etwas in den Hintergrund getreten, doch ich erwähne dies vor allem deshalb, weil Du selbst in einem Deiner letzten Briefe davon sprichst. Dein Vater kommt auf Deine Zeilen zurück und meint, daß Du bzw. ich mich mit entscheiden müßte. Du würdest im Fall der Notwendigkeit lieber auf das Angebot von Erna eingehen, weil Du glaubst, daß es auf die Dauer mit Lotte doch nicht gut gehen würde, Daß Dein Vater großen Wert darauf legt, daß im Notfall seine Tochter zu ihm kommt, ist ihm hoch anzurechnen, aber es spielen eben manchmal noch gewisse Dinge mit, die in diesem Falle eben darin liegen, daß Leute vielleicht den guten Willen haben mögen, aber Schwierigkeiten bestehen nun einmal und denen soll man nach Möglichkeit aus dem Weg gehen.  Ich kann mir vorstellen, daß Du mit Erna leichter hantieren könntest als im anderen Fall. Zudem ist ja die Platzfrage recht entscheidend. Zwar muß man eben auch damit rechnen, daß Siegfried eines Tages auf Urlaub erscheinen würde, aber da ließe sich dann schon eine Regelung finden. Wenn ich so das eine gegen das andere abwäge, komme ich ebenfalls zu dem Schluß, daß eine einstweilige Unterkunft bei Erna günstiger ist. Es müßte dann im Ernstfall Deinem Vater die Notwendigkeit klargemacht werden. Aber hoffen wir, daß die Dinge für uns weiterhin einen günstigen Verlauf nehmen.  Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Vater wünsche ich gute Besserung mit seiner Bauchgeschichte. Hoffentlich renkt sich das wieder ein. Wenn er noch weiterhin Schmerzen haben sollte, dann müßte er eben einen Arzt oder den Bandagisten aufsuchen. Bleibt Ihr meine drei Lieben alle gesund und nehmt recht liebe und viele Küsse entgegen von 

Deinem Ernst.

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