Donnerstag, 19. März 2020

Brief 614 vom 12.1.1945


Du mein liebstes Mädle !                                                                                           12.1.45 

 Mein Tagesgruß soll nun auch werden, denn es geht wieder auf die Zeit zu, da es heißt, sich fertig machen und Essen fassen. Gleichzeitig muß man ja dann auch seine Post abgeben. Wenn man diesen Punkt nicht trifft, dann ist das absenden des Briefes verpatzt bis zum nächsten Tag. Also dann einmal los. Ein Brief ging von Dir gestern nicht ein. Ich bekam überhaupt keine Post. Aber das ist ja kein Grund zum lamentieren. Aber ich habe ja noch einiges, was wohl aus Deinen vergangenen Briefen zu beantworten ist; auch sonst gibt es einiges zu schreiben. Da wäre die Mitteilung von Deinem Vater, daß der Elternverein aufgelöst worden sei. Dieses Schreiben ist doch gewissermaßen eine Art Todesurteil. Wenn man so bedenkt, steckt doch ein ziemliches Stück Leben Deines VAters und im weiteren Sinne unserer Familie darin. Was hat sich gerade während dieser 25 Jahre alles ereignet, und wie ist das Leben Deiner Eltern von diesem Verein beeinflußt worden. Manches hätte vielleicht andere Wendungen genommen. Manches Positive hat sich zweifellos dabei auch herausgestellt. Gerade wie in diesem Schreiben, die Kinderlandverschickungen hervorgehoben werden. Eine Angelegenheit, die heute von Partei wegen so herausgestellt wird. Dort war es eine Sache, die schon lange vorher geübt wurde. Du hättest wahrscheinlich nicht nach der Ostmark gekommen, und wenn der Verein, oder die Dinge, die damit zusammenhängen nicht gewesen wäre, hätten wir uns sicherlich nicht kennen gelernt. Manchen Gedanken könnte man dabei weiterspinnen. Aber es ist nicht die Zeit dazu, daß man nun Tränen der Wehmut vergißt, wenn man einer abgeschlossenen Angelegenheit das letzte Wort spricht. Mit Stolz kann Dein Vater immerhin auf die geleistete Arbeit zurückblicken. Was dabei zum inneren Familienleben sich ergeben hat, das ist ja eine besondere Angelegenheit. Ich werde Deinem Vater dazu in meinem nächsten Brief an ihn noch einige Worte richten. Nannie schreibt in ihrem letzten Brief auch um Päckchenmarken. Ehe ich ihr darüber etwas Zusagendes mitteile, will ich erst einmal bei Dir anfragen, ob Du etwas dagegen einzuwenden hast, wenn ich ihr die nächste Marke zugehen ließe. Ich werde sie zwar gleich darauf aufmerksam machen, daß es eben nur große Marken gibt, und ob ihr das nicht zuviel wird. Denn ich will nicht haben, daß sie sich in Unkosten stürzt, denn wir haben immer noch soviel zu essen, daß  man auskommt, und mehr braucht man ja auch nicht. Andererseits kannst Du mir Kleinigkeiten schicken, die ihr nicht so entbehrt, wenn die Möglichkeit des Absendens besteht. Also teile mir darüber Deine Ansicht bitte mit. _ DAß Du so mit Würmern zu tun hast, ist ja höchst unangenehm. Aber daß das für mich ein Grund zum Ekeln wäre, das kann ja nicht zutreffen. Erstens bin ich schon allerhand gewöhnt; daß ich nicht empfindlich bin, das weißt Du auch. Also da nur keine falsche Scham. Ich wünsche Dir nur recht viel Erfolg zu Deiner Kur. Jörg ist doch dafür auch immer sehr empfindlich. Hat er nichts davon abbekommen oder hast Du sie von ihm? Für die Grüße von Resi danke ich, ich lasse sie erwidern, wenn Du sie triffst. Ich habe schon einmal gefragt, was macht denn Fritz? Hat sie überhaupt wieder etwas von seiner Einheit gehört. Wie nimmt sie das auf?  Die Nummern der Sparbücher hatte ich mir schon früher notiert. Die Kinder haben ja auch schon ganz nette Beträge zusammen. Hoffentlich können sie es einmal für sich entsprechend verwerten. Aber auch Du wirst mich ja nun bald erreicht haben.  Daß Ihr jetzt öfter wieder inn der kleinen Stube sitzt, ist doch für Euch auch gemütlicher. Nicht allein, daß Du damit Heizung sparst, sondern auch so hat sie vieles an sich, was das Leben in ihr angenehm macht. Wenn ich an den geflochtenen Stuhl denke, so sehe ich im Geiste noch unseren Kurt damit an dem einen Weihnachtsfest ankommen. Er konnte nicht viele Worte machen. und doch freute er sich im Stillen, daß ihm das möglich war. In diesen Tagen sind nun zwei Jahre vergangen, seit er sein Leben ließ. Immer werde ich in Stolz und Ehre an ihn denken. Er war ein prima Kerl. Daß er manchmal nicht immer ganz frei war, das muß man verschiedenen Umständen zugute rechnen, die auf seine Entwicklung eingewirkt haben. Lasse Dich recht herzlich grüßen. Dir und den Kindern viele liebe Küsse sendet Euer Vaterle und 

Dein Ernst. 

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