Meine liebste Annie! 1.12.44
Es ist so um Mitternacht herum. Ich komme gerade von der
Graben streife zurück bezw. wir haben sie unterborchen, um nochmals
loszuziehen. Die Zwischenzeit will ich gleich benutzen, um Dir meinen heutigen
Gruß zu widmen. Wenn ich so den ganzen TAg nicht zum Schreiben kam, dann fehlt
mir etwas. Das tägliche Aussprechen und Besprechen ist mir ein Bedürfnis, und
solange ich das nicht hinter mir habe, dann bin ich nicht zufrieden mit mir.
Ich bin so froh, daß das Wetter auch mit uns gnädig ist. Es herrscht wohl Nebel
draußen, doch den fürchte ich nicht so sehr wie den Frost. Wenn er kommt, muß
man sich eben auch darauf einstellen und ihn richtig zu überwinden suchen. Bis
jetzt habe ich von unserem Wetter einen kräftigen Schnupfen mitbekommen. Es
tropft nicht nur von den Bäumen, sondern auch von der Nase. Solch ein Igel,
wirst Du denken. Aber es ist tatsächlich so. Die Nase macht sich nicht nur von
oben, sondern auch von unten her bemerkbar. Die Gräben sind zum Teil ganz schön
mit Wasser gefüllt, doch in unserem Bunker haben wir noch Ruhe. Unsere
Maßnahmen waren ziemlich radikal und ich hoffe, daß sie uns über eine gewisse
Zeit hinweg helfen. _ Heute habe ich einmal über Tag Zeit gefunden, um mich mit
unseren beiden Stromern zu unterhalten. Ihren Brief hatte ich ja noch nicht
beantwortet. Ich hatte zwar den Nikolausbrief geschrieben, aber das ist ja eine
Sache, die gesondert läuft. Sie sollen doch merken, daß sie von ihrem Vater
nicht vergessen sind. An Dich habe ich heute zwei Päckchen abschicken können.
Das eine enthält eine Dose mit Fleisch, zwei Rollen Drops und einige
Zigaretten. Das andere enthält Zigaretten und Zigarren. Die Päckchen haben die
Nummern 8 und 9. Ich kann nur hoffen, daß sie richtig in Deine Hände kommen. Du
kannst mir vielleicht auch in einer Zeitungssendung etwas dünnen Bindfaden
zugehen lassen, damit ich wieder etwas zum Schnüren hier habe. Auch etwas
Klebestreifen könnte ich wieder gebrauchen. Das sind so Kleinigkeiten, für die
man doch immer wieder Verwendung hat. _ Ein lieber Brief kam heute von Dir
nicht an. Doch ich muß sagen, daß die letzten beiden Briefe sich mächtig
dazugehalten haben, sodaß wieder einmal eine Lücke von einigen Tagen eintreten
kann. Sonst habe ich heute nichtsd
weiter zu berichten, darum lasse mich wieder abschließen mit den besten und
recht herzlichen Grüßen. Meine Gedanken wandern und weilen oft bei Tage bei Dir
und den Kindern. Laßt Euch, Ihr Drei vielmals küssen und haltet treu im
Gedächtnis
Deinen Ernst.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen