Donnerstag, 19. März 2020

Brief 585 vom 27.11.1944


Mein lieber kleiner aufgeregter Verein !                                                                      27.11.44    

Mit meiner Meinung, die ich zu bekunden mir so nebenbei erlaubt habe, ist ja ein großer Entrüstungssturm ausgelöst worden. Nicht nur Du, sondern auch von den Kindern ist ein Gewitter über mich hinweggegangen, das an stärke und Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig gelassen hat. Ich weiß garnicht, wie ich das wieder gutmachen kann. Ich bin tatsächlich froh, daß ich meine, zwar unmaßgebliche Meinung erst hinterher geäußert habe, als Du die Marken schon hattest, denn sonst müßtest Du Dein weises Haupt schütteln, bis Du diesen Brief, in dem ich meine tiefe Reue zum Ausdruck zu bringen glaube, erhieltest. Ich bin leider erst zu spät auf den Gedanken gekommen, daß Du mir ein kleines Fläschchen Cognac mitschicken könntest, dann wäre die Belastung für Euch nicht so groß gewesen. Das soll durchaus kein Rückfall sein in das alte Fahrwasser, denn ich bereue, bereue, bereue. Die Ohren haben mir zwar nicht gehallt, doch das muß mir wohl daher rühren, daß ich schon zu abgebrüht bin. Wie lange ich nun noch zittern muß, nach dieser Standpauke, kann ich heute noch nicht absehen, doch ich kann schon nicht mehr richtig schreiben, so bin ich mitgenommen von dem starken Eindruck Eurer Drohungen. Es ist eben nicht gut, wenn man einmal den Versuch macht, selbständig zu werden. Meist kommt etwas Dummes dabei heraus. Ich hoffe nur auf eines, daß mit der Zeit doch Gras darüber wächst. Doch nun allen ernstes, ich weiß, daß Du mit Deiner Wirtschaftlichkeit nicht erst in der letzten Minute an solchen Sonderbedarf denkst. Eins steht jedenfalls fest, daß die Zuteilungen nicht mehr die sind, wie vor einem Jahr. Wenn es auch nicht viel war, so habe ich doch immerhin einen kleinen Teil früher mit für Eure Verpflegung beitragen können. Das ist aber jetzt doch alles nicht mehr der Fall. Unter diesen Umständen muß Du doch zugeben, daß die Verhältnisse heute schwieriger liegen, als in der vergangenen Zeit. Daß Ihr mir gern eine Freude machen wollt, das weiß ich ja ganz genau und aus diesem Grunde habe ich Euch die Marken ja auch nur zugehen lassen.  Einen weiteren Seitenhieb mußte ich noch hinnehmen, indem Du mir schreibst, daß Du Dich freust, daß ich mich nicht an Deinen Vater wegen Schreibpapier gewendet habe. Du schränkst zwar ein, daß ich mich das letzte Mal auch an Dich gewandt hätte. Zur Richtigstellung muß ich hierzu folgendes bemerken. Dein Vater schrieb mir seinerzeit, daß er mir für die Zigaretten etwas schicken möchte; er wüßte nur nicht was, weil es doch nichts gäbe. Ausserdem fragte er mich, wenn ich irgendwelche Wünsche hätte, dann solle ich sie ihm äußern. Es fiel mir damals nichts besseres ein, als um die Zusendung einiger Feldpostbriefe zu bitten. Daß Du das anders verstanden hast, ist wohl auf die nicht richtige Beurteilung des Sachverhalts zurückzuführen. Ich denke, daß damit diese Sache erledigt ist.  Daß Du mit unserem Jungen wegen der Zigarettenangelegenheit gesprochen hast, ist schon recht. Denn ich kann mir denken, daß es ihm ernst gewesen ist, als er mit Dir davon gesprochen hat. Denn wenn es ihm gleichgültig gewesen wäre, dann hätte er es Dir nicht am selben Abend gleich gebeichtet. Daß er von sich aus nicht auf diese Idee gekommen wäre, kann ich mir ungefähr vorstellen.  Aber solche Dinge treten an die Kinder nun einmal heran, einmal früher ein andermal später. Darum ist es gut, wenn sowasin einem Alter vorkommt, in dem sie sich mit ihren Anliegen noch an die Eltern wenden. _ Bleibt mirnur immer gesund. Laßt mich, wenn ich wieder einmal danebentrete, nicht so schwer büßen wie in Eurem letzten Schreiben. Ich werde aber das, wie  vieles Andere, mit Würde zu tragen wissen. Einen festen und lieben Kuß und recht herzliche Grüße sendet Dir und den Kindern in treuer Liebe Dein Ernst. Du meine Liebste ! Heute abend bekam ich Deinen lieben Brief vom 19.11., der mich und meine aufgeputschten Nerven wieder einigemaßen beruhigte, nachdem das Gewitter des vorhergehenden Briefes über mich hereingebrochen war. Das ist ja das Gute an den Gewittern, daß sie meist plötzlich kommen und dann auch wieder schnenn vorübergehen. Ich hoffe fest, daß es nie wieder zurückkommt. _ Es macht mir auch Gedanken, daß die Alarme bei Euch sich wieder häufen, nachdem Ihr eine Weile in Ruhe gelassen wart. Hoffenltich werdet Ihr nicht ersntlich angegriffen. Du machst es schon richtig, wenn Du Deine Wäsche und Kleider in den Keller bringst, denn so schnell kann man dann doch nicht sein , wenn plötzlich Alarm eintritt. _ Zu dem Apfelkuchen wäre würde ich mich auch ganz gern an Euren Tisch mitsetzen. Ich glaube, daß es Euch wieder gut geschmeckt haben wird. Zwar müßtest Du nicht glauben, daß ich mich wegen der anderen Gerichte nicht ebenfalls gern zu Euch setzen würde. Doch das ist nun mal etwas Besonderes im Alltag. _ Ich mußte gestern abend aufhören mit Schreiben, denn mir sind die Augen zugefallen, als ich Dir schrieb. Darum habe ich auch solch einen Unsinn geschrieben, weil mir meine Gedanken nicht mehr ganz gehorchen wollten. Jetzt habe ich mich wieder etwas ausgeruht und schreibe nun, wo meine Kameraden noch schlafen, an Dich weiter. Jetzt bin ich doch einigermaßen wieder da.   Interessiert hat mich Deine Mitteilung über unseren Jungen, daß er schon zum Führerdienst herangezogen wird. Was sagt er denn eigentlich dazu? Hat er denn Spaß‘ daran.  D aß er seine Sache ernst nimmt, das kann ich mir schon vorstellen. Jedenfalls hat er bei allen solchen Dinge, bei denen es dar auf ankam, immer das notwendige Verständnis und den entsprechenden ERst aufgebracht. Daß er seine SAche dabei machen wird, darum brauche ich bei ihm keine Bange haben. Ich werde den Kindern in den nächsten Tagen wieder schreiben, und dabei werde ich ihm gegenüber über diese Dinge zu sprechen kommen. Ich habe heute schon einmal an unsere beiden Stromer zum Nikolaustag geschrieben. Ich hoffe wohl , daß dieser Brief diesmal ankommt und nicht verlorengeht, wie mir das schon einmal gegangen ist. Geld habe ich ja nicht beigefügt, aber ich bitte Dich, daß Du jedem der beiden Lauserle 4,RM gibst, denn die habe ich ihnen versprochen. Wenn ihn dieser Führerdienst zu sehr anstrengt und in Anspruch nimmt, dann mußt Du eben von Dir die entsprechenden Maßnahmen treffen, die Du für notwendig hältst.  Eigentlich wäre ich jetzt einmal dran zu gewittern und hätte Grund, einmal empört zu sein, wie unsere Helga sich ausdrückte. Um was kann es sich dabei wohl handeln?  Selbstverständlich nur wieder um die Päckchen. Du schreibst, daß Du Dich fast schämst, daß Du nur zwei Päckchen abschicken kannst, und daß das auch Deiner Meinung nach zu wenig sei. Ich will es nun nicht ganz so schlimm machen wie Du und die Kinder, aber das eine will ich doch sagen: „Halte jetzt aber einmal die Luft an“ Unter den heutigen Verhältnissen können wir es uns eben nicht leisten, große Sendungen auf den Weg zu bringen. Das muß ja schließlich auch nicht sein, denn es muß ja nicht immer ein halber Waggon voll sein. Bald muß man hier seine SAchen verzehren, denn man weiß ja nicht, was einem der nächste Tag bringt. Dann kann man sich nicht viel Ballast aufhängen, weil man doch als Landser jedes Stück tragen muß. Verladen kann man nicht und bleibt man hier, dann kann man es genau so wenig aufhe ben, weil Mäuse an allem Anteil haben. Wenn es länger vor Weihnachten ankommt, dann muß ich das Gesandte doch bald verdrücken. Aber ich bedanke mich jetzt schon dafür. _ Als ich wieder las, daß die Kinder beim Zahnarzt zum Nachsehen waren, habe ich mich gefreut, daß alles in Ordnung war. Es ist eben gut, wenn man in jungen Jahren daran gewöhnt und dazu angehalten wird, sich seine Zähne regelmäßig untersuchen zu lassen. Dann treten auch viel weniger Schäden auf, wie wenn man in diesen Dingen gleichgültig ist und wartet, bis man Zahnweh hat. Daß Beide ein gutes Gebißhaben, erklärt sich zu einem großen Teil aus Deiner Fürsorge und Deiner Umsicht.  Meine Meinung in der besprochenen Pilzfrage ist die Eure. DAs ist ganz erklärlich, daß man die Pilze dort abbricht, wo sie angewachsen sind. Das erklärt sich aber bei allen anderen Früchten in der gleichen Weise. Du nimmst auch den Apfel vom Baum und brichst den Stiel dort ab, wo er am Ast festgewachsen ist. Das Steinobst muß man , um es transportfähig zu halten, mit dem Stiel an der gleichen Stelle abbrechen. Wo gibt es denn so etwas, daß man diese SAchen abschneiden würde. Mit dem Rhabarber ist es das gleiche. Würde man ihn abschneiden, dann fehlte der Rest. Der Rhabarber ist zwar nicht wie der Pilz eine Frucht, aber trotzdem. Man könnte diese Beispiele vervielfachen, und immer wieder würde man das Gleiche feststellen. Aber einen sturen Holzbock kannst Du nicht belehren, er wird rechthaberisch bleiben. Helga soll sich nur ihre eigene Meinung in dieser Hinsicht bewahren. Nachdem sie ihre Meinung bekanntgegeben hat und dieser Mann nicht zur Einsicht kommen will, kann sie nach außen jawohl sagen, wie das so beim Barres üblich ist, aber für sich kann sie denken was richtig ist.  Wenn Du Dich mit mir über eine Sache aussprechen muß, dann weiß Du ja, daß ich jederzeit da für Dich bin.  Soweit es mir von hier aus möglich ist, werde ich es nicht an meinem Rat fehlen lassen, Wenn Du mit Vater einmal hintereinander gekommen bist, so kannst Du mir das getrost mitteilen, weil ich ihn ja kenne und Dich sicherlich beraten kann. Du hast ja auch niemand weiter, mit dem Du über diese Dinge reden kannst, so bleibt Dir also nur noch der Weg zu mir offen. Daß Du nicht vergeblich bei mir anklopfst, das weiß Du ja selbst und das brauche ich nicht erst hervorzuheben. Daß Du in dem Brief an Nannie einen Kontakt zu ihr gefunden hast, freut auch mich, meine Bindungen zu ihr sind ja im Laufe der Jahre recht locker geworden, doch ist es schließlich die einzige Verwandte, mit der in noch in irgendeiner Form verkehre. Sie hat die langen Jahre an uns beiden Jungens Mutterstelle vertreten und hat sich immer recht mühe gegeben. Daß wir nun nicht in allem und jedem harmonieren, das ist ja auch nicht notwendig, , aber gerade in vielen recht wesentlichen Dingen unterscheidet sie sich von unserem Vater.  Unsere kleine Motte, die inzwischen recht groß geworden ist, muß sich durchaus nicht beklagen, wenn sie im Basteln von verschiedenen Dingen keine besonderen Einfälle hat. Sie soll sich mit mir trösten, mir geht es ebenso. Sie hat aber wieder Geschick zu vielen anderen Sachen, die man im Leben auch brauchen kann. Sie soll mir nur einmal wieder einige Köpfe malen, die sie doch schon so gut fertigmacht.  Mit dem Brotrösten habe ich die Er fahrung gemacht, daß es am besten ist, wenn man es auf der Herdplatte röstet. Was schwarz wird, kann man ja abkratzen. Kratzt man dann über die warme Schnitte etwas Butter darüber, dann zieht das prima ein und schmeckt wirklich sehr gut. Kunsthonig ist auch nicht schlecht. Beides miteinander ist dann aber auch nicht zu verachten. Doch das ist schon wieder Luxus.  Dass der Schäfer nicht mein Freund ist bedingt ja nicht, daß seine Frau nicht umgänglich sein kann. Das kann ja umgekehrt auch die Meinung dieses Mannes sein.  Ich betrachte ihn als einen Emporkömmling, dem auf Kosten der Partei allerhand eingetrichtert worden ist, und das er nun auf irgendeine Art an den Mann bringen muß.  Bis jetzt kenne ich ihn nur von dieser Seite, und aus diesem Grund kann ich mir auch keine andere Meinung über ihn bilden.  Schön ist es, daß Ihr noch einige Äpfel erhalten habt. Sie nützen Euch ja bei Eurem Speisezettel sehr denn dabei kann man ja auch manche Lücke ausfüllen. _ Jetzt bin ich nun schon in den 29.11. hinübergerutscht und der Brief ist ja auch entsprechend länger geworden, daß er gleich mit für diesen Tag gelten kann. Jetzt werde ich mich nochmals schlafen legen, denn ich habe ja noch zwei Stunden zugut. Bleibt mir, Ihr meine Lieben, recht gesund. Haltet mich auch lieb, wie ich es auch tur. Laßt Euch aber wieder recht herzlich grüßen und oft und vielmals innig küssen von 

Deinem Ernst.

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