Mein lieber kleiner aufgeregter Verein ! 27.11.44
Mit meiner Meinung, die ich zu bekunden mir so nebenbei
erlaubt habe, ist ja ein großer Entrüstungssturm ausgelöst worden. Nicht nur
Du, sondern auch von den Kindern ist ein Gewitter über mich hinweggegangen, das
an stärke und Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig gelassen hat. Ich weiß
garnicht, wie ich das wieder gutmachen kann. Ich bin tatsächlich froh, daß ich
meine, zwar unmaßgebliche Meinung erst hinterher geäußert habe, als Du die
Marken schon hattest, denn sonst müßtest Du Dein weises Haupt schütteln, bis Du
diesen Brief, in dem ich meine tiefe Reue zum Ausdruck zu bringen glaube,
erhieltest. Ich bin leider erst zu spät auf den Gedanken gekommen, daß Du mir
ein kleines Fläschchen Cognac mitschicken könntest, dann wäre die Belastung für
Euch nicht so groß gewesen. Das soll durchaus kein Rückfall sein in das alte
Fahrwasser, denn ich bereue, bereue, bereue. Die Ohren haben mir zwar nicht
gehallt, doch das muß mir wohl daher rühren, daß ich schon zu abgebrüht bin.
Wie lange ich nun noch zittern muß, nach dieser Standpauke, kann ich heute noch
nicht absehen, doch ich kann schon nicht mehr richtig schreiben, so bin ich
mitgenommen von dem starken Eindruck Eurer Drohungen. Es ist eben nicht gut,
wenn man einmal den Versuch macht, selbständig zu werden. Meist kommt etwas
Dummes dabei heraus. Ich hoffe nur auf eines, daß mit der Zeit doch Gras
darüber wächst. Doch nun allen ernstes, ich weiß, daß Du mit Deiner
Wirtschaftlichkeit nicht erst in der letzten Minute an solchen Sonderbedarf
denkst. Eins steht jedenfalls fest, daß die Zuteilungen nicht mehr die sind,
wie vor einem Jahr. Wenn es auch nicht viel war, so habe ich doch immerhin
einen kleinen Teil früher mit für Eure Verpflegung beitragen können. Das ist
aber jetzt doch alles nicht mehr der Fall. Unter diesen Umständen muß Du doch
zugeben, daß die Verhältnisse heute schwieriger liegen, als in der vergangenen
Zeit. Daß Ihr mir gern eine Freude machen wollt, das weiß ich ja ganz genau und
aus diesem Grunde habe ich Euch die Marken ja auch nur zugehen lassen. Einen weiteren Seitenhieb mußte ich noch
hinnehmen, indem Du mir schreibst, daß Du Dich freust, daß ich mich nicht an
Deinen Vater wegen Schreibpapier gewendet habe. Du schränkst zwar ein, daß ich
mich das letzte Mal auch an Dich gewandt hätte. Zur Richtigstellung muß ich
hierzu folgendes bemerken. Dein Vater schrieb mir seinerzeit, daß er mir für
die Zigaretten etwas schicken möchte; er wüßte nur nicht was, weil es doch
nichts gäbe. Ausserdem fragte er mich, wenn ich irgendwelche Wünsche hätte,
dann solle ich sie ihm äußern. Es fiel mir damals nichts besseres ein, als um
die Zusendung einiger Feldpostbriefe zu bitten. Daß Du das anders verstanden
hast, ist wohl auf die nicht richtige Beurteilung des Sachverhalts
zurückzuführen. Ich denke, daß damit diese Sache erledigt ist. Daß Du mit unserem Jungen wegen der
Zigarettenangelegenheit gesprochen hast, ist schon recht. Denn ich kann mir
denken, daß es ihm ernst gewesen ist, als er mit Dir davon gesprochen hat. Denn
wenn es ihm gleichgültig gewesen wäre, dann hätte er es Dir nicht am selben
Abend gleich gebeichtet. Daß er von sich aus nicht auf diese Idee gekommen
wäre, kann ich mir ungefähr vorstellen.
Aber solche Dinge treten an die Kinder nun einmal heran, einmal früher
ein andermal später. Darum ist es gut, wenn sowasin einem Alter vorkommt, in
dem sie sich mit ihren Anliegen noch an die Eltern wenden. _ Bleibt mirnur
immer gesund. Laßt mich, wenn ich wieder einmal danebentrete, nicht so schwer
büßen wie in Eurem letzten Schreiben. Ich werde aber das, wie vieles Andere, mit Würde zu tragen wissen.
Einen festen und lieben Kuß und recht herzliche Grüße sendet Dir und den
Kindern in treuer Liebe Dein Ernst. Du meine Liebste ! Heute abend bekam ich
Deinen lieben Brief vom 19.11., der mich und meine aufgeputschten Nerven wieder
einigemaßen beruhigte, nachdem das Gewitter des vorhergehenden Briefes über
mich hereingebrochen war. Das ist ja das Gute an den Gewittern, daß sie meist
plötzlich kommen und dann auch wieder schnenn vorübergehen. Ich hoffe fest, daß
es nie wieder zurückkommt. _ Es macht mir auch Gedanken, daß die Alarme bei
Euch sich wieder häufen, nachdem Ihr eine Weile in Ruhe gelassen wart.
Hoffenltich werdet Ihr nicht ersntlich angegriffen. Du machst es schon richtig,
wenn Du Deine Wäsche und Kleider in den Keller bringst, denn so schnell kann
man dann doch nicht sein , wenn plötzlich Alarm eintritt. _ Zu dem Apfelkuchen
wäre würde ich mich auch ganz gern an Euren Tisch mitsetzen. Ich glaube, daß es
Euch wieder gut geschmeckt haben wird. Zwar müßtest Du nicht glauben, daß ich
mich wegen der anderen Gerichte nicht ebenfalls gern zu Euch setzen würde. Doch
das ist nun mal etwas Besonderes im Alltag. _ Ich mußte gestern abend aufhören
mit Schreiben, denn mir sind die Augen zugefallen, als ich Dir schrieb. Darum
habe ich auch solch einen Unsinn geschrieben, weil mir meine Gedanken nicht
mehr ganz gehorchen wollten. Jetzt habe ich mich wieder etwas ausgeruht und
schreibe nun, wo meine Kameraden noch schlafen, an Dich weiter. Jetzt bin ich
doch einigermaßen wieder da.
Interessiert hat mich Deine Mitteilung über unseren Jungen, daß er schon
zum Führerdienst herangezogen wird. Was sagt er denn eigentlich dazu? Hat er
denn Spaß‘ daran. D aß er seine Sache
ernst nimmt, das kann ich mir schon vorstellen. Jedenfalls hat er bei allen
solchen Dinge, bei denen es dar auf ankam, immer das notwendige Verständnis und
den entsprechenden ERst aufgebracht. Daß er seine SAche dabei machen wird,
darum brauche ich bei ihm keine Bange haben. Ich werde den Kindern in den
nächsten Tagen wieder schreiben, und dabei werde ich ihm gegenüber über diese
Dinge zu sprechen kommen. Ich habe heute schon einmal an unsere beiden Stromer
zum Nikolaustag geschrieben. Ich hoffe wohl , daß dieser Brief diesmal ankommt
und nicht verlorengeht, wie mir das schon einmal gegangen ist. Geld habe ich ja
nicht beigefügt, aber ich bitte Dich, daß Du jedem der beiden Lauserle 4,RM
gibst, denn die habe ich ihnen versprochen. Wenn ihn dieser Führerdienst zu
sehr anstrengt und in Anspruch nimmt, dann mußt Du eben von Dir die
entsprechenden Maßnahmen treffen, die Du für notwendig hältst. Eigentlich wäre ich jetzt einmal dran zu
gewittern und hätte Grund, einmal empört zu sein, wie unsere Helga sich ausdrückte.
Um was kann es sich dabei wohl handeln?
Selbstverständlich nur wieder um die Päckchen. Du schreibst, daß Du Dich
fast schämst, daß Du nur zwei Päckchen abschicken kannst, und daß das auch
Deiner Meinung nach zu wenig sei. Ich will es nun nicht ganz so schlimm machen
wie Du und die Kinder, aber das eine will ich doch sagen: „Halte jetzt aber
einmal die Luft an“ Unter den heutigen Verhältnissen können wir es uns eben
nicht leisten, große Sendungen auf den Weg zu bringen. Das muß ja schließlich
auch nicht sein, denn es muß ja nicht immer ein halber Waggon voll sein. Bald
muß man hier seine SAchen verzehren, denn man weiß ja nicht, was einem der
nächste Tag bringt. Dann kann man sich nicht viel Ballast aufhängen, weil man
doch als Landser jedes Stück tragen muß. Verladen kann man nicht und bleibt man
hier, dann kann man es genau so wenig aufhe ben, weil Mäuse an allem Anteil
haben. Wenn es länger vor Weihnachten ankommt, dann muß ich das Gesandte doch
bald verdrücken. Aber ich bedanke mich jetzt schon dafür. _ Als ich wieder las,
daß die Kinder beim Zahnarzt zum Nachsehen waren, habe ich mich gefreut, daß
alles in Ordnung war. Es ist eben gut, wenn man in jungen Jahren daran gewöhnt
und dazu angehalten wird, sich seine Zähne regelmäßig untersuchen zu lassen.
Dann treten auch viel weniger Schäden auf, wie wenn man in diesen Dingen
gleichgültig ist und wartet, bis man Zahnweh hat. Daß Beide ein gutes
Gebißhaben, erklärt sich zu einem großen Teil aus Deiner Fürsorge und Deiner
Umsicht. Meine Meinung in der besprochenen
Pilzfrage ist die Eure. DAs ist ganz erklärlich, daß man die Pilze dort
abbricht, wo sie angewachsen sind. Das erklärt sich aber bei allen anderen
Früchten in der gleichen Weise. Du nimmst auch den Apfel vom Baum und brichst
den Stiel dort ab, wo er am Ast festgewachsen ist. Das Steinobst muß man , um
es transportfähig zu halten, mit dem Stiel an der gleichen Stelle abbrechen. Wo
gibt es denn so etwas, daß man diese SAchen abschneiden würde. Mit dem
Rhabarber ist es das gleiche. Würde man ihn abschneiden, dann fehlte der Rest.
Der Rhabarber ist zwar nicht wie der Pilz eine Frucht, aber trotzdem. Man
könnte diese Beispiele vervielfachen, und immer wieder würde man das Gleiche
feststellen. Aber einen sturen Holzbock kannst Du nicht belehren, er wird
rechthaberisch bleiben. Helga soll sich nur ihre eigene Meinung in dieser
Hinsicht bewahren. Nachdem sie ihre Meinung bekanntgegeben hat und dieser Mann
nicht zur Einsicht kommen will, kann sie nach außen jawohl sagen, wie das so
beim Barres üblich ist, aber für sich kann sie denken was richtig ist. Wenn Du Dich mit mir über eine Sache
aussprechen muß, dann weiß Du ja, daß ich jederzeit da für Dich bin. Soweit es mir von hier aus möglich ist,
werde ich es nicht an meinem Rat fehlen lassen, Wenn Du mit Vater einmal
hintereinander gekommen bist, so kannst Du mir das getrost mitteilen, weil ich
ihn ja kenne und Dich sicherlich beraten kann. Du hast ja auch niemand weiter,
mit dem Du über diese Dinge reden kannst, so bleibt Dir also nur noch der Weg
zu mir offen. Daß Du nicht vergeblich bei mir anklopfst, das weiß Du ja selbst
und das brauche ich nicht erst hervorzuheben. Daß Du in dem Brief an Nannie
einen Kontakt zu ihr gefunden hast, freut auch mich, meine Bindungen zu ihr
sind ja im Laufe der Jahre recht locker geworden, doch ist es schließlich die
einzige Verwandte, mit der in noch in irgendeiner Form verkehre. Sie hat die
langen Jahre an uns beiden Jungens Mutterstelle vertreten und hat sich immer
recht mühe gegeben. Daß wir nun nicht in allem und jedem harmonieren, das ist
ja auch nicht notwendig, , aber gerade in vielen recht wesentlichen Dingen
unterscheidet sie sich von unserem Vater.
Unsere kleine Motte, die inzwischen recht groß geworden ist, muß sich
durchaus nicht beklagen, wenn sie im Basteln von verschiedenen Dingen keine
besonderen Einfälle hat. Sie soll sich mit mir trösten, mir geht es ebenso. Sie
hat aber wieder Geschick zu vielen anderen Sachen, die man im Leben auch
brauchen kann. Sie soll mir nur einmal wieder einige Köpfe malen, die sie doch
schon so gut fertigmacht. Mit dem Brotrösten
habe ich die Er fahrung gemacht, daß es am besten ist, wenn man es auf der
Herdplatte röstet. Was schwarz wird, kann man ja abkratzen. Kratzt man dann
über die warme Schnitte etwas Butter darüber, dann zieht das prima ein und
schmeckt wirklich sehr gut. Kunsthonig ist auch nicht schlecht. Beides
miteinander ist dann aber auch nicht zu verachten. Doch das ist schon wieder
Luxus. Dass der Schäfer nicht mein
Freund ist bedingt ja nicht, daß seine Frau nicht umgänglich sein kann. Das
kann ja umgekehrt auch die Meinung dieses Mannes sein. Ich betrachte ihn als einen Emporkömmling,
dem auf Kosten der Partei allerhand eingetrichtert worden ist, und das er nun
auf irgendeine Art an den Mann bringen muß.
Bis jetzt kenne ich ihn nur von dieser Seite, und aus diesem Grund kann
ich mir auch keine andere Meinung über ihn bilden. Schön ist es, daß Ihr noch einige Äpfel erhalten habt. Sie nützen
Euch ja bei Eurem Speisezettel sehr denn dabei kann man ja auch manche Lücke ausfüllen.
_ Jetzt bin ich nun schon in den 29.11. hinübergerutscht und der Brief ist ja
auch entsprechend länger geworden, daß er gleich mit für diesen Tag gelten
kann. Jetzt werde ich mich nochmals schlafen legen, denn ich habe ja noch zwei
Stunden zugut. Bleibt mir, Ihr meine Lieben, recht gesund. Haltet mich auch
lieb, wie ich es auch tur. Laßt Euch aber wieder recht herzlich grüßen und oft
und vielmals innig küssen von
Deinem Ernst.
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