Donnerstag, 19. März 2020

Brief 613 vom 11.1.1945


 Mein liebes gutes Mädel !                                                                                          11.1.45       

Da braucht man sich nicht wundern, wenn man hin und wieder lange auf Post warten muß, wenn ab und zu ein Schreiben irgendwo hängen bleibt. Gestern trudelte Dein wirklich lieber Brief vom 9.12. auch schon ein. Der muß sich wahrscheinlich unterwegs ausgeruht haben, Aber an Inhalt hat er ja trotz des langen Ausbleibens nicht verloren. Man merkt aus Deinen Zeilen, daß Du wieder einmal frisch und munter gewesen bist, daß Du wieder einmal Laune gehabt hast. Man ist ja nicht an jedem Tag gleich gut aufgelegt, das weiß ich ja auch von mir selbst. Wenn ich nicht gerade sagen könnte, daß ich mich bisher zu einem Brief quälen müßte, den ich an Dich schreiben wollte, so gibt es doch hin und wieder Stunden, da hat man das Bedürfnis, wie immer zu schreiben und es kommt und kommt nicht das zustande, was man eigentlich vor hat. Ich kann mir vorstellen, daß die zwei Wochen Wartezeit schon eine gewisse Nervenanspannung bedeuten, und daß dann eine Lösung dieser Spannung eintritt, wenn man gleich mit mehreren Schreiben bedacht wird. Wenn zwar die Kinder schon darunter leiden müssen, wenn so ein Masseneintreffen von Briefen eintritt, dann müßte man schon etwas dagegen tun. Nicht genug, daß Du Helga kitzelst, so hattest Du noch die verwerfliche Absicht, die gleiche Prozedur auch an mir auszuüben. Habe ich ein Glück gehabt, daß ich noch hier draußen bin. Nicht nur, daß Du mich kitzeln wolltest, Du hattest auch noch vor, mich zu piesaken und an den Haaren zu ziehen. Das ist doch die Höhe. Wichtig ist ja, daß sich alles wieder gegeben hat und ich nehme an, daß Euer Leben auch wieder in geordnete Bahnen gekommen ist. Du fragst, ob wir uns früher mit Schätzlein oder ähnlichem angeredet hätten. Ich weiß es zwar auch nicht genau, es ist mir zwar auch jetzt nicht ganz klar, was die Veranlassung war, daß ich etwas derartiges geäußert habe. Wenn Du von Dir sagen kannst, daß Du noch nicht so abgeklärt wärst, wie ich es behauptet habe, dann ist ja auch alles in Ordnung. Von mir wolltest Du nun wahrscheinlich auch eine entsprechende Erklärung haben, denn Deine Zeilen zielen darauf hin. Ich habe manchmal das Gefühl, daß ich noch der gleiche Dummkopf sei, der ich früher auch war. Ich meine, ich würde die gleiche Dummheit nochmals machen und Dich wieder heiraten. Ich habe ja bis jetzt keine schlechten Erfahrungen gemacht. Zwar bin ich wohl bald die Hälfte unserer Ehejahre nicht daheim und kann damit sagen, daß ich ganz gut mit Dir zurechtkomme und wirtschaften kann, aber ich glaube, daß die Jahre vorher, die wir zusammen gemeinsam verlebt haben, auch nicht die schlechtesten waren. Das ist doch wieder ein tolles Kompliment. Du wirst sagen, das sieht dir ganz und gar ähnlich. Aber daran kannst Du vielleicht auch erkennen, daß ich mich in den vergangenen Jahren nicht sonderlich geändert habe. Meinst du, ich sei abgeklärt und kühler geworden? Das nicht, aber der gleiche Flegel oder Lümmel bist Du auch noch, wirst du sagen. Gut, dann nehme ich das eben hin und gehe reumütig in mich. Wenn Du mir nach 13jähriger Ehe Liebeserklärungen machst, wie Du schreibst, so wird das doch höchste Zeit, denn früher hattest Du das doch ganz vergessen. Aber es fehlt noch etwas Schmalz (Schmelz?). Wenn ich so manchmal die Briefe von den jungen Kameraden sehe, die an ihre Freundinnen  und Bräute schreiben, da können einem die Augen übergehen. An Überschriften konnte ich ohne weiteres etwas lernen. Aber in dieser Beziehung waren wir schon von früher Jugend auf prosaisch, wie Du früher immer sagtest.  Wenn Du mir mitteilst, daß ich hier mit Kameraden im Bunker sitze und Du wegen der Einquartierung maulen würdest, so hat das nicht ganz seine Richtigkeit. Ich will wissen, daß meine Wohnstatt, meine Heimat für mich offen steht, wenn ich einmal nach hause kommen darf. Ich möchte mir nicht Gedanken machen müssen, daß in der an sich schon kleinen Wohnung noch jemand haust, und den ich erst fragen müßte, ob ich kommen darf. Es ist genug, daß wir hier draußen unter solchen Verhältnissen leben müssen. Das läßt sich hier nicht anders einrichten. Daheim geht das aber. Die Not der Ausquartierten ist bestimmt groß, aber zur Linderung dieser Not muß eben die Aufsichtsbehörde da eingreifen, wo es möglich ist und nicht dort, wo die Menschen schon aufeinander sitzen. Ich denke, daß wir in dieser Geschichte nun vollkommen klar sehen.  Daß meine SA-Hose für unseren Jungen noch so gute Zwecke erfüllt ist ja in Ordnung. So fressen höchstens die Motten das Ding auf und für ihn haben sie noch Zweck. Ich werde schon wieder etwas finden, wenn ich sie noch einmal brauchen sollte. Die nächsten 14 Tage kommt das ja noch nicht infrage. Daß Du mir für die Zur Verfügungsstellung dankst, ist nicht weiter notwendig. Besser wäre es schon, wenn das unser Herr Sohn tun würde. Ich weiß zwar, daß er zu sehr mit Spielen und Basteln beschäftigt ist, da hat er weniger Zeit für einen alten Vater.  Gestern bekam ich noch von Nannie einen Brief. Sie schreibt wieder ganz vernünftig.  Ich werde ihr bald diesen Brief beantworten. Dann lasse ich Dir ihre Zeilen wieder mit zugehen. _ Ich schrieb Dir wohl schon gestern von unserem Bunker, wie riesig da alles ist. Ich habe dabei so an das Buch „Jürn Jakob Swehn...“ denken müssen. Das wäre sogar für dieses Ehepaar ein Kunststück gewesen, mit Kreide Zeichen der einzelnen Zimmer abzuteilen. Vor allem bei einer solchen Besatzung. Die hatten wenigstens noch den Vorteil, daß sie keine Ratten hatten. Mit diesen Biestern kann man auch nicht so umgehen wie man will, denn die sind imstande und streichen die Kreise weg.  Ich selbst unterhalte mich am meisten, wenn die Kameraden wie wild tun. Erstens werden die tollsten Märchen erzählt und jedem sieht man dabei an, wie er sich ekelt. Ich könnte ja auch nicht behaupten, daß ich meine Freude an diesen Viechern hätte, aber ich habe dabei doch meine Ruhe und bin trotz allem imstande, mich noch über die anderen zu amüsieren. Weniger schön ist dagegen die Läuseplage. Aber ich habe mir schon ein Mittel besorgen lassen, das dem abhelfen soll. Hoffentlich wird es dann wieder einmal anders. Wenn Du wieder Deinen Spaß an meinem Klagelied haben solltest, dann schicke ich Dir einmal eine ausgequetschte mit, damit Du diese Viecher auch einmal kennen lernst. Was sagst Du nun zu dieser Drohung?  Die Gegend ist wieder einmal voller eisenhaltiger Luft. In der Nachbarschaft wummert es wieder einmal ganz gewaltig. Da darf man nicht neugierig sein und die Nase muß man wegnehmen.  Jetzt habe ich Dir wieder allerhand vorgeklönt und Kohl steht auch allerhand auf diesem so geduldigen Papier. So hast Du es nun bis hierher geschafft. Nun ist es sowieso Schluß. Lasse Dich darum mit den Kindern recht herzlich grüßen und vielmals küssen. Ich bin in alter Frische immer Euer Vaterle und 
Dein Ernst.  

 Schicke doch bitte wieder einmal einige Feldpostbriefe. Es wird knapp.

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