Donnerstag, 19. März 2020

Brief 574 vom 13.11.1944


Du mein liebster Schatz                                                                                              13.11.44  

Gestern nacht sind wir nun wieder in unsere alte Stellung eingerückt, nachdem wir unseren Lehrgang beendet haben. Welcher Art dieser Lehrgang war, kann ich Dir im Moment nicht weiter schreiben. Ich denke aber, Dir demnächst einmal davon andeuten zu klönnen. Doch zuvörderst muß ich mich wieder recht schön für Deine lieben Briefe bedanken, die mir in diesen Tagen zugegangen sind. Es handelt sich um Deine Schreiben vom 30.10./4.11. Nummer 85/89, über die ich mich alle wirklich sehr gefreut habe. Die weiteren mitgesandten Bilder haben mir alle samt und sonders gefallen. Warum machst Duauf dem Bild, wo Du durchs Bettelgäßchen läuftst so ein finsteres Gesicht? Besser gesagt, strenges Gesicht? Hat Dich etwa dabei jemand geärgert? Doch hoffentlich nicht. Wie ich aus Deinen Zeilen ersehen kann, gehst Du mit einer ziemlichen Regelmäßigkeit zum Nähen. Du bist doch keine Verpflichtung eingegangen, die Dir dann immer am Bein hängt? Da kommst Du ja auch mit verschiedenen Menschen zusammen und lenkst Dich auf Deine Art ab. Das Erlebnis mit der  ? wird sicherlich für Dich interessant gewesen sein. Hat diese Frau jetzt dauernd ihren Aufenthalt bei uns in Konstanz genommen? Daß Resie sich damit entschuldigt, daß sie auf dem Land ihre Tätigkeit hätte, ist wohl etwas fad, aber es sieht eben jeder zu, wie er mit dem Rücken an die Wand kommt. Es muß eben jeder selbst wissen, wie er sein Verhalten verantwor ten kann. Daß Dir andere Leute wegen unseren beiden Lausern Flausen ins Ohr setzen wollen, das ist ja nicht notwendig. Ich bin froh, daß sie gesund und gerade gewachsen sind und daß sie geistig normale Veranlagungen haben. Du hälst Sie mit den Dir zur Verfügung stehenden Mitteln ordentlich und mehr kann man nicht tun. Ich selbst freue mich, daß es so ist, denn bis jetzt haben wir beide ja immer unsere Lebensaufgabe darin gesehen, fü+r unsere Kinder zu leben. Darum wollen wir uns beide nur wünschen, daß uns das, was wir uns zur Lebensaufgabe gesetzt haben, alles erhalten bleibt.  Du schreibst mir, daß die Dahlien im Garten dahin sind, weil ein strenger Reif sie hat erfrieren lassen. Das sind immer so die ersten Anzeichen, daß der Winter recht nahe vor der Tür steht. Hier bei uns ist er ja eingekehrt. Es hat vor zwei Tagenziemlich geschneit. Erst schien es, als würde er nicht lange bleiben, aber dann war der Boden doch so ausgekühlt, daß er doch liegen blieb. Wir fanden nun unsere Graben ziemlich mit Wasser angefüllt vor. Das ist scheußlich, denn die Schuhe werden naß und das Wasser dringt bis auf die Socken durch. Die Schuhe kann man doch nicht ausziehen, weil man doch immer wieder bereit sein muß. Man muß eben sehen, wie lang man das aushält. Das ist ja überhaupt das Erstaunliche, daß man immer glaubt, man müßte krank werden, und immer geht es trotzdem seinen Gang weiter. Das kommt aber daher, weil man mimmer mit zivilen Maßstäben rechnet, und diese kann man hier wohl nicht in dieser Weise anwenden. _ An Siegfried habe ich ja nun nochmals geschrieben nach meiner Karte, so daß diese fragliche Angelegenheit ihre Erledigung gefunden hat. Über die abschrift von Ernas Brief war ich insofern erfreut, als ich nun auch einmal ihre Meinung in der leidigen Angelegenheit kennenlernen konnte. Ich kann mich aber immer noch nicht des Gefühls erwehren, daß dieser feine Herr Haber eine ganz komische Rolle zwischen Schwiegervater und Schwiegertochter  spielt. Ich würde an Siegfrieds Stelle die Beziehungen zu diesen Leuten nie so vertraulich werden lassen. Du kannst an diesem Schulbeispiel wieder erkennen, wie gut es ist, wenn man sich von niemanden in seinen Kram reinsehen läßt, sondern wenn man für sich lebt. Wir haben auch unsere Neider, aber dies ist doch eine ganz andere Art. Ich komme mir dabei immer vor, wie wenn ich über den Dingen stehe, während doch im Falle von Erna sie selbst in die Affäre mit verwickelt ist. Diese  ? von ihr, die Briefe Deines Vaters nur mit besonderer Vorsicht zu genießen ist wohl durchaus berechtigt, denn ich kenne das ja aus eigener ERfahrung. Ich erwähnte dies ja auch erst kürzlich in einem meiner Briefe. Daß Erna sich selbst nicht frei von Fehlern weiß, ist recht anständig von ihr, denn damit schiebt sie ja die Schuld an all dem , was vorgefallen ist, nicht Deinem Vater zu. Inzwischen ist ja auch das gesandte Schreiben Deines Vaters wegen dieser Angelegenheit in Deine Hände gekommen. Ich werde wohl nochmals in einem besonderen Schreiben zu dieser Angelegenheit Stellung nehmen und bei dieser Gelegenheit auf diesen Herrn Weiß aufmerksam machen. Ich weiß nicht, ob das Deinem Vater schon aufgefallen ist. Ich werde mich aber sonst nicht weiter in diese Dinge einmischen, was ich Deinem Vater gegenüber aicj noch zum Ausdruck bringen werde.  Daß dieser blaue Verdunklungsstoff noch einmal eine solche Verwendung finden würde, hätte ich auch nicht geahnt. Heute wäre es auch den anderen in die hände gefallen, denn den hätte doch niemand mitgenommen. Auf diese Weise haben wir doch nur volkswirtschaftlich gehandelt.  Das sind ja alles nur Kleinigkeiten, aber alle diese Kleinigkeiten wirken doch einmal als Großes zusammen. _ Deine Anregung, den Umschlägen nicht mehr soviel beizupacken, werde ich befolgen. Ich bin gern alles wieder los, was ich nicht unbedingt bei mir tragen muß. _ Jörg hat nun seinen Arbeitsplatz wieder aufgegeben, weil ihn die Schule wieder gerufgen hat. Das wird ihn sicherlich wieder gefreut haben, daß er sich einige Mark hat verdienen können, denn er hält doch ziwemlich auf Geld.  Zwar gibt er auch ganz gern wieder aus. Daß nun Helga auch ihre Arbeit von Dir in gleicher Weise belohnt wurde, hat mich auch erfreut, denn wie hat sich doch die ganze Zeit über Mühe gegeben; oder ist das nicht der Fall? Sie haben ja ihr Sparkonto gleich wieder entsprechend belasten können. _ Deine beschörenden Worte bzüglich der Ernährung will ich einmal so hinnehmen, wie Du es gern wünschst. Ich weiß aber trotz allem, daß es eben mächt knapp zugeht. Aber jetzt bin ich wohl schon wieder daneben getreten. _ Es wird nun wieder langsam Zeit, daß ich mich fertigmache, damit ich diesen Brief mit unserem Küchenfahrzeug zurückgeben kann. Die anderen Sachen, die noch zu beantworten sind, hole ich morgen nache.  Bleibt mir alle meine Lieben recht herzlich gegrüßt, nehmt viele liebe Küsse entgegen und haltet Euch immer gesund. Im Geiste bin ich immer bei Euch. 

Dein Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen