Du mein liebster Schatz
13.11.44
Gestern nacht sind wir nun wieder in unsere alte Stellung
eingerückt, nachdem wir unseren Lehrgang beendet haben. Welcher Art dieser
Lehrgang war, kann ich Dir im Moment nicht weiter schreiben. Ich denke aber,
Dir demnächst einmal davon andeuten zu klönnen. Doch zuvörderst muß ich mich
wieder recht schön für Deine lieben Briefe bedanken, die mir in diesen Tagen
zugegangen sind. Es handelt sich um Deine Schreiben vom 30.10./4.11. Nummer
85/89, über die ich mich alle wirklich sehr gefreut habe. Die weiteren
mitgesandten Bilder haben mir alle samt und sonders gefallen. Warum machst
Duauf dem Bild, wo Du durchs Bettelgäßchen läuftst so ein finsteres Gesicht?
Besser gesagt, strenges Gesicht? Hat Dich etwa dabei jemand geärgert? Doch
hoffentlich nicht. Wie ich aus Deinen Zeilen ersehen kann, gehst Du mit einer
ziemlichen Regelmäßigkeit zum Nähen. Du bist doch keine Verpflichtung
eingegangen, die Dir dann immer am Bein hängt? Da kommst Du ja auch mit
verschiedenen Menschen zusammen und lenkst Dich auf Deine Art ab. Das Erlebnis
mit der ? wird sicherlich für Dich
interessant gewesen sein. Hat diese Frau jetzt dauernd ihren Aufenthalt bei uns
in Konstanz genommen? Daß Resie sich damit entschuldigt, daß sie auf dem Land
ihre Tätigkeit hätte, ist wohl etwas fad, aber es sieht eben jeder zu, wie er
mit dem Rücken an die Wand kommt. Es muß eben jeder selbst wissen, wie er sein
Verhalten verantwor ten kann. Daß Dir andere Leute wegen unseren beiden Lausern
Flausen ins Ohr setzen wollen, das ist ja nicht notwendig. Ich bin froh, daß
sie gesund und gerade gewachsen sind und daß sie geistig normale Veranlagungen
haben. Du hälst Sie mit den Dir zur Verfügung stehenden Mitteln ordentlich und
mehr kann man nicht tun. Ich selbst freue mich, daß es so ist, denn bis jetzt
haben wir beide ja immer unsere Lebensaufgabe darin gesehen, fü+r unsere Kinder
zu leben. Darum wollen wir uns beide nur wünschen, daß uns das, was wir uns zur
Lebensaufgabe gesetzt haben, alles erhalten bleibt. Du schreibst mir, daß die Dahlien im Garten dahin sind, weil ein
strenger Reif sie hat erfrieren lassen. Das sind immer so die ersten Anzeichen,
daß der Winter recht nahe vor der Tür steht. Hier bei uns ist er ja eingekehrt.
Es hat vor zwei Tagenziemlich geschneit. Erst schien es, als würde er nicht
lange bleiben, aber dann war der Boden doch so ausgekühlt, daß er doch liegen
blieb. Wir fanden nun unsere Graben ziemlich mit Wasser angefüllt vor. Das ist
scheußlich, denn die Schuhe werden naß und das Wasser dringt bis auf die Socken
durch. Die Schuhe kann man doch nicht ausziehen, weil man doch immer wieder
bereit sein muß. Man muß eben sehen, wie lang man das aushält. Das ist ja
überhaupt das Erstaunliche, daß man immer glaubt, man müßte krank werden, und
immer geht es trotzdem seinen Gang weiter. Das kommt aber daher, weil man
mimmer mit zivilen Maßstäben rechnet, und diese kann man hier wohl nicht in
dieser Weise anwenden. _ An Siegfried habe ich ja nun nochmals geschrieben nach
meiner Karte, so daß diese fragliche Angelegenheit ihre Erledigung gefunden
hat. Über die abschrift von Ernas Brief war ich insofern erfreut, als ich nun
auch einmal ihre Meinung in der leidigen Angelegenheit kennenlernen konnte. Ich
kann mich aber immer noch nicht des Gefühls erwehren, daß dieser feine Herr
Haber eine ganz komische Rolle zwischen Schwiegervater und Schwiegertochter spielt. Ich würde an Siegfrieds Stelle die
Beziehungen zu diesen Leuten nie so vertraulich werden lassen. Du kannst an
diesem Schulbeispiel wieder erkennen, wie gut es ist, wenn man sich von
niemanden in seinen Kram reinsehen läßt, sondern wenn man für sich lebt. Wir
haben auch unsere Neider, aber dies ist doch eine ganz andere Art. Ich komme
mir dabei immer vor, wie wenn ich über den Dingen stehe, während doch im Falle
von Erna sie selbst in die Affäre mit verwickelt ist. Diese ? von ihr, die Briefe Deines Vaters nur mit
besonderer Vorsicht zu genießen ist wohl durchaus berechtigt, denn ich kenne
das ja aus eigener ERfahrung. Ich erwähnte dies ja auch erst kürzlich in einem
meiner Briefe. Daß Erna sich selbst nicht frei von Fehlern weiß, ist recht
anständig von ihr, denn damit schiebt sie ja die Schuld an all dem , was
vorgefallen ist, nicht Deinem Vater zu. Inzwischen ist ja auch das gesandte
Schreiben Deines Vaters wegen dieser Angelegenheit in Deine Hände gekommen. Ich
werde wohl nochmals in einem besonderen Schreiben zu dieser Angelegenheit
Stellung nehmen und bei dieser Gelegenheit auf diesen Herrn Weiß aufmerksam
machen. Ich weiß nicht, ob das Deinem Vater schon aufgefallen ist. Ich werde
mich aber sonst nicht weiter in diese Dinge einmischen, was ich Deinem Vater
gegenüber aicj noch zum Ausdruck bringen werde. Daß dieser blaue Verdunklungsstoff noch einmal eine solche
Verwendung finden würde, hätte ich auch nicht geahnt. Heute wäre es auch den
anderen in die hände gefallen, denn den hätte doch niemand mitgenommen. Auf
diese Weise haben wir doch nur volkswirtschaftlich gehandelt. Das sind ja alles nur Kleinigkeiten, aber
alle diese Kleinigkeiten wirken doch einmal als Großes zusammen. _ Deine
Anregung, den Umschlägen nicht mehr soviel beizupacken, werde ich befolgen. Ich
bin gern alles wieder los, was ich nicht unbedingt bei mir tragen muß. _ Jörg
hat nun seinen Arbeitsplatz wieder aufgegeben, weil ihn die Schule wieder
gerufgen hat. Das wird ihn sicherlich wieder gefreut haben, daß er sich einige
Mark hat verdienen können, denn er hält doch ziwemlich auf Geld. Zwar gibt er auch ganz gern wieder aus. Daß
nun Helga auch ihre Arbeit von Dir in gleicher Weise belohnt wurde, hat mich
auch erfreut, denn wie hat sich doch die ganze Zeit über Mühe gegeben; oder ist
das nicht der Fall? Sie haben ja ihr Sparkonto gleich wieder entsprechend
belasten können. _ Deine beschörenden Worte bzüglich der Ernährung will ich
einmal so hinnehmen, wie Du es gern wünschst. Ich weiß aber trotz allem, daß es
eben mächt knapp zugeht. Aber jetzt bin ich wohl schon wieder daneben getreten.
_ Es wird nun wieder langsam Zeit, daß ich mich fertigmache, damit ich diesen
Brief mit unserem Küchenfahrzeug zurückgeben kann. Die anderen Sachen, die noch
zu beantworten sind, hole ich morgen nache.
Bleibt mir alle meine Lieben recht herzlich gegrüßt, nehmt viele liebe
Küsse entgegen und haltet Euch immer gesund. Im Geiste bin ich immer bei Euch.
Dein Ernst.
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