Donnerstag, 19. März 2020

Brief 571 vom 6.11.1944


 Du mein liebster und bester Schatz!                                                                           6.11.44   

Ja recht fest abküssen ließ ich mich gern von Dir wieder einmal, wie Du das in einem Deiner letzten Briefe gewünscht hattest. Das ist wohl ein Geschäft, bei dem wir Beide gern dabei wären. Vorerst ist es aber leider nur ein Wunschtraum, der auf seine Erfüllung wartet. Ich habe Deine vorhergehenden Briefe noch nicht restlos beantwortet und schon wieder erhalte ich zwei recht liebe Grüße von Dir, die mein Herz sehr erfreut haben. Es sind Deine beiden Briefe vom 27. und 28. 10. Nummer 82 83 mit den schönen Bildern von unserem letzten Urlaub. Die herrlichen Erinnerungen von den schönen Badetagen wurden bei mir wieder wachgerufen. Vieles Schönes konnte ich im Geiste an mir vorüberziehen lassen. Ich danke Dir also vielmals. Das eine Bild von mir konnte ich vielleicht Nannie zuschicken, oder willst Du das haben? Wie es mir scheint, hat der Fotograf den Entwickler nicht gleichmäßig auf den Film, oder über den Abzug laufen lassen, weil einige so fleckig sind. Im Großen und Ganzen kann man wohl sagen, daß die Bilder wieder ganz gut gelungen sind.  In Deinem letzten Brief schüttest Du mir nun Dein Herz aus bezüglich des Verhaltens von Vater Dir gegenüber. Wir haben ja kürzlich schon über den Fall gesprochen und ich hatte Dir erklärt, daß Du Dir nichts weiter aus diesem Verhalten machen sollst. Du wirst nun sagen, das ist leicht gesprochen, doch man kann schlecht aus seiner Haut heraus und man ärgert sich doch darüber. Schau einmal. An sich ist es doch immer noch so gewesen. Vater ist von Natur aus etwas sonderbar. Das mag nun daher kommen, weil seine Eltern zu alt waren, um mit ihren Kindern zu fühlen oder hatten hatten sie nicht das Verständnis. Außerdem sind wir Rosches wohl so, daß wir gern unsere eigenen Wege gehen und kritisch sind. Dann darf man nicht vergessen, daß er die ganzen Jahre immer für sich gelebt hat und keine Frau ihm in irgendeiner Weise nahegestanden ist. Wenn man dies alles zusammenfaßt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn er im Laufe der Jahre so geworden ist. Er hat ja mehr oder weniger alles für sich verdauen müssen, weil er niemand gehabt hat, mit dem er sich offen über etwas aussprechen konnte. Seine Einstellung zum Leben  ist nun einmal anders wie bei uns, wenn er auch von sich behauptet, daß es bei meiner Mutter moderner gewesen sei wie wir. Was wir darunter verstehen ist, das ist Dir und mir vollkommen klar. Aber wenn Du dies alles berücksichtigst, dann mußt Du doch immer wieder zu dem Schluß kommen, daß wir ihn wohl nicht gebraucht haben, sondern daß er doch zu uns gekommen ist.W enn er irgendetwas gehabt hat, dann haben wir ihm gern unser Ohr geliehen und haben ihn trotz seiner Schroffheit angehört. Wenn er nun z u Paula geht und sich ihr Geschwätz zu eigen macht, weil ihm das wahrscheinlich angenehmer ist, dann kann man daraus auch erkennen, daß er ein guter Kerl ist, der über Vieles hinweggeht, das ihm einmal wehgetan hat. Manchmal kommt es mir zwar auch vor, als würde er sich übertölpeln lassen.  Eines steht fest, daß Paula es immer noch verstanden hat, ihn für sich einzuspannen und auszunutzen. Ich weiß nicht, ob ich Dir damit Vieles wieder klargemacht habe, vielleicht habe ich Dir damit etwas helfen können. Wenn Du es aber wünschst, dann kann ich ihm auch einmal schreib en, denn Du weißt, daß ich an sich keine Rücksicht zu nehmen brauche, denn wir haben die ganzen Jahre unabhängig gelebt, und wir sind auch jetzt auf niemanden angewiesen. Angst mußt Du deshalb keine haben, daß ich nun gleich alles abbreche, aber immerhin könnte ich ihm seine Pflicht einmal ins Gewissen rufen.  Das Verhalten von Paula wegen des Spankorbes ist wieder einmal charakteristisch. Die Gutmütigkeit die sie für ihre Zwecke in Anspruch nimmt, will sie dann auf solche Art und Weise lohnen. Das ist eigentlich ein Fall, den man Vater wieder einmal vor Augen halten kann, ohne daß man dabei in einer Weise gegen sie hetzen will.  Das ist ja eine Unverfrorenheit, und Vater kommt damit ja auch nur auf diese Weise ins Gedränge, denn als Vermittler solcher Wünsche wird er sich wohl wenig freuen, wenn einem das so gedankt wird. Daß Albert das gesehen hat, finde ich verwunderlich, doch zeugt das doch noch von etwas mehr Verständnis, als ich von ihm erwartet hatte. Ich kann nur immer wieder sagen, daß ich froh bin, daß ich damals so kompromißlos alles abgebrochen habe. Denn ich mußte doch ein ehrloser Kerl sein, wenn ich das alles immer weiter auf mich genommen hätte. Das Verhalten der Kinder wegen der Marken ist vollkommen richtig, denn wenn wir von irgendwoher etwas nehmen, dann sehen wir uns diese Leute vorher an. Sie sollen ihren Stolz haben. Man sieht aber auch, daß sie aus unserem Holz geschnitzt sind, denn diese entspricht doch in jeder Weise unserer Art. Also weitermachen. Wenn Du in diesen Dingen irgend noch etwas auf dem Herzen hast, dann teile mir das ungehindert mit. Ich werde schon fertigmachen, was notwendig ist. Recht viele und innige Grüße, ebenso viele liebe Küsse, füge ich für Euch, meine drei Lieben bei.

 Dein Ernst.

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