Donnerstag, 19. März 2020

Brief 604 vom 26.12.1944


 Mein liebster Schatz !                                                           26.12.44 am zweiten Weihnachtstag  

 Drei liebe Briefe waren es, die ich gestern von Dir erhielt. Ich habe mir besonders vorgenommen. Unter dem Baum standen noch die Bilder der Familie wie jetzt auch. Die zwei gesandten Kerzen brennen jetzt wieder und nun möchte ich, mit diesem Brief an Dich, die Feiertage ausklingen lassen. Über vieles habe ich mich freuen können, manche Nachricht war mir eine Beruhigung. Doch einiges hat mir Gedanken gemacht. Aber ich werde eins nach dem anderen, der Dringlichkeit nach beantworten. Kurz will ich aber noch auf unsere Weihnachtszuteilungen eingehen, die wir hier erhalten haben. Von der Stolle, dem Gebäck und der Wurst hatte ich wohl schon geschrieben. Etwas Schokolade hatte es auch schon gegeben. Doch zum Heiligabend bekam jeder von uns ein Stück Streuselkuchen im Ausmaß von 25 X 30 cm, vier Mann eine Torte, einige Mann gar eine Flasche Cognac. Außerdem gab es reichlich Rauchwaren. Dies alles ausser der üblichen Verpflegung. Ich habe fast mit dem zu schaffen gehabt. Einige Kameraden hatten das alles in der Nacht gegessen. Am gestrigen Morgen bekamen vier Mann ein Kochgeschirr voll Pudding. Das hat alles mächtig hingehauen. Ich habe wirklich eine Feiertagsstimmung im Magen gehabt. Dies liegt nun hinter uns. Bis jetzt sind wir von vermuteten Ereignissen verschont geblieben. Wir hoffen auch, daß keine Änderung eintreten wird. Der Werktag geht nun wieder los. Bei uns unterscheidet dies sich wohl im großen und ganzen dadurch, daß wir etwas anderes zu essen bekommen. Der Dienst geht in der gewohnten Form weiter. _ Aus Deinen lieben Zeilen muß ich leider feststellen, daß Du vor einiger Zeit viel Ärger und Sorgen gehabt hast. Ich konnte Dir wohl schon meine Ansicht über die Frage kurz erwähnen.  Nun, nachdem diese SAche mehr Staub aufgewirbelt hat, wird es wohl nötig sein, daß ich mich mit den Stellen von hier aus in Benehmen setze, die dafür verantwortlich zeichnen. Bei voller Würdigung der Sachlage und unter Berücksichtigung der schwierigen Verhältnisse komme ich zu folgender Auffassung. Die Wohnfläche für eine dreiköpfige FAmilie, denn ich bin ja jetzt nicht daheim, ist auf keinen Fall zu groß, wenn man unsere Kleinstwohnung betrachtet. Wenn man auch einmal damit rechnen muß, daß ich in Urlaub komme, so kann ich als Frontkämpfer, der nun schon seit Monaten seinen Kopf in vorderster Linie für die große Sache hinhalte, verlangen, daß mein Platz und der mir zustehende Wohnraum nicht noch von fremden Leuten weggenommen wird. Ich sehe nicht ein, daß ausgerechnet ich als Frontsoldat zugun sten der Leute auf meinen Wohnraum verzichten soll, die jahraus jahrein sich daheim herum drücken und nun eine schutzlose Frau, statt daß sie ihr die gebührende Hilfe zukommen lassen, anbrüllen und ihr noch Grobheiten machen. Ich werde jedenfalls Mittel und Wege finden, die einer solchen Ungerechtigkeit steuern. Ganz abgesehen von meinem Recht auf meine Wohnung, muß man noch berücksichtigen, daß die Anordnung der Wohnung einen Dauerzustand niemals zulassen. Wenn Not am Mann ist, dann ist es ohne weiteres vertretbar, wenn man einmal auf einige Tage einen hilflosen Menschen aufnimmt, aber als Dauerzustand kommt eine derartige Regelung auf keinen Fall infrage. Wenn es vorerst keinen anderen Ausweg gibt, daß Du für das erste ein Kind aufnehmen mußt, dann mußt Du auf alle Fälle Deine Nähstunden aufgeben, denn ich kann es nicht dulden, daß fremde Menschen in unserer Wohnung leben und Du bist während dieser Zeit nicht daheim. Ich möchte da von Anfang an gleich klare Linien haben und bitte Dich, daß Du entsprechend meiner Anweisungen handelst. Ich kenne hier nur eins und das ist der Zusammenhalt unsere Familie. Solange nicht die Notwendigkeit geboten ist, daß Du unsere Wohnung verlassen mußt, muß es bei dieser Anordnung bleiben. Käme es einmal anders, dann könnte man nichts machen, wenn andere Leute in unserer Wohnung sich aufhalten, aber im Augenblick muß es bei dieser Meinungsauffassung bleiben. Auf jeden Fall läßt Du Dich nicht ins Boxhorn jagen, denn wir können zumindest verlangen, daß auch wir zumindest standesgemäß untergebracht sind, wie es uns zukommt, denn ich nehme an, daß gerade die Leute mit ihren großen Wohnungen nicht volle Belegung erhalten, derweil man ihnen entsprechend ihrem Wohnbedarf nur Belegungen zuläßt. Wenn Du irgendwelche weiteren Schwierigkeiten hast, dann teile sie mir mit und ich werde mich dann von hier aus entsprechend dahinterklemmen. Laß Dich nur nicht unterkriegen und handle bitte nach meinen Anweisungen. Wenn Du auch einmal Deinem Herzen Luft machen mußt, so tue das nur ohne weiteres, wenn auch einmal etwas mehr darin steht. Man muß sich damit abfinden, daß sowas an die Front geschrieben wird, wenn solche Maßnahmen in der Heimat getroffen werden. Ich hoffe, daß Du nun klar siehst und daß Du nun weißt, wie Du handeln sollst, sofern noch irgendwelche Unklarheiten bestehen. Lasse dich für heute recht herzlich grüßen und vielmals küssen.  In Gedanken bin ich immer bei Dir und den Kindern. Ich bin und bleibe immer 

Dein Ernst.

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