Du mein liebstes und bestes Mädel! 17.10.44
Jetzt möchte ich sagen, dasß ich wieder einmal alle
notwendigen Briefe geschrieben habe und das ist mir schon eine Erleichterung,
wie ich sie in dieser Hinsicht gerne verspüre. Ich habe wieder einmal an unsere
beiden Trabanten geschrieben, denn die haben ja schon längere Zeit nichts mehr
von mir gehört. Man muß doch auch hin und wieder einmal seine väterlichen
Pflichten genügen und sich mit seinen Kindern auseinandersetzen, damit sie
merken, daß sich ausser ihrem Mutterle auch sonst noch jemand um sie kümmert.
Gegenwärtig habe ich ja Muße dazu, und ich weiß nicht, wann ich dafür die Zeit
wieder aufbringen werde. Sie hatten mir zwar nur immer kurze Grüße unter Deine
Briefe geschrieben, doch habe ich das immer so gewertet, daß sie jetzt durch
Deine Verwundung mehr in Anspruch genommen werden als früher. Aber trotz allem
würde ich mich freuen, wenn sie sich zu einem Brief aufraffen würden. _ Daß die
Schweizer von den von ihnen angebetenen Amerikanern heimgesucht wurden, ist ja
immerhin bezeichnend für die Absichten der Hunde. Wir wollen froh sein, daß es
nicht Menschen von uns getroffen hat, denn soweit ist man nun gekommen, daß man
in erster Linie an sich denkt und dann erst an die anderen. Die andere Seite hält es ja auch so. Hoffen
wir, daß die Ankündigung von Göbbel, daß wir in nächster Zeit die
Luftherrschaft in gewisser Hinsicht wiederbekommen würden, wahr ist. _ Wenn Du
so vom Drachenbasteln schreibst, so muß ich an meine Kindheit denken. Mein
Vater hatte uns einen Drachen gebaut, der so groß war wie wir selbst. Der war
ziemlich schwer, denn er war mit Packpapier überzogen. Wir sind dann damit
hinter dem Volksgarten gewesen und versuchten, den steigen zu lassen. Das erste
Mal war er nicht richtig ausgewogen. Dann später haben wir unser Glück wieder
probiert und er ging auch ganz schön in die Höhe. ER zog und zog, doch wir
hatten nicht damit gerechnet, daß unsere Schnur solchen Anforderungen nicht
gewachsen sein konnte. mit einem Mal gab es einen Riß und wir hatten den Rest
unserer Drachenschnur in der Hand. Er selbst hatte sich selbständig gemacht.
Ich bin dann über die Acker gesprungen, um den Ausreißer wieder einzufangen.
Als ich dann glücklich an Ort und Stelle war, hatte sich schon ein anderer
Liebhaber eingefunden. Dem habe ich aber bald unser Eigentum streitig gemacht.
Da wir keinen besseren Faden bekommen konnten, mußte unser Drachen abgebaut
werden. _ Wie ich aus Deinem letzten Brief vom 3.10. lese, haben die Kinder an
einem Tag 60 Pfund Kartoffeln und 36 Pfund Äpfel geerntet. Das ist wirklich
eine beachtliche Leistung. Daß es da viel Arbeit gibt, kann ich mir schon
ausmalen. Daß unsere beiden Stromer auf dem Baum herumgeklettert sind, mag Dich
beim Zusehen mit Bange erfüllt haben. Ich nehme doch an, daß sie Kinder ihres
Vaters sind und ihm in dieser Hinsicht keine Unehre antun. Ich hoffe aber auch,
daß ihnen nichts passiert b ei den weiteren ERntearbeiten. Ob Ihr einen ganzen
Zentner insgesamt pflücken könnt? _ Eure erste Kartoffelzuteilung habt Ihr nun
erhalten. Mit dem, was Ihr selbst geerntet habt, könnt Ihr ja die nächste Zeit
durchkommen. Es wird sich dann schon wieder etwas ergeben. _ Manchmal kann ich
hier das so richtig beobachtem, es ist nicht schwerer zu ertragen, wie eine
Reihe von guten TAgen, weil es seine Bedeutung hat. Ich persönlich brauche das
zwar nicht für mich in Anspruch zu nehmen. Solange ich noch zu schreiben habe
und solange es etwas zu lesen und das Radio gibt, kommt bei mir keine
Langeweile auf. Wenn ich laufen könnte wie ich gern möchte, dann fiele das
sowieso flach. Ich kann mich auch einmal eine ganze Weile mit meinen eigenen
Gedanken beschäftigen, doch das ist wohl dem größten Teil der Kameraden nicht
möglich. _ Bleib gesund und lasse Dich mit den Kindern recht herzlich grüßen.
Viele Küsse füge ich in Liebe bei und bin in treuem Gedenken
Dein Ernst.
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