Donnerstag, 19. März 2020

Brief 562 vom 17.10.1944


Du mein liebstes und bestes Mädel!                                                               17.10.44  

Jetzt möchte ich sagen, dasß ich wieder einmal alle notwendigen Briefe geschrieben habe und das ist mir schon eine Erleichterung, wie ich sie in dieser Hinsicht gerne verspüre. Ich habe wieder einmal an unsere beiden Trabanten geschrieben, denn die haben ja schon längere Zeit nichts mehr von mir gehört. Man muß doch auch hin und wieder einmal seine väterlichen Pflichten genügen und sich mit seinen Kindern auseinandersetzen, damit sie merken, daß sich ausser ihrem Mutterle auch sonst noch jemand um sie kümmert. Gegenwärtig habe ich ja Muße dazu, und ich weiß nicht, wann ich dafür die Zeit wieder aufbringen werde. Sie hatten mir zwar nur immer kurze Grüße unter Deine Briefe geschrieben, doch habe ich das immer so gewertet, daß sie jetzt durch Deine Verwundung mehr in Anspruch genommen werden als früher. Aber trotz allem würde ich mich freuen, wenn sie sich zu einem Brief aufraffen würden. _ Daß die Schweizer von den von ihnen angebetenen Amerikanern heimgesucht wurden, ist ja immerhin bezeichnend für die Absichten der Hunde. Wir wollen froh sein, daß es nicht Menschen von uns getroffen hat, denn soweit ist man nun gekommen, daß man in erster Linie an sich denkt und dann erst an die anderen.  Die andere Seite hält es ja auch so. Hoffen wir, daß die Ankündigung von Göbbel, daß wir in nächster Zeit die Luftherrschaft in gewisser Hinsicht wiederbekommen würden, wahr ist. _ Wenn Du so vom Drachenbasteln schreibst, so muß ich an meine Kindheit denken. Mein Vater hatte uns einen Drachen gebaut, der so groß war wie wir selbst. Der war ziemlich schwer, denn er war mit Packpapier überzogen. Wir sind dann damit hinter dem Volksgarten gewesen und versuchten, den steigen zu lassen. Das erste Mal war er nicht richtig ausgewogen. Dann später haben wir unser Glück wieder probiert und er ging auch ganz schön in die Höhe. ER zog und zog, doch wir hatten nicht damit gerechnet, daß unsere Schnur solchen Anforderungen nicht gewachsen sein konnte. mit einem Mal gab es einen Riß und wir hatten den Rest unserer Drachenschnur in der Hand. Er selbst hatte sich selbständig gemacht. Ich bin dann über die Acker gesprungen, um den Ausreißer wieder einzufangen. Als ich dann glücklich an Ort und Stelle war, hatte sich schon ein anderer Liebhaber eingefunden. Dem habe ich aber bald unser Eigentum streitig gemacht. Da wir keinen besseren Faden bekommen konnten, mußte unser Drachen abgebaut werden. _ Wie ich aus Deinem letzten Brief vom 3.10. lese, haben die Kinder an einem Tag 60 Pfund Kartoffeln und 36 Pfund Äpfel geerntet. Das ist wirklich eine beachtliche Leistung. Daß es da viel Arbeit gibt, kann ich mir schon ausmalen. Daß unsere beiden Stromer auf dem Baum herumgeklettert sind, mag Dich beim Zusehen mit Bange erfüllt haben. Ich nehme doch an, daß sie Kinder ihres Vaters sind und ihm in dieser Hinsicht keine Unehre antun. Ich hoffe aber auch, daß ihnen nichts passiert b ei den weiteren ERntearbeiten. Ob Ihr einen ganzen Zentner insgesamt pflücken könnt? _ Eure erste Kartoffelzuteilung habt Ihr nun erhalten. Mit dem, was Ihr selbst geerntet habt, könnt Ihr ja die nächste Zeit durchkommen. Es wird sich dann schon wieder etwas ergeben. _ Manchmal kann ich hier das so richtig beobachtem, es ist nicht schwerer zu ertragen, wie eine Reihe von guten TAgen, weil es seine Bedeutung hat. Ich persönlich brauche das zwar nicht für mich in Anspruch zu nehmen. Solange ich noch zu schreiben habe und solange es etwas zu lesen und das Radio gibt, kommt bei mir keine Langeweile auf. Wenn ich laufen könnte wie ich gern möchte, dann fiele das sowieso flach. Ich kann mich auch einmal eine ganze Weile mit meinen eigenen Gedanken beschäftigen, doch das ist wohl dem größten Teil der Kameraden nicht möglich. _ Bleib gesund und lasse Dich mit den Kindern recht herzlich grüßen. Viele Küsse füge ich in Liebe bei und bin in treuem Gedenken 

Dein Ernst.

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