Donnerstag, 19. März 2020

Brief 555 vom 30.9.1944


Du mein allerliebster Schatz!                                                                      30.9.44   69    

 Der Wind weht über das Stoppelfeld und ich sitze hier zwischen einer Strohpuppe, um meinen heutigen Brief für Dich abzufertigen. Zuerst will ich mich für Deine beiden Briefe Nr. 48 und 49 bedanken. Ich erfuhr nun von Dir, daß inzwi schen die Mitteilung darüber eingetroffen ist, daß ich vermißt sei. Der Schrecken mag bei Dir zuerst groß gewesen sein, doch hat sich ja alles als Irrtum herausgestellt und das ist wohl die Hauptsache. Ich erhielt aber von Dir ausserdem noch die Karten von Kamerad Wiesten und den Brief von dem Kameraden Biehl. Der letzte enthielt noch ein Bild von mir, das für mein Soldbuch sein sollte. Ich sende es Dir mit zu, vielleicht willst Du es haben. Dieser Brief enthielt nun noch einen Brief vom Tommy. Über das Gedenken der früheren Kameraden habe ich mich sehr gefreut, waren die Zeilen doch auch herzlich gehalten. Tommy ist im Frühjahr wieder nach Lille zurückversetzt worden. Der (Name ?) der früher mit uns immer zusammen war, sei aver immer so beschäftigt, daß es zwischen den Beiden zu keinem Kontakt mehr gekommen ist. In Douai, wo ich mich doch solange aufhielt, war schon im Frühjahr alles kaputtgehauen worden. Interessant ist, daß mein früherer Ched, der Müller, auch abgehalftert worden ist und zur Truppe zurück sollte. Inzwischen hat es sich aber herausgestellt, daß der Mann so herzkrank ist, daß er nicht mehr in k.v. ist. Das sind doch Schweine. Ich konnte Dir ja früher erzählen, wie er immer das Großmaul hatte und nun, wo er einmal seinen Mut zeigen könnte, da  kneift er. Ich hatte ja diesen Lumpen schon bald entsprechend einzuschätzen gelernt. Schade ist nur, daß ich diesem Schurken nicht in Reih und Gliedbegegnen kann. Es ist ja nicht gesagt, daß diesen Leuten alles immer so glatt geht und damit tröste ich mich. Gewundert habe ich mich, daß Du nichts über die aus Griechenland mitgesandten Bilder erwähnst. Es würde mich schon einmal interes sieren, wie sie geworden sind. Vielleicht schickst Du sie einmal zur Ansicht mit. Wenn sie verloren gehen sollten, so hast Du doch immer noch die Filme da. Von dem Kameraden Biehl erfuhr ich, daß mein Nachfolger wegen Erkrankung nach Hause reisen mußte. Ein weiterer Kamerade von meinem Jahrgang ist seit Juni auch zur Truppe gegangen, während noch bei einigen anderen die Klärung dieser Frage schwebte. Von den verschieden sten Knaben habe ich wieder Bescheid erhalten, was mich recht gefreut hat. _ Bei Durchsicht meines Schriftwechsels fiel mir auch der Rundbrief Nummer 19 in die Hand, den ich bis jetzt noch nicht gelesen hatte. DArin ist auch von der sogenannten Unterschlagung Ernas die Rede. Ich habe zwar die Briefe Deines Vaters nicht in dieser Richtung bersonders beachtet, aber bei dieser Schilderung muß ich auch zu der Überzeugung kommen, daß Siegfried wohl etwas daneben gegriffen hat. Ich weiß zwar nicht, was in Leipzig zwischen Erna und Deinem Vater sonst noch gesprochen worden ist, aber eines steht nun einmal fest, daß gewisse Spannungen zwischen beiden Teilen bestehen. Ob nun Lotte da noch schürt, kann ich zwar nicht beurteilen, es ist wohl bei ihrer Veranlagung anzunehmen. Es kommen manchmal recht unerfreuliche Dinge zutage. Es kann sein, daß auch wir in mancher Beziehung mit Reibereien rechnen müssen, wenn wir in Leipzig wohnen würden. Es ist aber am besten, daß wir diese Sache übergehen und lassen diesen Fall zwischen beiden Teilen selbst ausmachen. _ Ich machen mit immer noch Gedanken, was Du nur haben könntest, weil der Brief, in dem Du mir Deinen Unfall oder was Du gehabt hast, mitteilst. Das ist richtig, daß die Leute gleich mit „guten Ratschlägen“ zur Stelle sind. Wenn dann etwas schief geht, dann wundern sie sich darüber und lehnen selbstverständlich alle Verantwortung dafür ab. Daß es bis zu Deiner Wiederherstellung noch längerer Zeit bedarf, läßt wohl darauf schließen, daß die Verletzung doch nicht ganz einfacher Art ist. Ich will nur hoffen, daß Du nicht gar so große Schmerzen dabei hast und daß Du bald wieder hergestellt bist. Über den Gruß der Kinder habe ich mich sehr gefreut und ich werde versuchen, ihnen in den nächten Tagen persönlich zu schreiben, Ob mein Brief aus Königsberg mit den Marken und auch meine Geburtstagsbriefe angekommen sind, weiß ich ebensowenig. Vielleicht gibst Du mir auch darüber noch einmals Bescheid. DAß sich die kleine Hausfrau zu Deiner Zugfriedenheit entwickelt und daß sie Dir bei Deinem gegenwärtigen Zustand eine tüchtige Hilfe ist, freut mich besonders. Ich grüße Dich nun wieder einmal herzlich und gebe Dir und den Kindern viele liebe küsse. Ich denke immer an Dich und die Kinder und bin und bleibe immer Dein Ernst. An Deinen VAter habe ich gestern und an Nannie habe ich heute geschrieben. Die letzten Briefe von ihnen habe ich mit beigefügt.  Du mein liebes gutes Mädel! Nach der Zurückstellung der Uhr merkt man jetzt doch deutlich, wie die Tage abgenommen haben. Seit einigen Tagen ist es nicht mehr so kalt, was allgemein dankbar verspürt wird. Heute scheint es sich nun einregnen zu wollen. Es regnet zwar nich heftig, aber dauerhaft. Ein Teil der Kameraden befindet sich bei der Kartoffelernte und ich halt e die Stellung in unserem Bunker. Die Fliegen treiben ein schlimmes Spiel mit uns. Man darf sich nicht bewegen, denn sonst treibt man dieses lästi geVolk auf und dann ist ein Summen in der Luft, als seien einige Kampfgeschwader in der Luft. Vorhin haben wir wieder einmal Zeitungen bekommen. Wenn man so den Wehrmachtsbericht und die anderen Artikel liest, dann erfährt man leider wenig erfreuliche Dinge. Auch sonst ist alles auf Zähnezusammenbeißen ausgerichtet. Aber trotz allem darf man das VErtrauen nicht verlieren und man muß sich immer wieder sagen, daß man eine Familie daheim hat, für die man hier draußen seine Pflicht tut. Es ist schon viel Besonderes vom deutschen Volk verlangt worden. Hoffen wir darum, daß dieser Einsatz nicht umsonst ist, und daß wir dies alles gesund überstehen. Die Zeiten bringen den Menschen soweit, daß man erst an sich und seine Familie denkt. Wenn auch das Denken für den Staat heute als das oberste Gesetz halten soll, so kann ich mich gerade aus meiner Gedankenwelt, wie ich sie eben angedeutet habe, schlecht herauslösen.  Post habe ich gestern keine erhalten, doch gar zu lange wird es wohl nicht dauern, bis ein lieber Brief von Dirangeflattert kommt. Gern hätte ich gewußt, was Dir eigentlich mit Deinem Fuß passiert ist, um mir ein Bild von dem machen machen zu können, wie groß die Verletzung gewesen ist. Daß die Mitteilung von der Besserung im Voraus gekommen ist, hat zweifellos etwas für sich, doch in gewisser Hinsicht trappe ich immer noch im Dunkeln. Daß die Tage bei uns wenig Abwechslung bringen, das kannst Du Dir ja selbst vorstellen. Stoff zum Schreiben ist deshalb sehr knapp. Ich schließe deshalb für heute wieder mit recht lieben Grüßen. Einige Küsse füge ich für Dich und die Kinder bei und bin immer Dein Ernst.    Die Karte an Siegfried bitte ich mit seiner Feldpostnummer zu versehenund abzusenden. Deinem Vater habe ich heute ebenfalls eine Karte geschrieben. Einige Bilder, die mir im Weg waren, sende ich mit einigen Briefen ebenfalls zurück. Nochmals lieben Schmatz.


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