Donnerstag, 19. März 2020

Brief 590 vom 5.12.1944


Du meine liebe gute Frau  !                                                                                     5.12.44    

Es ist wieder einmal Nikolausvorabend. Den Kindern hatte ich ja geschrieben. Hoffentlich kommt mein Brief rechtzeitig an. Ich habe beim Schreiben dieses Briefes so an die Jahre wieder denken müssen, die wir gemeinsam vor dem Kriege mit den Kindern verbringen konnten. Wie schön war das damals, als wir Nikolaus mit ihnen spielen konnten. Wie gläubig waren sie und wie groß war die Freude, wenn sie mir dann von meinem Erscheinen berichten konnten. Leider kam ich immer zu spät. Doch für das nächste Jahr wurde dann von mir mehr Pünktlichkeit zugesagt. Viele und schöne Stunden der Erinnerung treten dann in Stunden der Besinnung vor das geistige Auge. Es ist ja schön, daß man sich dieser Stunden erinnern darf, und daß man nicht mit Jammer und Kummer an diese Zeit zurückdenken muß. Es ist sonderbar, daß ich gerade in diesem Jahr so besonders so eine vorweihnatliche Stimmung in mir fühle. Die ganzen Jahre vorher habe ich das nie so gemerkt. Ich bin doch hier auch die ganze Zeit über ziemlich in Anspruch genommen und komme nicht mehr und nicht weniger zur Besinnung wie die Jahre vorher auch. Ich kann mir dieses Gefühl nicht anders erklären, als daß man hier der Natur mehr ausgesetzt ist, wie das in den Jahren früher nicht der Fall war. Man hat doch immerhin noch ein geregeltes Leben gehabt. Man hat die Kälte draußen gefühlt und hat sich gesagt, den Winter muß man eben so verdauen wie er ist. Hier hofft („denkt“ hat er geschrieben) man doch viel mehr an (auf) die Zeit, in der der Umbruch wieder stattfindet. Mit dem Längerwerden der Tage beginnt es azcg für uns hier draußen besser zu werden. Man weiß ebenso, daß die Kälte erst noch richtig bevorsteht, aber nicht nur das Wissen um das Längerwerden der Tage, nein, das Gefühl, das unter der Ausschaltung des Verstandes arbeitet, sagt einem, daß es besser wird. Hoffen wir, daß es sich in Bezug auf unsere allgemeine Lage wieder besser wird.  Das Wetter läßt sich noch einigermaßen an. Nach dem Schnee, den wir gestern erhielten, hat es sich wieder erwärmt, und heute war das Wetter so, daß man hätte glauben können, es wären schon die letzten Märztage. Das dicke Ende kommt aber noch, aber wir sind froh um jeden Tag, den wir noch ohne große Kälte erleben können. Immerhin kann man sagen, daß wir vier Wochen gewonnen haben, denn es könnte ja schon seit dieser Zeit doch ziemlich Frost herrschen. Froh bin ich nur, daß wir in unsrem Bunker hier auch wieder einen Ofen haben, und daß wir schön einheizen können. Es wäre schon erheblich schwieriger, wenn wir jetzt in Erdlöchern hausen müßten. Man weiß ja nicht, ob uns das noch vorbehalten ist. Doch um Dinge, die im Moment noch nicht vorherrschen, muß man sich keine Gedanken machen. Schwieriger dagegen ist es, wenn man in den dunklen Nächten über die Äcker stolpern muß zum Essenholen, denn in den Gräben laufen ist in der neuen Stellung so schwierig, weil sie größtenteils ersoffen sind. Man muß tüchtig Obacht geben, daß man nicht in einen Graben hineinfällt. Ja, das Landserleben hat eben seine eigenen Gesetze, an die man sich anpasssen muß. Post habe ich auch gestern keine von Dir erhalten. Hoffentlich trifft heute wieder einmal ein lieber Gruß von Dir ein. Lasse Dich recht herzlich grüßen. Richte auch schöne Grüße an Vater von mir aus. Was macht er denn? Wie geht es ihm gesundheitlich? Paula wird ihn schon genügend einspannen. Dir und den Kindern gebe ich viele liebe Küsse und bin immer 

Dein Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen