Donnerstag, 19. März 2020

Brief 608 vom 1.1.1945


Mein liebstes Mädel !                                                                                          1.1.45    

Ein frohes Neues Jahr und ein Jahr der Gesundheit und der Freude wünsche ich Dir und den Kindern. Das zum voraus in meinem heutigen Brief. Vor Mitternacht sind wir auf Grabenstreife gewesen. haben nochmals mit sämtlichen Kameraden unseres Zuges gesprochen. Der Russe war zwar etwas vorweise, denn er muß anscheinend unter Schnaps gesetzt gewesen sein. Geschossen hat er und kleine Feuerüberfälle hat er vom zweiten Graben aus gemacht. Doch das konnte uns nicht weiter erschüttern. Es war gut, daß er uns sonst in Ruhe gelassen hat. Als wir von unserer ersten Streife zurückkamen, haben wir an unserem Weihnachtsbaum die Kerzen, die wir uns selbst gegossen hatten, angezündet, denn es war bald Mitternacht. Es hatten sich noch einige Kameraden bei uns eingefunden. Wir hatten eine Kleinigkeit zu trinken bekommen, so konnten wir doch das Neue Jahr im Gedenken an unsere Lieben und die Heimat mit einem kleinen Schluck begießen. Wir haben dann noch einige Lieder gesunden und uns noch unterhalten. Soweit es die Lage gestattete, haben wir uns wirklich ganz angeregt unterhalten. Für uns bestand ja der Befehl, die ganze Nacht munter zu bleiben. Das haben wir dann auch ganz gut hingebracht. Fotos wurden zum wiederholten Mal herumgezeigt, und jeder wußte etwas von der Heimat und von seinen Lieben zu berichten. Zuletzt, als wir sangen, habe ich erst einmal das Lied vom „Herrn Pastor seiner Kuh“ und später das Lied angestimmt „In einem Lande der Chinesen“ Gegen Morgen sind wir wieder durch unseren Zugabschnitt gegangen und haben den Kameraden unsere Wünsche zum Neuen Jahr überbracht. Es war so ungefähr der Jahreswechsel.  Unser Troß hatte uns wieder wirklich gut bedacht. Es gab die üblichen Essen, als Besonderheit erhielt jeder zwei Berliner, außerdem bekamen wir noch eine Tüte Gebäck, Bonbons und Zigaretten. Für heute früh haben wir uns den Pudding aufgehoben, so daß wir doch wirklich Grund genug hatten, froh zu sein über unsere Verpflegung.  Eins macht mir augenblicklich etwas Kummer, das sind die Läuse. Ich glaube, ich habe heute schon über hundert Panzer geknackt. In allen Preislagen kann ich sie anbieten. Es juckt mir immer noch auf der Haut, ich glaube, daß ich noch eine ansehnliche Menge davon beherberge, obwohl ich meine Wäsche so gründlich durchgesehen habe. Wenn wir jetzt in diesen Tagen in Ruhe kommen, dann will ich aber radikal damit aufräumen. Ich hatte gestern zum Jahresabschluß noch einmal eine gründliche Wäsche vorgenommen.  Ich glaube, seit ich von daheim weg bin, habe ich mich in der Zwischenzeit nur einmal so gründlich abgeschrubbt wie gestern. Aber es juckt und juckt, das ist schon nicht mehr schön. Wenn es auch nicht heute ist, so werde ich doch die Oberhand behalten, das ist mein Trost.  Gestern habe ich noch an Deinen Vater einen Brief geschrieben. Man muß immer zusehen, dass sich keine allzu großen Rückstände anhäufen, denn man muß doch alles mit sich herumtragen. Wenn ich dazu komme, werde ich morgen noch an Siegfried schreiben, dann habe ich alles wieder geschafft. Ich hoffe, daß ich heute Abend wieder einen lieben Gruß von Dir erhalten, denn gestern habe ich nichts bekommen.  Mit recht herzlichen Grüßen und vielen lieben Küssen denke ich an Dich und die Kinder. Ich bin stets Dein Mann und 

Dein Ernst.

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