Donnerstag, 19. März 2020

Brief 616 vom 15.1.1945


Mein liebster Schatz !                                                                                                15.1.45    

Endlich habe ich wieder einige Post von Dir erhalten, über die ich mich recht gefreut habe, denn ich war gestern derart abgespannt, daß ich beim Briefeschreiben keine richtigen Gedanken fassen konnte. Durch Deine lieben Zeilen habe ich eine Ablenkung erfahren, und gleichzeitig bin ich etwas entspannt worden. s fließt mir auch heute wieder etwas besser aus der Hand. Seit Tagen hieß es, daß wir mit irgendwelchen Überraschungen des Gegners rechnen müßten. Das ist ja schließlich auch erklärlich, wenn man bedenkt, daß wir keine großen Kampfhandlungen in der letzten Zeit in unserem Raum hatten. Durch die Auslösung einer Offensive des Russen in unserem unmittelbaren Nachbarabschnitt, ist die erhöhte Alarmbereitschaft etwas aufgelockert worden, so daß man auch wieder eher etwas zu sich kommen kann. Mir selbst würde das nicht allzu viel ausmachen, aber alle Menschen, mit denen man umgeht, die sind gereizt und Nervös. Wenn ich, wie in der vergangenen Nacht, vier Stunden hintereinander geschlafen habe, dann geht es doch wieder besser. Also, wie gesagt, es läßt sich heute besser an, und das ist ja wichtig. Ich habe nun durch die neu eingetretene Situation eine für mich neue Waffe erhalten. Es ist ein Schnellfeuergewehr, mit dem man schon etwas machen kann. Das habe ich gestern auseinandergenommen. Wenn man so ein Ding hat, dann hat es keinen Zweck, wenn man sich nicht damit auskennt. Die habe ich gestern eingehend untersucht.  ABer nun zu Deinen Briefen. Es sind die vom 1. bis 4.1.. Wie ich lese, seid Ihr ordentlich ins Neue Jahr gerutscht. Wie ich diesen Übergang erlebt habe, weiß Du ja schon . Ich freue mich, daß Ihr beieinander gewesen seid, und daß Ihr, allerdings den Umständen entsprechend, an der alten, hergebrachten Weise festgehalten habt und auf den Kartoffelsalat nicht verzichtet habt. Für die guten Wünsche zum Jahreswechsel danke ich Dir; hoffen wir, daß sie in Erfüllung gehen.  Der Schneefall um die Jahreswende kam den Kindern sicherlich recht gelegen, denn gerade während der Ferienzeit ist das doch eine schöne Abwechslung. Da hat wohl Helga auch fest mitgemacht. Hatten wir nicht zwei Schlitten? Dann hat es doch da keine Schwierigkeiten gegeben, wer fahren darf und wer nicht. Ich kann mir denken, daß Jörg da große Angst gehabt hat, daß er zu kurz kommt. Sie sollen aber gerade hinter dem Bismarckturm recht Obacht geben, denn an den vielen Bäumen hat es schon manchen Bruch gegeben, und zwar nicht der Schlittenbruch, sondern auch manchmal sind die Knochen gesplittert.  Das EK ist nun auch bei Dir eingetroffen. Hast Du eigentlich die Urkunde dazu erhalten? DAvon hast Du mir bis jetzt noch nichts geschrieben. Genau so weiß ich nicht, ist mein Weihnachts- und mein Brief für Neujahr angekommen. Der Brief zum Nikolaustag für die Kinder ist anscheinend auch verloren gegangen. Dann gib ihnen doch das Geld, was ich ihnen zugedacht hatte. Ich hänge dadurch mit einigen Dingen in der Luft und weiß nicht, was eigentlich so richtig los ist. Das Geschenk von 100 Rm für die Kinder ist sicherlich auch eine Freude. Wenn sie so weitermachen, dann haben sie bald ihre tausend Mark beieinander. Daß er diesen Betrag gespendet hat, ist ja ordentlich.   Daß man einen Deiner Briefe zurückgesandt hat mit dem Vermerk, „Neue Anschrift abwarten“ ist mir unverständlich. Das muß ja ein großer Idiot gewesen sein, der das gemacht hat. Aber wie ich von meinem Feldwebel höre, ist genau der gleiche Fall passiert. Ich kann mir das nicht vorstellen. Männer wie er und ich sind in der Kompanie bekannt wie kaum jemand. Aber es gibt immer wieder einmal Schnitzer. Dumm ist nur, daß sich die Angehörigen Gedanken machen, ob nicht etwas passiert ist. Es ist alles kalr, das kann ich Dir noch einmal ausdrücklich bestätigen.  Daß Du den Kindern jedem eine Windbluse gemacht hast, wird ihnen sicherlich eine große Freude gewesen sein. Das bitterböse Gesicht von Helga kann ich mir vorstellen, wenn sie herumlaufen muß mit Sachen, die nun gar nicht geschmackvoll sind. Jetzt sind ja beide wieder befriedigt.  Heute habe ich Dir wieder einmal etwas mehr als gestern erzählt. Ich denke, daß Du wieder zufriedener mit mir bist. Lasse Dich nur recht herzlich grüßen und viel, vielmals küssen von Deinem immer an 

Euch denkenden Ernst.

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