Donnerstag, 19. März 2020

Brief 619 vom 1.3.1945


Meine liebe gute Annie !                                                                                                    1.3.45        

Wie Du schon aus der kuriosen Überschrift siehst, schein ich auch schon etwas durchgedreht zu sein. Aber es ist auch so vieles, was in den vergangenen Tagen auf mich eingewirkt hat, daß man es eigentlich schon mit Recht sein könnte. Aber ich will versuchen, alles wieder schön der Reihe nach zu ordnen. Ich konnte Dir in meinem letzten Brief aus Hamburg von dem Weitergang der Dinge berichten. Ich war nun bei den Leuten noch zum Mittagessen geblieben, zu dem ich freundlich eingeladen war, dann hatte ich den Brief an Dich im Wehrmachtsbetreuungsheim geschrieben. Als dann meine Zeit gekommen war, ging ich zum Zuge. Dort fiel ich zuerst einmal auf, weil ich über die Zeit dort in Hamburg geblieben war. Als ich dem Feldwebel sagte, daß ich meine „Verwandten in Hamburg“ noch aufgesucht hätte, zeigte er schon etwas mehr Verständnis für die Dinge, doch ließ er sich noch mein Soldbuch geben. Ich muß fast feststellen, daß mir diesmal die Auszeichnungen aus der Patsche geholfen haben, denn ausgerechnet dieses Seite blätterte er auf und reichte es mir zurück mit dem Bemerken, daß ich mich nur auf den Weg machen und nicht erwischen lassen solle. Ich habe mich dann auch schnurstracks auf den Zug geschwungen und ließ mich nach Wittenberge führen, dort hatte ich erst gegen morgen Anschluß nach Stendal. In Stendal habe ich dann erst einmal wieder Marschverpflegung gefaßt, denn ich mußte ja auf meinen Schein unbedingt wieder einen Nachweis über meinen Aufenthalt haben.  Gleich Nachmittag konnte ich mich dann Richtung Magdeburg in Marsch setzen. Dort klappte es gleich mit einem Anschluß über Dessau nach Leipzig. Die Fahrt ging verhältnismäßig gut vonstatten. Mit nicht allzu großer Verspätung kamen wir hier an. Zwar konnten wir nur bis Widerizsch (?) fahren, denn der Hauptbahnhof ist im Moment noch nicht befahrbar. Also hieß es laufen bis zur Stadt. Ich bin aber schon unterwegs abgebogen.  In der Ferne sah man wohl einzelnen Feuerschein, aber das war ja schließlich zu erwarten, wenn ein Angriff über die Stadt gegangen war. Ich kam dann links gleich beim Rathaus heraus und mußte gleich feststellen, daß das Rathaus abgebrannt war.  Auch der Bahndamm hatte etwas abbekommen. Ich glaubte aber immer noch, daß das Haus von Papa verschont worden sei. Aber ich sah dann schon Papa vor dem brennenden Haus Wache stehen. Ich kann Dir sagen, daß ich schon etwas erschüttert war, als ich diesen Mann so vor der Brandruine stehen sah. Das Wiedersehen hatte ich mir auch anders vorgestellt, und man weiß heute noch nicht, was uns allen noch beschieden ist, bis der Krieg zuende gegangen ist. Ich mache mir vor allem Sorge um Euch, weil ich hier erst aus der Zeitung und dann von Erna höre, daß auch einige Orte am Bodensee angegriffen worden wären. Nun hoffe ich, daß Ihr nicht davon betroffen worden seid. Der Gedanke und die Ungewißheit quälen mich. Als ich nach Mockau kam glaubte ich, daß Post von Dir angekommen wäre, aber leider hat sich diese Hoffnung zerschlagen. Ja, als ich dann mit Papa sprach, konnte er mir nun sagen, daß seine Wohnung noch hergerichtet werden könne. Ich habe mir dann alles angesehen. Ich war dann doch einigermaßen etwas beruhigt. Dein Vater war dann etwas verärgert, in einem solchen Falle nun nicht mehr zur Erna zu können, zunichte gemacht worden ist. Ich habe mich dann bereit erklärt, mit Erna zu sprechen. Ich habe mich dann später verabschiedet und habe den Marsch in die Stadt angetreten. Ich mußte Erna aus dem Bett klingeln. Sie hat mich wieder freundlich empfangen, und ich muß nur immer wieder sagen, daß ich lieber hierher gehe als in die Mockauerstraße, weil ich die Leidensmiene von Lotte auf die Dauer nicht sehen kann. Sie war gestern auch wieder ganz fertig, aber das ist ja bei ihr keine Ausnahme. Ich habe dann mit Erna gesprochen, und sie stand einer Aufnahme für eine Übergangszeit von Papa und Lotte nicht ablehnend gegenüber. Wir wollen nun nachher nach Mockau, um nach dem Rechten zu sehen. Ich nehme an, daß dort alles soweit wieder eingeräumt sein wird. Aber die Beiden sollen sich erst einmal von dem Schrecken erholen, und dann können sie ja  wieder dorthin ziehen. Das wäre die gegenwärtige Lage. Ich will mich nun morgen früh in der Kaserne melden, denn dieses freie Leben muß wieder einmal aufgesteckt werden. Die kleine Ursula macht hier einen mächtigen Umtrieb. Nachdem ich mich nun schon mit ihr fest unterhalten habe, klammert sie sich fest an mich. Alles wird nun vorgemacht und vieles gibt es zu erzählen. Sie ist aber auch wirklich ein liebes Kind, das sich ganz gut führt. Die Michel´sche Art kommt manchmal in ihrem Temperament zum Durchbruch. In ihrem Gesicht hat sie aber etwas, was an die Bilder von Dir früher erinnert, also so die Art Deiner Mutter. Ihre Puppe Ingrid nimmt einen großen Lebensraum bei ihr ein. Auch ihr Kafter, das eigentlich Kasper heißen soll, ist eine richtige Persönlichkeit. Sie hat nun vorher gleich ihr Signum

Brief 618 vom 23.2.1945


 SCHILDERUNG DER ABSETZUNG AUS DEM KESSEL AUS OSTPREUßEN   PILLAU

Mein liebes Mädel !                                                                                          Leipzig, 23.2.45

Nun bin ich doch in Leipzig gelandet. Die Verspätung hat gut 20 Stunden betragen und es war wieder ein Durchmogeln von Station zu Station. Die erste Etappe bis nach Stuttgart nahm 12 Stunden in Anspruch, die nächste bis Würzburg genau soviel. Die Weiterreise über Bamberg, Probstzella, Saalfeld nahm dann verhältnismäßig nicht so lange Zeit in Anspruch. Hier traf ich gestern Abend gegen 10 Uhr ein. Ich habe gleich Erna aufgesucht, um dort mein Gepäck zu lassen. Sie hat sich sehr gefreut und war wirklich sehr nett. Ich habe mich erst etwas frisch gemacht und habe dann den Weg nach Mockau angetreten. Hier traf ich gegen Mitternacht ein und mußte nun Papa und Lotte aus dem Bette holen. Hier haben wir uns bis 2 Uhr unterhalten und dann ging´s ins Bett. Das wäre in kurzen Zügen das, was sich ereignet hat. Über meine weiteren Pläne bin ich mir nicht ganz im klaren. Wenn ich meinen ganzen Aufenthalt hier etwas tarnen will, dann ist es wahrscheinlich am zweckmäßigsten, wenn ich doch erst nach Hamburg weiterreise, um mich dann von dort wieder nach Leipzig versetzen zu lassen. Ich glaube, daß das die beste Lösung ist. Sowie ich hier weiterreise, gebe ich Dir noch kurz Bescheid, damit Du weißt, was weiter geschehen ist. Sonst habe ich alles gut überstanden. Mit dem Zuge waren wir wiederholt im Luftschutzkeller wir sind also im Eisenbahntunnel stehen geblieben.  Mein liebes Mädel, ich habe mich nun  wieder für die schönen Tage, die Du mir während meines kurzen Urlaubs bereitet hast, recht herzlich zu danken. Du hast wieder alles getan, was Dir nur irgend wie möglich war und auch die Kinder haben mir die Tage mit verschönern helfen. Daß alles so schön und harmonisch verlaufen konnte, ist doch immer wieder Deiner Güte und Deinem großen Einfühlungsvermögen zu verdanken. So groß wie die Freude des Wiedersehens war, so schmerzlich ist dann immer der Abschied.  Es hat mir diesmal wohl ganz besonders wehgetan, weil man so gar nichts für Euch tun kann, denn die Dinge sind doch diesmal unklarer denn je, und man hat nur die Gewißheit, daß man alles gesund daheim verlassen hat. Ich sehe Euch, meine Lieben, noch am Zuge stehen und mir die Hände drücken, doch der Zug rückt an und ich bin allein. Im Dämmerschein der Lampe sehe ich Euch noch stehen und alles scheint ausgelöscht zu sein. Aber eines bleibt uns ja noch, und das ist die Hoffnung auf ein gesundes Wiedersehen, das uns bis jetzt immer noch beschieden war. Wir wollen für das nächste Mal glauben, daß uns das Schicksal ein genau so unverhofftes und plötzliches Zusammenkommen läßt. Bleibt mir nur gesund und haltet Euch weiterhin, aber vor allem seid nochmals herzlich bedankt für alles, was Ihr mir getan habt. Ich hoffe, daß ich Euch das in irgendeiner Form wieder entgelten kann. Nehmt recht herzliche und innige Grüße entgegen, laßt Euch alle zusammen vielmals küssen von Eurem Vaterle und 

Deinem Ernst.

Brief 617 vom 16.1.1945


Mein liebstes Mädel !                                                                                       16.1.45   

Die Post hat mich gestern wieder einmal nicht bedacht. Außer von Deinem Vater, der mir einige Briefumschläge und Briefpapier sandte, erhielt ich keine Post. Man kannja schließlich auch nicht verlangen, daß jeden Tag etwas eingeht.  aber das läßt sich nun nicht verheimlichen, daß der Empfang liebe Zeilen doch eine recht angenehme Abwechslung in unserem Alltag ist. Dafür hatte ich eben vorgestern gleich drei Briefe von Dir. Als ich sie mir noch einmal durchlas, da mußte ich im Stillen für mich lachen, als unser Mädel den Anspruch erhebt, schneidig auszusehen. Sie ist ja einmal ein kleines Äffle, das zwar schon mächtig in die Länge geschossen ist. Das sind eben die Sorgen der Kinder, wenn sie größer werden. Aber das gute Mutterherz hat es doch nicht überwinden können und hat gleich die Windjacke geopfert, damit das Mädel schneidig aussieht. Daß unser Herr Sohn nicht nachziehen will, das kann ich mir ohne weiteres denken, denn gerade so ein neues Stück , vor allem, wenn es modern und schnittig aussieht, dann reizt das. Wie ich aus dem letzten Brief von Dir lesen kann, hast du doch den Radioapparat irgendwo untergebracht. Daß das keine Kleinigkeit ist, ihn jetzt gemacht zu bekommen, das ist ja ohne weiteres erklärlich. Aber ich hatte Dir ja schon gesagt, daß Du eben etwas unternehmen mußt, damit Du zu Deinem Ziel kommst. Es ist ja ein Einrichtungsstück geworden, das man heute fast nicht mehr entbehren kann. Hoffentlich hast Du Glück und erhältst ihn bald wieder zurück.  Seit gestern ist das Wetter hier sehr winterlich geworden. Es hat lange geschneit, und alles ist schön mit Schnee überzogen. Nur in den Gräben macht da wenig Spaß, denn der Wind hat sie uns zum Teil recht verweht. Da heißt es schaufeln, damit sie nicht ganz zugeschneit werden. Dann muß man ja auch damit rechnen, daß das alles taut, und dann haben wir die Schweinerei im Graben. Zur Nacht hin hatte es aufgeklart. Es war eine herrliche Sternennacht, und der Morgen hatte eine Klarheit, wie ich sie selten erlebt habe. Der Himmel blau und dazu überall der frische Schnee. Es war ein Anblick, der recht friedlich anmutete, doch die raue Wirklichkeit läßt sich nun einmal nicht hinwegtäuschen.  Heute jährt sich zum zweiten Mal der Tag, an dem unser lieber Kurt sein Leben in diesem grausamen Kriege opferte. Wie oft, muß ich an ihn denken.  Was hatte er nicht für Pläne, wenn der Krieg vorbei ist. Das ist nun alles zunichte geworden. Man könnte wohl manchmal sagen, daß ihm manches, was sich bisher ereignet hat, erspart geblieben ist, aber das hätte er auch so ausgehalten, wie ich es auch durchhalte. Wenn man nach dem Sinn des Sterbens sucht, dann könnte man sich manchmal sagen, daß für das, was bis jetzt erreicht worden ist, die Opfer zu groß sind.  Es ist ja nicht nur unser Kurt; die Zahl ist wohl ins Ungeheuerliche gestiegen, wenn man gleichzeitig noch die Opfer durch Terrorangriffe denkt. Man kann dann höchstens wieder einen Sinn darin sehen, wenn man sich sagt, daß diese Opfer gerechtfertigt werden müssen durch ein siegreiches Beenden dieses Krieges. Wenn ich den Brief von Nannie lese, dann muß ich immer wieder, wie auch in den vorhergehenden, feststellen, daß sie mächtig darunter leidet, daß dieser arme Junge draußen geblieben ist.  Niemand kann sich um das Grab kümmern. Wahrscheinlich wird alles dem Verfall preisgegeben sein. Das Andenken an ihn kann man bewahren und hegen. Daß wir ihn nicht vergessen, das versteht sich ja von selbst. An einem solchen Tag, da ist das Gedenken besonders stark.  Recht herzlich grüße ich Dich und die Kinder. Bleibt Ihr mir nur gesund und grüßt auch Vater wieder von mir. Ich lasse für die neuen Jahreswünsche bestens danken. Dir und den Kinder gebe ich jedem einen herzlichen und kräftigen Kuß und bin  wie immer 

Dein Ernst.

Brief 616 vom 15.1.1945


Mein liebster Schatz !                                                                                                15.1.45    

Endlich habe ich wieder einige Post von Dir erhalten, über die ich mich recht gefreut habe, denn ich war gestern derart abgespannt, daß ich beim Briefeschreiben keine richtigen Gedanken fassen konnte. Durch Deine lieben Zeilen habe ich eine Ablenkung erfahren, und gleichzeitig bin ich etwas entspannt worden. s fließt mir auch heute wieder etwas besser aus der Hand. Seit Tagen hieß es, daß wir mit irgendwelchen Überraschungen des Gegners rechnen müßten. Das ist ja schließlich auch erklärlich, wenn man bedenkt, daß wir keine großen Kampfhandlungen in der letzten Zeit in unserem Raum hatten. Durch die Auslösung einer Offensive des Russen in unserem unmittelbaren Nachbarabschnitt, ist die erhöhte Alarmbereitschaft etwas aufgelockert worden, so daß man auch wieder eher etwas zu sich kommen kann. Mir selbst würde das nicht allzu viel ausmachen, aber alle Menschen, mit denen man umgeht, die sind gereizt und Nervös. Wenn ich, wie in der vergangenen Nacht, vier Stunden hintereinander geschlafen habe, dann geht es doch wieder besser. Also, wie gesagt, es läßt sich heute besser an, und das ist ja wichtig. Ich habe nun durch die neu eingetretene Situation eine für mich neue Waffe erhalten. Es ist ein Schnellfeuergewehr, mit dem man schon etwas machen kann. Das habe ich gestern auseinandergenommen. Wenn man so ein Ding hat, dann hat es keinen Zweck, wenn man sich nicht damit auskennt. Die habe ich gestern eingehend untersucht.  ABer nun zu Deinen Briefen. Es sind die vom 1. bis 4.1.. Wie ich lese, seid Ihr ordentlich ins Neue Jahr gerutscht. Wie ich diesen Übergang erlebt habe, weiß Du ja schon . Ich freue mich, daß Ihr beieinander gewesen seid, und daß Ihr, allerdings den Umständen entsprechend, an der alten, hergebrachten Weise festgehalten habt und auf den Kartoffelsalat nicht verzichtet habt. Für die guten Wünsche zum Jahreswechsel danke ich Dir; hoffen wir, daß sie in Erfüllung gehen.  Der Schneefall um die Jahreswende kam den Kindern sicherlich recht gelegen, denn gerade während der Ferienzeit ist das doch eine schöne Abwechslung. Da hat wohl Helga auch fest mitgemacht. Hatten wir nicht zwei Schlitten? Dann hat es doch da keine Schwierigkeiten gegeben, wer fahren darf und wer nicht. Ich kann mir denken, daß Jörg da große Angst gehabt hat, daß er zu kurz kommt. Sie sollen aber gerade hinter dem Bismarckturm recht Obacht geben, denn an den vielen Bäumen hat es schon manchen Bruch gegeben, und zwar nicht der Schlittenbruch, sondern auch manchmal sind die Knochen gesplittert.  Das EK ist nun auch bei Dir eingetroffen. Hast Du eigentlich die Urkunde dazu erhalten? DAvon hast Du mir bis jetzt noch nichts geschrieben. Genau so weiß ich nicht, ist mein Weihnachts- und mein Brief für Neujahr angekommen. Der Brief zum Nikolaustag für die Kinder ist anscheinend auch verloren gegangen. Dann gib ihnen doch das Geld, was ich ihnen zugedacht hatte. Ich hänge dadurch mit einigen Dingen in der Luft und weiß nicht, was eigentlich so richtig los ist. Das Geschenk von 100 Rm für die Kinder ist sicherlich auch eine Freude. Wenn sie so weitermachen, dann haben sie bald ihre tausend Mark beieinander. Daß er diesen Betrag gespendet hat, ist ja ordentlich.   Daß man einen Deiner Briefe zurückgesandt hat mit dem Vermerk, „Neue Anschrift abwarten“ ist mir unverständlich. Das muß ja ein großer Idiot gewesen sein, der das gemacht hat. Aber wie ich von meinem Feldwebel höre, ist genau der gleiche Fall passiert. Ich kann mir das nicht vorstellen. Männer wie er und ich sind in der Kompanie bekannt wie kaum jemand. Aber es gibt immer wieder einmal Schnitzer. Dumm ist nur, daß sich die Angehörigen Gedanken machen, ob nicht etwas passiert ist. Es ist alles kalr, das kann ich Dir noch einmal ausdrücklich bestätigen.  Daß Du den Kindern jedem eine Windbluse gemacht hast, wird ihnen sicherlich eine große Freude gewesen sein. Das bitterböse Gesicht von Helga kann ich mir vorstellen, wenn sie herumlaufen muß mit Sachen, die nun gar nicht geschmackvoll sind. Jetzt sind ja beide wieder befriedigt.  Heute habe ich Dir wieder einmal etwas mehr als gestern erzählt. Ich denke, daß Du wieder zufriedener mit mir bist. Lasse Dich nur recht herzlich grüßen und viel, vielmals küssen von Deinem immer an 

Euch denkenden Ernst.

Brief 615 vom 13.1.1945


Meine liebe gute Annie !                                                                                             13.1.45

 Wenn meine Gedanken auch wie immer bei Euch weilen, so weiß ich doch nicht, wie viel zu schreiben ich heute in der Lage bin. Zeit hätte ich ja, aber ich bin äußerst abgespannt Seit achtundvierzig Stunden habe ich nur mit ganz wenige Unterbrechung gewacht. An Schlafen kann ich gegenwärtig nicht so denken, wie man es gern möchte. Es kann sich wahrscheinlich noch einige Tage so hinziehen. Die Gedanken kann man dann doch nicht so sammeln, aber Du sollst immer wieder sehen, daß ich an Euch denke und daß ich Euch nicht vergesse. Diese Schreiben sind nun einmal der sichtbare Beweis dafür. Ich weiß, daß es Dir wohl nicht erst eines besonderen Beweises bedarf. Es handelt sich ja auch nicht darum, sonder mir sind diese wenigen Minuten, die ich mich zum Schreiben hinsetze und manchmal aus Zeitmangel zwinge, die Minuten der Erholung aus dem hiesigen Erleben. Da kann ich meine Gedanken zusammenfassen und besonders mit bestimmter Zielsetzung nach hause wandern lassen.  Schreibe ich nicht, dann werde ich durch dies oder jenes abgelenkt. Das kann aber so nicht eintreten. Das ist eben unsere Aufgabe, wach und munter zu bleiben. Ich schlafe tatsächlich nur noch wie ein Tier. Wenn ich nicht gerade im ersten Schlaf bin, den ich so für die erste Stunde rechne, da höre ich jeden, der kommt und jedes Geräusch. Daß das keine Ruhe ist, das ist wohl ganz klar. Aber immerhin bin ich nach ganz kurzer Ruhezeit fast vollkommen frisch. Man wundert sich, wie schnell man unter gegebenen Umständen ausgeruht ist. Zwar muß man damit rechnen, daß das bei nächstbester Gelegenheit nachgeholt wird. In dieser Situation gibt es nun Kameraden, die fressen eine Zigarette nach der anderen. Das ist mir kein Bedürfnis bis jetzt. Denen hilft es, aber ich habe das noch nicht nötig. Ich hoffe auch, daß das nicht einmal notwendig sein wird.  Das ist recht, daß die Kinder die Ferien täglich zum Ausschlafen benutzen. Wenn dann die Schule mit ihrem geregelten Betrieb angeht, dann steckt ihnen doch bald die Müdigkeit wieder in den Knochen.  Das Wetter ist bei uns wieder milder geworden. Nur stellenweise ist der Fluß aufgebrochen. Doch zum größten Teil trägt das Eis noch. Wenn wir Glück haben, dann wird der Winter nicht allzu streng. Aber trotz allem heißt es hier Obachtgeben. Lasse mich jetzt bitte schließen. Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich und viele Küsse für ich wieder bei. Ich bin stets 

Dein Ernst.

Brief 614 vom 12.1.1945


Du mein liebstes Mädle !                                                                                           12.1.45 

 Mein Tagesgruß soll nun auch werden, denn es geht wieder auf die Zeit zu, da es heißt, sich fertig machen und Essen fassen. Gleichzeitig muß man ja dann auch seine Post abgeben. Wenn man diesen Punkt nicht trifft, dann ist das absenden des Briefes verpatzt bis zum nächsten Tag. Also dann einmal los. Ein Brief ging von Dir gestern nicht ein. Ich bekam überhaupt keine Post. Aber das ist ja kein Grund zum lamentieren. Aber ich habe ja noch einiges, was wohl aus Deinen vergangenen Briefen zu beantworten ist; auch sonst gibt es einiges zu schreiben. Da wäre die Mitteilung von Deinem Vater, daß der Elternverein aufgelöst worden sei. Dieses Schreiben ist doch gewissermaßen eine Art Todesurteil. Wenn man so bedenkt, steckt doch ein ziemliches Stück Leben Deines VAters und im weiteren Sinne unserer Familie darin. Was hat sich gerade während dieser 25 Jahre alles ereignet, und wie ist das Leben Deiner Eltern von diesem Verein beeinflußt worden. Manches hätte vielleicht andere Wendungen genommen. Manches Positive hat sich zweifellos dabei auch herausgestellt. Gerade wie in diesem Schreiben, die Kinderlandverschickungen hervorgehoben werden. Eine Angelegenheit, die heute von Partei wegen so herausgestellt wird. Dort war es eine Sache, die schon lange vorher geübt wurde. Du hättest wahrscheinlich nicht nach der Ostmark gekommen, und wenn der Verein, oder die Dinge, die damit zusammenhängen nicht gewesen wäre, hätten wir uns sicherlich nicht kennen gelernt. Manchen Gedanken könnte man dabei weiterspinnen. Aber es ist nicht die Zeit dazu, daß man nun Tränen der Wehmut vergißt, wenn man einer abgeschlossenen Angelegenheit das letzte Wort spricht. Mit Stolz kann Dein Vater immerhin auf die geleistete Arbeit zurückblicken. Was dabei zum inneren Familienleben sich ergeben hat, das ist ja eine besondere Angelegenheit. Ich werde Deinem Vater dazu in meinem nächsten Brief an ihn noch einige Worte richten. Nannie schreibt in ihrem letzten Brief auch um Päckchenmarken. Ehe ich ihr darüber etwas Zusagendes mitteile, will ich erst einmal bei Dir anfragen, ob Du etwas dagegen einzuwenden hast, wenn ich ihr die nächste Marke zugehen ließe. Ich werde sie zwar gleich darauf aufmerksam machen, daß es eben nur große Marken gibt, und ob ihr das nicht zuviel wird. Denn ich will nicht haben, daß sie sich in Unkosten stürzt, denn wir haben immer noch soviel zu essen, daß  man auskommt, und mehr braucht man ja auch nicht. Andererseits kannst Du mir Kleinigkeiten schicken, die ihr nicht so entbehrt, wenn die Möglichkeit des Absendens besteht. Also teile mir darüber Deine Ansicht bitte mit. _ DAß Du so mit Würmern zu tun hast, ist ja höchst unangenehm. Aber daß das für mich ein Grund zum Ekeln wäre, das kann ja nicht zutreffen. Erstens bin ich schon allerhand gewöhnt; daß ich nicht empfindlich bin, das weißt Du auch. Also da nur keine falsche Scham. Ich wünsche Dir nur recht viel Erfolg zu Deiner Kur. Jörg ist doch dafür auch immer sehr empfindlich. Hat er nichts davon abbekommen oder hast Du sie von ihm? Für die Grüße von Resi danke ich, ich lasse sie erwidern, wenn Du sie triffst. Ich habe schon einmal gefragt, was macht denn Fritz? Hat sie überhaupt wieder etwas von seiner Einheit gehört. Wie nimmt sie das auf?  Die Nummern der Sparbücher hatte ich mir schon früher notiert. Die Kinder haben ja auch schon ganz nette Beträge zusammen. Hoffentlich können sie es einmal für sich entsprechend verwerten. Aber auch Du wirst mich ja nun bald erreicht haben.  Daß Ihr jetzt öfter wieder inn der kleinen Stube sitzt, ist doch für Euch auch gemütlicher. Nicht allein, daß Du damit Heizung sparst, sondern auch so hat sie vieles an sich, was das Leben in ihr angenehm macht. Wenn ich an den geflochtenen Stuhl denke, so sehe ich im Geiste noch unseren Kurt damit an dem einen Weihnachtsfest ankommen. Er konnte nicht viele Worte machen. und doch freute er sich im Stillen, daß ihm das möglich war. In diesen Tagen sind nun zwei Jahre vergangen, seit er sein Leben ließ. Immer werde ich in Stolz und Ehre an ihn denken. Er war ein prima Kerl. Daß er manchmal nicht immer ganz frei war, das muß man verschiedenen Umständen zugute rechnen, die auf seine Entwicklung eingewirkt haben. Lasse Dich recht herzlich grüßen. Dir und den Kindern viele liebe Küsse sendet Euer Vaterle und 

Dein Ernst. 

Brief 613 vom 11.1.1945


 Mein liebes gutes Mädel !                                                                                          11.1.45       

Da braucht man sich nicht wundern, wenn man hin und wieder lange auf Post warten muß, wenn ab und zu ein Schreiben irgendwo hängen bleibt. Gestern trudelte Dein wirklich lieber Brief vom 9.12. auch schon ein. Der muß sich wahrscheinlich unterwegs ausgeruht haben, Aber an Inhalt hat er ja trotz des langen Ausbleibens nicht verloren. Man merkt aus Deinen Zeilen, daß Du wieder einmal frisch und munter gewesen bist, daß Du wieder einmal Laune gehabt hast. Man ist ja nicht an jedem Tag gleich gut aufgelegt, das weiß ich ja auch von mir selbst. Wenn ich nicht gerade sagen könnte, daß ich mich bisher zu einem Brief quälen müßte, den ich an Dich schreiben wollte, so gibt es doch hin und wieder Stunden, da hat man das Bedürfnis, wie immer zu schreiben und es kommt und kommt nicht das zustande, was man eigentlich vor hat. Ich kann mir vorstellen, daß die zwei Wochen Wartezeit schon eine gewisse Nervenanspannung bedeuten, und daß dann eine Lösung dieser Spannung eintritt, wenn man gleich mit mehreren Schreiben bedacht wird. Wenn zwar die Kinder schon darunter leiden müssen, wenn so ein Masseneintreffen von Briefen eintritt, dann müßte man schon etwas dagegen tun. Nicht genug, daß Du Helga kitzelst, so hattest Du noch die verwerfliche Absicht, die gleiche Prozedur auch an mir auszuüben. Habe ich ein Glück gehabt, daß ich noch hier draußen bin. Nicht nur, daß Du mich kitzeln wolltest, Du hattest auch noch vor, mich zu piesaken und an den Haaren zu ziehen. Das ist doch die Höhe. Wichtig ist ja, daß sich alles wieder gegeben hat und ich nehme an, daß Euer Leben auch wieder in geordnete Bahnen gekommen ist. Du fragst, ob wir uns früher mit Schätzlein oder ähnlichem angeredet hätten. Ich weiß es zwar auch nicht genau, es ist mir zwar auch jetzt nicht ganz klar, was die Veranlassung war, daß ich etwas derartiges geäußert habe. Wenn Du von Dir sagen kannst, daß Du noch nicht so abgeklärt wärst, wie ich es behauptet habe, dann ist ja auch alles in Ordnung. Von mir wolltest Du nun wahrscheinlich auch eine entsprechende Erklärung haben, denn Deine Zeilen zielen darauf hin. Ich habe manchmal das Gefühl, daß ich noch der gleiche Dummkopf sei, der ich früher auch war. Ich meine, ich würde die gleiche Dummheit nochmals machen und Dich wieder heiraten. Ich habe ja bis jetzt keine schlechten Erfahrungen gemacht. Zwar bin ich wohl bald die Hälfte unserer Ehejahre nicht daheim und kann damit sagen, daß ich ganz gut mit Dir zurechtkomme und wirtschaften kann, aber ich glaube, daß die Jahre vorher, die wir zusammen gemeinsam verlebt haben, auch nicht die schlechtesten waren. Das ist doch wieder ein tolles Kompliment. Du wirst sagen, das sieht dir ganz und gar ähnlich. Aber daran kannst Du vielleicht auch erkennen, daß ich mich in den vergangenen Jahren nicht sonderlich geändert habe. Meinst du, ich sei abgeklärt und kühler geworden? Das nicht, aber der gleiche Flegel oder Lümmel bist Du auch noch, wirst du sagen. Gut, dann nehme ich das eben hin und gehe reumütig in mich. Wenn Du mir nach 13jähriger Ehe Liebeserklärungen machst, wie Du schreibst, so wird das doch höchste Zeit, denn früher hattest Du das doch ganz vergessen. Aber es fehlt noch etwas Schmalz (Schmelz?). Wenn ich so manchmal die Briefe von den jungen Kameraden sehe, die an ihre Freundinnen  und Bräute schreiben, da können einem die Augen übergehen. An Überschriften konnte ich ohne weiteres etwas lernen. Aber in dieser Beziehung waren wir schon von früher Jugend auf prosaisch, wie Du früher immer sagtest.  Wenn Du mir mitteilst, daß ich hier mit Kameraden im Bunker sitze und Du wegen der Einquartierung maulen würdest, so hat das nicht ganz seine Richtigkeit. Ich will wissen, daß meine Wohnstatt, meine Heimat für mich offen steht, wenn ich einmal nach hause kommen darf. Ich möchte mir nicht Gedanken machen müssen, daß in der an sich schon kleinen Wohnung noch jemand haust, und den ich erst fragen müßte, ob ich kommen darf. Es ist genug, daß wir hier draußen unter solchen Verhältnissen leben müssen. Das läßt sich hier nicht anders einrichten. Daheim geht das aber. Die Not der Ausquartierten ist bestimmt groß, aber zur Linderung dieser Not muß eben die Aufsichtsbehörde da eingreifen, wo es möglich ist und nicht dort, wo die Menschen schon aufeinander sitzen. Ich denke, daß wir in dieser Geschichte nun vollkommen klar sehen.  Daß meine SA-Hose für unseren Jungen noch so gute Zwecke erfüllt ist ja in Ordnung. So fressen höchstens die Motten das Ding auf und für ihn haben sie noch Zweck. Ich werde schon wieder etwas finden, wenn ich sie noch einmal brauchen sollte. Die nächsten 14 Tage kommt das ja noch nicht infrage. Daß Du mir für die Zur Verfügungsstellung dankst, ist nicht weiter notwendig. Besser wäre es schon, wenn das unser Herr Sohn tun würde. Ich weiß zwar, daß er zu sehr mit Spielen und Basteln beschäftigt ist, da hat er weniger Zeit für einen alten Vater.  Gestern bekam ich noch von Nannie einen Brief. Sie schreibt wieder ganz vernünftig.  Ich werde ihr bald diesen Brief beantworten. Dann lasse ich Dir ihre Zeilen wieder mit zugehen. _ Ich schrieb Dir wohl schon gestern von unserem Bunker, wie riesig da alles ist. Ich habe dabei so an das Buch „Jürn Jakob Swehn...“ denken müssen. Das wäre sogar für dieses Ehepaar ein Kunststück gewesen, mit Kreide Zeichen der einzelnen Zimmer abzuteilen. Vor allem bei einer solchen Besatzung. Die hatten wenigstens noch den Vorteil, daß sie keine Ratten hatten. Mit diesen Biestern kann man auch nicht so umgehen wie man will, denn die sind imstande und streichen die Kreise weg.  Ich selbst unterhalte mich am meisten, wenn die Kameraden wie wild tun. Erstens werden die tollsten Märchen erzählt und jedem sieht man dabei an, wie er sich ekelt. Ich könnte ja auch nicht behaupten, daß ich meine Freude an diesen Viechern hätte, aber ich habe dabei doch meine Ruhe und bin trotz allem imstande, mich noch über die anderen zu amüsieren. Weniger schön ist dagegen die Läuseplage. Aber ich habe mir schon ein Mittel besorgen lassen, das dem abhelfen soll. Hoffentlich wird es dann wieder einmal anders. Wenn Du wieder Deinen Spaß an meinem Klagelied haben solltest, dann schicke ich Dir einmal eine ausgequetschte mit, damit Du diese Viecher auch einmal kennen lernst. Was sagst Du nun zu dieser Drohung?  Die Gegend ist wieder einmal voller eisenhaltiger Luft. In der Nachbarschaft wummert es wieder einmal ganz gewaltig. Da darf man nicht neugierig sein und die Nase muß man wegnehmen.  Jetzt habe ich Dir wieder allerhand vorgeklönt und Kohl steht auch allerhand auf diesem so geduldigen Papier. So hast Du es nun bis hierher geschafft. Nun ist es sowieso Schluß. Lasse Dich darum mit den Kindern recht herzlich grüßen und vielmals küssen. Ich bin in alter Frische immer Euer Vaterle und 
Dein Ernst.  

 Schicke doch bitte wieder einmal einige Feldpostbriefe. Es wird knapp.

Brief 612 vom 10.1.1945


 Mein liebster Schatz !                                                                                              10.1.45                  

Als ich diesen Brief beginnen wollte hieß es, daß wir uns fertig machen müßten. Also blieb es bei dem guten Willen. Wir haben nun schon vorzeitig unseren Stellungswechsel was uns nicht ganz in den Kram paßte, aber beim Barras wird man ja nicht gefragt, ob man will oder nicht. Da heißt es eben abmarschieren, wenn es befohlen wird. Bevor wir abrückten, bekam ich noch zwei liebe Briefe von Dir, die ich Dir auch hier beantworten werde. Es sind Deine Schreiben 128/129, für die ich Dir vorerst recht herzlich danke. Die Post konnte ich gerade noch lesen, dann hieß es abmarschieren. Ich hatte ja mit meinem Fuß wieder etwas Glück, denn ich konnte mich auf ein Fahrzeug platzieren, da fiel wenigstens die Schlepperei des Gepäcks  weg. Es wurde zwar etwas kühl auf dem Bock, aber schließlich haben wir doch die neue Stellungen erreicht. Diese ist ja für uns wieder vollkommen neu, und ich kann schon sagen, daß sie Überraschungen in genügender Menge für uns hatte. Von der vorhergehenden Stellung waren wir wohl in Bezug auf Unterkunft etwas verwöhnt, aber das, was wir hier antrafen, das ist dann doch etwas stark. Das wirft uns in die erste Zeit zurück, in der wir über den Bach kamen. Ein Bunker ist es, mit allen Schikanen. Wenn man nicht gebückt stehen will und gern einmal den Kopf aufrecht tragen möchte, dann ist es hier am besten, wenn man sich auf den Knieen bewegt. Außer der Verlausung, die bei mir zwar etwas nachgelassen hat, haben wir nun noch eine neue Errungenschaft zu verzeichnen, wir haben hier Ratten. Die Biester bewegen sich mit Vorliebe auf dem Tisch und in unseren Betten. Man muß schon etwas Humor haben, wenn man hier zufrieden sein soll. ABer wir werden ja auch nicht ewig in dieser Stellung bleiben. Auch sonst gibt es hier manche Unannehmlichkeiten, die früher nicht in diesem Maße hervorgetreten sind. Aber es hilft eben alles nichts und mit Jammern verbessert man sich auch nicht die Lage. Licht ist zwar bei uns ganz großer Luxus, denn beim Bunkerbau hat man anscheinend erst hinterher gemerkt, daß er dunkel ist. Wenn Du in unserem Keller daheim das Gitter hoch machst, dann ist es gegen hier taghell, aber deshalb kann ich trotz allem nicht das Briefeschreiben einstellen. Mit der Zeit gewöhnt sich das Auge an diesen Zustand, und wenn man sich dazu hält, bekommt man während der hellsten Zeit doch einen Brief fertig. Zwar werde ich immer wieder einmal zwischendurch gestört. In der Zeit, in der ich jetzt diese Seite geschrieben habe, habe ich schon wieder drei T34 geknackt. Die Abschußzahlen haben sich aber seit einigen Tagen schwer verringert. Ich hoffe, daß ich diese Biester doch wieder einmal für eine Zeit ganz loswerde.  Nun zu Deinen Briefen. Die kleine Zeichnung von Helga ist wirklich gut gelungen. Wenn sie Freude daran hat, dann soll sie sich nur etwas stärker damit beschäftigen. Alles, was es so an Gegenständen im Haushalt gibt, läßt sich ja gut zeichnen. Das ist das beste Lern und Anschauungsmaterial . Für das nächste Bildchen, ich denke an eine kleine Skizze, werde ich ihr einen kleine Geldbetrag aussetzen, der ihr dann weiteren Ansporn für frohes Lernen sein soll. Sie soll auch meiner Ansich nach mehr Gegenstände zeichnen, denn es ist nichts schwerer zu zeichnen wie der Mensch. Wenn sie das hin und wieder versucht, dann ist es recht, aber sie sollte doch erst einmal tote Gegenstände nehmen. Häuser, Bäume oder ähnliche Dinge. Ich wünsche ihr also weiterhin viel Glück zu ihren Arbeiten. Eine Prämie gilt es also zu verdienen. Auch über Jörg und seine Bastelei habe ich immer meine Freude. Es macht mir Spaß, wenn Du mir berichtest, daß er das oder jenes sich gebaut hat. Gewundert habe ich mich nur, daß er sogar selbst seine Figuren schneidet. Das ist doch schon etwas schwieriger. Aber Geschick hat er anscheinend, das muß man ihm wohl lassen. Daß Du nun Deine Sorge mit ihm hast, weil er alles andere darüber vergißt, das kann ich mir vorstellen. Mit Geschick bringst Du ihn ja schon dahin, wo Du ihn haben willst.  Deine Mitteilung über die Zimmerangelegenheit hat mir etwas zu denken gegeben. Ich habe früher schon immer dagegengesprochen, wenn du an fremde Leute unser Zimmer abgegeben hast. Wie Du aus dem Beispiel ersiehst, hat man nur durch seine Gutmütigkeit Schwierigkeiten. Daß die lieben Nachbarn so Obacht auf uns geben, das ist nun einmal eine Tatsache, um die werden wir nicht herumkommen. Wir werden dagegen auch nicht sonderlich stark kämpfen können. Wenn die Dinge jedenfalls so liegen, wie Du sie mir schilderst, dann kommt eine Vergebung des Zimmers auf keinen Fall infrage.  Ich habe jedenfalls keine Lust, auf dem Abtreter zu übernachten, weil es verschiedenen Herrschaften in Konstanz so gefallen würde. Ich tue schon seit Jahren meine Pflicht. Wenn ich auch keinen Dank dafür haben will, aber auf eines habe ich ja immer noch Anspruch, das ist meine Familie und meine Wohnung, wenn ich einmal nach hause kommen sollte. Wir gehen in dieser Richtung einig, und das ist ja die Hauptsa che. Lasse Dich nur nicht auf die Hühneraugen treten und beharre auf Deinem Stand punkt. _ Was sonst noch aus Deinen Briefen zu beantworten ist, das werde ich morgen mit erledigen. Zum Abschluß grüße ich Dich und die Kinder wieder recht herzlich. Viele liebe Küsse kriegst Du, Helga und Jörg von 

Deinem Ernst.

Brief 611 vom 8.1.1945


Du meine Liebste !                                                                                                  8.1.45       

Deinen letzten Brief vom ersten Weihnachtstag erhielt ich am 3.  Die vergangenen Tage habe ich leider vergeblich auf einen Gruß von Dir gewartet. Es muß dies aber mit der allgemeinen Postbeförderung von unsrer Kante herauf zusammenhängen, denn meine anderen Kameraden, die aus unserer Gegend Post erwarten, ergeht es genau nicht anders. Da heißt es also weiter abwarten. Gestern habe ich einmal nicht an Dich geschrieben, wenn ich auch Gelegenheit dazu gehabt hätte. Ich war nicht so recht in Stimmung dazu. Vorgestern hatten wir nach dem Kameradschaftsabend einen Ruhetag eingeschaltet und gestern früh ging es mit unserer Ausbildung weiter. Wir haben Angriff geübt und mußten in eine Stellung einbrechen. Dabei passierte mir wieder einmal ein Pech, denn ich habe mir zur Abwechslung den Fuß übertreten. Diesmal ist es das rechte Fußgelenk. Das linke Fußgelenk und das Kniegelenk habe ich ja schon dran gehabt. Da wäre also jetzt noch das rechte Kniegelenk heil. Es ist diesmal nicht ganz so schlimm, denn ich denke, daß ich bald wieder richtig mitschlurfen kann. Für heute , dem Tag, an dem die große Übung steigt, ist es ja aus. Dafür habe ich hier Telefonwache, während alle anderen Kameraden weg sind. Das läßt sich nun nicht ändern. Hauptsache ist, daß es bald wieder ins richtige Gleis kommt, alles andere wird sich schon finden. Was macht eigentlich Dein Fuß? Hast Du noch größere Beschwerden damit, oder hat es sich jetzt ganz gegeben. _ Gegenwärtig herrscht hier ein einigermaßen ordentliches Winterwetter. Heute morgen hat es auf den alten verharschten Schnee wieder neue flocken gegeben. Es sieht alles wie frisch überzogen aus. Die Tannen und Kiefernbäumchen, die zur Tarnung vor dem Bunkerfenster stehen, sind leicht bereift und haben dadurch ein etwas festliches Kleid bekommen. Der Himmel ist zwar gleichmäßig grau und verspricht noch mehr Schnee. Ist es bei Euch ebenso kalt wie in Leipzig gewesen? Hier war die Temperaturschwankung nicht ordentlich stark. Da wird für Dich bald wieder eine Schuhsorge eintreten, denn Jörg wird dann bei einigermaßen ordentlichem Eisverhältnissen Schlittschuhlaufen wollen. Das ist eben in dieser Zeit nicht so einfach. Wegen des Kalenders mußt Du Dir weiter keine Lauferei machen, denn Dein Vater sandte mir erst einmal einen zu und versprach, daß er mir bald einen ordentlichen Taschenkalender folgen lassen will, sobald er den bestellten erhält.  Ich komme noch einmal auf die Angelegenheit wegen einer Räumung von Konstanz zurück.  Durch die Maßnahmen, die gegenwärtig in militärischer Hinsicht laufen, ist dieser Fall wohl wieder etwas in den Hintergrund getreten, doch ich erwähne dies vor allem deshalb, weil Du selbst in einem Deiner letzten Briefe davon sprichst. Dein Vater kommt auf Deine Zeilen zurück und meint, daß Du bzw. ich mich mit entscheiden müßte. Du würdest im Fall der Notwendigkeit lieber auf das Angebot von Erna eingehen, weil Du glaubst, daß es auf die Dauer mit Lotte doch nicht gut gehen würde, Daß Dein Vater großen Wert darauf legt, daß im Notfall seine Tochter zu ihm kommt, ist ihm hoch anzurechnen, aber es spielen eben manchmal noch gewisse Dinge mit, die in diesem Falle eben darin liegen, daß Leute vielleicht den guten Willen haben mögen, aber Schwierigkeiten bestehen nun einmal und denen soll man nach Möglichkeit aus dem Weg gehen.  Ich kann mir vorstellen, daß Du mit Erna leichter hantieren könntest als im anderen Fall. Zudem ist ja die Platzfrage recht entscheidend. Zwar muß man eben auch damit rechnen, daß Siegfried eines Tages auf Urlaub erscheinen würde, aber da ließe sich dann schon eine Regelung finden. Wenn ich so das eine gegen das andere abwäge, komme ich ebenfalls zu dem Schluß, daß eine einstweilige Unterkunft bei Erna günstiger ist. Es müßte dann im Ernstfall Deinem Vater die Notwendigkeit klargemacht werden. Aber hoffen wir, daß die Dinge für uns weiterhin einen günstigen Verlauf nehmen.  Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Vater wünsche ich gute Besserung mit seiner Bauchgeschichte. Hoffentlich renkt sich das wieder ein. Wenn er noch weiterhin Schmerzen haben sollte, dann müßte er eben einen Arzt oder den Bandagisten aufsuchen. Bleibt Ihr meine drei Lieben alle gesund und nehmt recht liebe und viele Küsse entgegen von 

Deinem Ernst.

Brief 610 vom 3.1.1945


Liebste Annie, Du guter Schatz !                                                                            3.1.45       

 Für Deine beiden Schreiben vom 20. und 22.12. Nummer 124 und 125 danke ich Dir recht. Wie mir scheint, habe ich Dich aber wohl doch etwas zui sehr mit meinen Schreiben verwöhnt, weil Du gleich von meinem Brief Nummer 136 feststellst, daß er kurz sei. Du schränkst zwar ein, daß Du Dich gefreut hättest, daß ich trotz des Marsches noch an Dich geschrieben hätte. Ich weiß zwar, daß Du gerade durch Deine Näharbeit, die Du freiwillig übernommen hast, mit Deiner Zeit nicht allzu viel Vergeudung treiben kannst, aber in den letzten Tagen muß ich aus Deinen Briefen öfters lesen, daß Du „gestern“ nicht schreiben konntest. Ich nehme zwar an, daß Du auch durch die vorweihnachtlichen Arbeiten ziemlich angespannt bist. Es ist ja viel, was Du immer zu arbeiten hast, ich weiß das wohl, aber ich bitte Dich trotzdem, daß das ein Ein-Tag-um-den-Anderen-Schreiben nicht zur Gewohnheit wird. Daß Du mich nicht vergißt, ist mir wohl bekannt, doch auch ich freue mich über jede Zeile, die ich von Dir erhalte. Wenn Du eben zuviel zu tun hast, mußt eben ab und zu mit der Näherei aussetzen, denn das geht auf die Dauer auch nicht, daß Du Nacht für Nacht bis 12 und 1 Uhr schaffst. Daß Du Dich nun abschuftest, liegt nicht in unser aller Interesse, denn Du mußt Dich nicht nur für Dich gesund erhalten, sondern für uns alle. Ich bitte Dich immer wieder, daß Du Dir das vor Augen hältst. Wenn Du auch Deine Freude daran hast, daß Du  zu Deinem Teil an den Kriegsanstrengungen teilhaben kannst, so darfst Du das, was ich vorher erwähnt habe, nicht außer acht lassen.  Helga wird sicher ihre Freude an der ihr gearbeiteten Mütze haben, denn blond und blau paßt doch nach meiner Meinung ganz gut zueinander.  Wie ich aus Deinem gestrigen Brief las, hat Jörg doch wieder Schule gehabt. Du schriebst mir doch einmal, daß ihr Schulunterricht ausfiel, weil ein Lazarett dort eingerichtet wurde. Es ist mir schon lieber, wenn er nicht verbummelt.  Das Päckchen Nr. 1 hatte ich schon ganz aufgegeben. Ich dachte, daß es schon verloren gegangen sei. Damit sind die ersten fünf Päckchen alle bei Dir eingelaufen. Ich bin nun gespannt, wie es den anderen zehn Päckchen , die noch unterwegs sind, ergeht. Es freut mich jedenfalls, daß es trotz der vergangenen Zeit ncch den Weg zu Dir gefunden hat. Der Zettel, der darin lag, hat die Tour mit durch den Narew gemacht, darum hat er so komische Ränder. Das mitgesandte Schreiben von Marburg habe ich inhaltlich schon von meiner früheren Dienststelle erhalten. Ich schrieb ja schon an Dich um Deine Meinung wegen des Reserveoffiziers. Ob diese ganze Sache für mich in Betracht kommt, weiß ich ja nicht genau. Ich habe jedenfalls zu meiner Unterrichtung nochmals an meine alte Dienststelle geschrieben. Ich werde abwarten, was ich von dort für eine Antwort erhalte. Ich könnte mich ja schließlich auch hier befragen, aber diese Herren haben ja uns alle nicht sondern leiden mögen. Ich möchte mir hier keine Abfuhr holen, wenn es nicht nötig ist.  In der vergangenen Nacht hat es hier ordentlich geschneit. Ein heftiger Wind hat ihn nun stellenweise verweht.  Gegen morgen, als es sich etwas erwärmte, hat es nun darauf geregnet, so daß jetzt alles verharscht ist. Das ist weniger angenehm. Aber heute Abend marschieren wir ja. Am 5. soll bei uns ein kräftiger Kameradschaftsabend gestartet werden. Ich verhalte mich im wesentlichen abwartend und lasse mich überraschen. Ruhe werden wir nicht sonderlich haben, denn wahrscheinlich werden wir exerziermäßig ziemlich herangenommen werden, aber lassen wir der Dinge ihren Lauf. Bleibt Ihr mir gesund. Laßt Euch alle Drei recht herzlich grüßen und recht recht oft küssen von 

Deinem Euch liebenden Ernst.

Brief 609 vom 2.1.1945


Du liebstes Mädel, meine liebe Annie !                                                                           2.1.45    

Ein Tag rinnt zum anderen, ohne daß sich bei uns Änderungen ergeben würden. Das Neue Jahr hat seinen Anfang genommen, von ihm erhoffen wir uns viel, doch dürfen wir nicht wieder in den Fehler verfallen und unsere Erwartungen zu hoch schieben. Im vergangenen Jahr haben wir bittere Lehren dafür hinnehmen müssen. Hoffen wir, daß sie uns in diesem Jahr erspart bleiben. Wenn ich schreibe, daß sich keine Änderungen von Bedeutung ergeben. so muß ich immer daran denken, als wir vom gegenüberliegenden Ufer hier herüberwechselten. Ich weiß zwar nicht mehr genau, ob ich Dir damals davon schrieb, aber als wir durch den Fluß marschiert waren, glaubten wir erst, daß wir nicht allzu lange in dieser Stellung uns aufhalten würden. Den russischen Druck hatten wir ja kennen gelernt, und es war ja zu erwarten, daß der Gegner sich zu neuem Stoß sammeln würde. Wir waren darauf vorbereitet, wenigstens innerlich, und rechneten damit, daß wir uns in dieser Stellung in Kürze verteidigen müßten. Daß dieser Stoß nicht lange auf sich warten ließe, war die allgemein herrschende Ansicht. Daß wir nun noch nach bald vier Monaten an der gleichen Stelle stehen, ist wohl nicht unser Verdienst, denn wir haben ja bisher nur gewartet, aber man kann es wohl als ein Erstärken  unserer Kräfte werten. Nach dem Verrat vom Juli und dem Zusammenbruch der Front im Westen und der Mittelfront im Osten trat im Herbst eine Stabilisierung und damit Normalisierung der Lage ein. Wir waren um jeden Tag froh, den wir hier bleiben konnten. Wenn auch eine ruhige Stellung nach außen hin ruhig erscheint, so hat sie doch vieles (eine Art und Weise in sich, was der Außenstehende nicht sieht noch merkt. Das ständige Wach und Bereitsein, das dauernde Warten und Spannen und immer in Erwartung, was der Gegner wohl tun wird, das zehrt an den Nerven, und doch sind wir froh, daß der Zustand noch so ist, wie er vor Monaten auch schon herrschte. Gewiß, an anderen Fronten ist es inzwischen erheblich zurückgegangen, so daß unsere Grenzen in Gefahr stehen und zum Teil sind sie wohl überschritten. Doch eines war uns während dieser Monate möglich, neue Kraft zu sammeln und aufzustellen, neue Waffen zu schaffen, die dem Gegner sicherlich noch mancherlei Schwierigkeiten bereiten werden. Eines war mir zwar schon von außen her fühlbar, daß es die Waffe, die Maschine allein nicht tun kann. Entscheidend hierbei ist wohl, wer sie führt und wie sie geführt wird. Dies ist mir im Laufe der vergangenen Monate eindringlich vor Augen gekommen und ich glaube auch, daß es mir noch nie so verständlich und klar war, wie zur Zeit. Ich glaube nicht, daß ich mich zu den Feiglingen zählen muß, aber ich bin von Natur aus ein Zweifler und muß den dingen erst auf den Grund gehen, ehe ich alles das glauben kann, was mir erzählt wird. Solche Sachen müssen erst wachsen. Es spielt zwar manches andere eine sehr wichtige Rolle hierbei, aber das zu erläutern würde wohl hier zu weit führen. Freuen wir uns, daß wir nicht nur innen, sondern auch nach außen hin wieder so erstarkt sind, daß wir mit großem Vertrauen wieder in die Zukunft blicken können. Nun habe ich Dir wieder allerhand vorgeklönt, das Die wohl selbst alles schon bekannt ist, aber nun steht es schon einmal hier und nun geht es auch mit weg.  Ja, ich habe sonst nichts weiter zu berichten, denn ich habe keine Post von Dir erhalten. Ein Päckchen schicke ich heute an Dich wieder ab, es trägt die Nummer eins und enthält einige Bonbons und Zigarren. 50,RM habe ich auch wieder abgesandt, denn was soll ich mit dem vielen Geld bei mir? Den Eingang der anderen Beträge wirst Du mir ja bestätigen, sofern sie inzwischen eingegangen sind. Mein Kalender ist ja nun auch vollgeschrieben. Ich stehe nun ohne da. Wahrscheinlich wirst Du sowieso keine bekommen, aber eins wird sich wohl machen lassen, daß Du mir einen Kalender aus früheren Jahren schickst, dann ist mir auch geholfen. Wahrscheinlich schreibe ich noch an Siegfried, damit ich mit meiner Post aufs Laufende komme.  Heute Nacht oder morgen werden wir uns wieder einmal verziehen. Ich schrieb Dir ja schon davon.  Bleibt mir gesund und laßt Euch recht herzlich grüßen. Viele liebe und innige Küsse füge ich für Euch bei. Ich bin in Gedanken immer bei Euch. 

Dein Ernst.

Brief 608 vom 1.1.1945


Mein liebstes Mädel !                                                                                          1.1.45    

Ein frohes Neues Jahr und ein Jahr der Gesundheit und der Freude wünsche ich Dir und den Kindern. Das zum voraus in meinem heutigen Brief. Vor Mitternacht sind wir auf Grabenstreife gewesen. haben nochmals mit sämtlichen Kameraden unseres Zuges gesprochen. Der Russe war zwar etwas vorweise, denn er muß anscheinend unter Schnaps gesetzt gewesen sein. Geschossen hat er und kleine Feuerüberfälle hat er vom zweiten Graben aus gemacht. Doch das konnte uns nicht weiter erschüttern. Es war gut, daß er uns sonst in Ruhe gelassen hat. Als wir von unserer ersten Streife zurückkamen, haben wir an unserem Weihnachtsbaum die Kerzen, die wir uns selbst gegossen hatten, angezündet, denn es war bald Mitternacht. Es hatten sich noch einige Kameraden bei uns eingefunden. Wir hatten eine Kleinigkeit zu trinken bekommen, so konnten wir doch das Neue Jahr im Gedenken an unsere Lieben und die Heimat mit einem kleinen Schluck begießen. Wir haben dann noch einige Lieder gesunden und uns noch unterhalten. Soweit es die Lage gestattete, haben wir uns wirklich ganz angeregt unterhalten. Für uns bestand ja der Befehl, die ganze Nacht munter zu bleiben. Das haben wir dann auch ganz gut hingebracht. Fotos wurden zum wiederholten Mal herumgezeigt, und jeder wußte etwas von der Heimat und von seinen Lieben zu berichten. Zuletzt, als wir sangen, habe ich erst einmal das Lied vom „Herrn Pastor seiner Kuh“ und später das Lied angestimmt „In einem Lande der Chinesen“ Gegen Morgen sind wir wieder durch unseren Zugabschnitt gegangen und haben den Kameraden unsere Wünsche zum Neuen Jahr überbracht. Es war so ungefähr der Jahreswechsel.  Unser Troß hatte uns wieder wirklich gut bedacht. Es gab die üblichen Essen, als Besonderheit erhielt jeder zwei Berliner, außerdem bekamen wir noch eine Tüte Gebäck, Bonbons und Zigaretten. Für heute früh haben wir uns den Pudding aufgehoben, so daß wir doch wirklich Grund genug hatten, froh zu sein über unsere Verpflegung.  Eins macht mir augenblicklich etwas Kummer, das sind die Läuse. Ich glaube, ich habe heute schon über hundert Panzer geknackt. In allen Preislagen kann ich sie anbieten. Es juckt mir immer noch auf der Haut, ich glaube, daß ich noch eine ansehnliche Menge davon beherberge, obwohl ich meine Wäsche so gründlich durchgesehen habe. Wenn wir jetzt in diesen Tagen in Ruhe kommen, dann will ich aber radikal damit aufräumen. Ich hatte gestern zum Jahresabschluß noch einmal eine gründliche Wäsche vorgenommen.  Ich glaube, seit ich von daheim weg bin, habe ich mich in der Zwischenzeit nur einmal so gründlich abgeschrubbt wie gestern. Aber es juckt und juckt, das ist schon nicht mehr schön. Wenn es auch nicht heute ist, so werde ich doch die Oberhand behalten, das ist mein Trost.  Gestern habe ich noch an Deinen Vater einen Brief geschrieben. Man muß immer zusehen, dass sich keine allzu großen Rückstände anhäufen, denn man muß doch alles mit sich herumtragen. Wenn ich dazu komme, werde ich morgen noch an Siegfried schreiben, dann habe ich alles wieder geschafft. Ich hoffe, daß ich heute Abend wieder einen lieben Gruß von Dir erhalten, denn gestern habe ich nichts bekommen.  Mit recht herzlichen Grüßen und vielen lieben Küssen denke ich an Dich und die Kinder. Ich bin stets Dein Mann und 

Dein Ernst.

Brief 607 vom 31.12.1944


Du mein liebstes Mädel, liebste Frau !                                                                   31.12.44      

Mit diesem Brief werde ich nun unseren Briefwechsel für dieses Jahr beschließen. Es war ein langes und sorgenreiches Jahr, das wir nun in wenigen Stunden abschließen. Aber trotz aller Schwernisse und trotz großer Anforderungen, die an uns gestellt wurden, könne wir heute sagen, daß wir es geschafft haben. Der Weg war hart und steinig, aber wenn wir vielleicht etwas Abstand von diesen großen Ereignissen gewonnen haben, werden wir einmal sagen, es hat sich gelohnt. Im Ungewissen liegt nun das Jahr 1945. Wir erhoffen uns von ihm sehr viel, denn dieses Hinausziehen Jahr um Jahr kann wohl auf die Dauer nicht getragen werden. Was haben nicht allein die vielen bombengeschädigten Familien aufgeben und leiden müssen. Wie viele haben ihr Haus und ihren Hof aufgeben müssen, weil der Krieg an unsere Grenzen herangerückt ist und teilweise diese Grenzen schon überschritten hat. Die Nervenanspannung des Einzelnen von der Arbeit her ist ebenfalls stark, und doch hat es sich gezeigt, daß wir in der Lage sind, unserem Feind die Stirn zu bieten, wenn wir nur unsere Kräfte alle anspannen. Trotz des verstärkten Einsatzes gibt es aber leider auch heute noch Menschen, die Abseits von diesen Dingen stehen und andere den Kopf hinhalten lassen. Solche Schmarotzer wird es immer wieder geben und die muß man packen, wo man sie antrifft. Mit verstärktem Glauben und neuem Vertrauen wollen wir aber in das Neue Jahr hineingehen, denn das, was uns im vergangenen Jahr bekannt geworden ist, liegt zum größten Teil grau hinter uns. Die Zukunft ist zwar nicht rosig, denn sie wird uns manches abverlangen, aber wenn wir fest zupacken, werden wir es meistern. _ Vielmals danke ich Dir für Deine lieben Zeilen vom 19., die mir gestern bei der Postverteilung ausgehändigt wurden. Manche Kleinigkeit erwähnst Du, die mir wieder gefallen haben. Schön ist es, daß Ihr zum Fest doch ein kleines Bäumchen gehabt habt. Es macht das Fest doch gleich stimmungsvoller. Wenn die Gabenverteilung auch nicht groß sein konnte, so gibt solch ein Bäumchen doch gleich einen anderen Rahmen. Du hast ja noch einige Kleidungsstücke für unsere beiden Stromers kaufen können. Das macht ja nicht nur ihnen, sondern auch Dir Freude, weil Du diese Sachen, trotz der Schwierigkeiten, die jetzt bestehen, hast bekommen können.  Was machst Du nur mit Deinem großen Verdienst, den Du im November ausgezahlt erhalten hast? Eins ist mir nicht ganz klar, wenn Du schreibst, Du hättest auch Ferien bis zum 2. Januar? Du gehst doch immerhin noch freiwillig zum Schaffen. Es freut mich, daß Du mich damit tröstest, daß auch an Dir die Jahre nicht spurlos vorübergegangen sind und daß auch Du älter geworden seist. Damit werde ich zwar meine grauen Haare nicht los, aber ich will mir diese Worte als kleinen Trost gelten lassen. Doch es liegt doch durchaus Grund zu meiner Auffassung vor, wenn Du mit Deiner Frisur jünger wirkst, daß ich eben doch wie der Vater von allen aussehen muß. Aber das Jüngeraussehen gehört nun einmal zum Vorrecht einer Frau, und damit will ich mich abfinden.  Du bemerkst weiter, daß die Kinder wieder Ferien haben. Jörg macht doch schon länger frei. Wie steht es denn mit seinem Lernen während dieser freien Wochen? Ich hoffe, daß er sich dahinter setzt während dieser Zeit, das will ich nochmals betonen, muß er mindestens eie Stunde am Tag sich seinen Büchern widmen.  Ich muß sagen, daß sich Frau Dietz immer noch in rührender Weise um unseren Jungen kümmert. Sie vergißt ihn nicht. Hast Du ihr denn auch wieder einmal ein Bild von ihm mitgesandt. Ich erwarte, daß sich unser Junge einmal persönlich bedankt. Er hat jetzt Zeit dafür, da gibt es kein Hinauszögern.  Gestern erlebte ich noch eine weitere Freude, denn ich erhielt von Siegfried einen wirklich netten Brief, den ich Dir mit zugehen lasse, wenn ich ihn beantwortet habe. Ich finde, daß das Verhältnis, das doch in früheren Jahren zwischen mir und ihm nicht immer zufriedenstellend war, das sich das von Jahr zu Jahr gebessert hat. Manchmal könnte ich sagen, daß die Verbindung zwischen uns nicht besser sein könnte, wenn wir Brüder wären. Das freut mich auch, daß ich das in Deiner Gegenwart sagen darf, denn er ist ja schließlich Dein Bruder. Es will ja schon etwas heißen, daß ich im Laufe der Jahre ein solches Verhältnis zu Dir herstellen konnte—aber das gehört ja wieder nicht hierher.  Unter dern letzten Jahresbrief möchte ich einen besonders lieben und kräftigen Kuß zum Abschluß setzen. Die Grüße sollen nicht minder herzlich sein für Dich, die Kinder und Vater. Glück auf ins Neue Jahr. Die besten Wünsche für Gesundheit im Neuen Jahr begleiten auch diesen Brief. Seid immer lieb zueinander und zu Eurem Vaterle und zu 

Deinem Ernst.   

Brief 606 vom 29./30.12.1944


 Du meine liebe, meine gute Annie !                                                                    29.12.44     

Dem Wochenende entgegen. Das Wetter ist hell und sichtig. Frischen Schnee hat es in der vergangen Nacht gegeben. Die Sonne scheint wieder und über unser Gehen durch Granaten und Granatenwerfer hinweg. Man nimmt nicht sonderlich Notiz, denn sie gelten ja nicht uns. Sie sollen den Iwan treffen. Bekämpfung des Feindes wird es genannt. Bis vor wenigen Tagen haben uns die Brüder herübergewinkt und nachts riefen sie uns zu. Sie fragten, wie spät es sei und ähnliches. Seit nun unsere Scharfschützen in den letzten zwei Tagen etwa zehn Mann abgeschossen haben, ist es auf der anderen Seite etwas ruhiger geworden. Zwar in der Nach macht er sich schon bemerkbar, aber da muß man sich vorsehen und den Geschossen aus dem Weg gehen. Die klaren Mondnächte gemahnen doch immer wieder zu gewisser Vorsicht. Zwar unsere weiße Tarnkleidung

 Liebster Schatz !                                                                                             30.12.44
 Aus bestimmten Gründen habe ich meinen gestrigen Brief abbrechen müssen, denn wir hatten noch eine Flasche Cognac hier, die ich mit meinem Feldwebel leergemacht habe. Wenn man sonst ganz und gar aus der Gewöhnung gekommen ist, dann hat man schon zu schaffen. Aber das ist nun auch vorüber, und für uns läuft der Betrieb einmal weiter.  Einen lieben Brief habe ich gestern wieder erhalten, der mir viel Freude bereitet hat. Es ist Dein Brief vom 17.12. Nummer 122. Daß Ihr Euch auch am 3. Advent wieder zusammengesetzt und Lieder gesungen habt, wird auch den Kindern gut gefallen haben. Daß dieses Zusammensein durch Alarm gestört wird, ist sehr schade, aber mit solchen muß man heute rechnen. Froh ist man aber, wenn alles heil vorübergeht. Das war ja auch der Fall. Deine Schilderung über unseren Jungen hat mich ebenso gefreut, denn ich kann mir vorstellen, wie er zu Eurem Leidwesen die Wohnung vollbaut. Die Soldatenlager dehnen sich sehr aus so daß er sie selbst nicht abreißen kann. Das ist für Frauen, die immer saubermachen wollen, nicht verständlich. Aber wie es scheint, hat sich dieser Pimpf durchgesetzt. Er ist doch ein rechter Kuppelbruder. Wo hat er denn schon wieder die anderen Flieger her? Aber in dieser Beziehung war er ja schon immer sehr betriebsam. Er macht sich jedenfalls Gedanken und befaßt sich mit den Dingen. Meist ist es ja so, daß die Kerle besser Bescheid wissen wie die Eltern. Helga kann man ja gratulieren zu ihrem Sammelergebnis. Das ist wirklich ganz beachtlich.  was sie da erreicht hat. Das kann ich mir vorstellen, daß das Ingrid weniger gefreut hat, denn sie ist in dieser Hinsicht recht ehrgeizig. Aber wichtig ist ja, daß ein jeder seine Pflicht tut.  Gestern bekam ich den Auszug aus dem Heeresverordnungsblatt über die Heranziehung der MV-Beamten zu Reserveoffizieren. Es ist mir dabei etwas nicht ganz klar. Ich weiß nicht nicht, ob das auch für mich in Betracht kommt, nachdem ich vorher nicht im Offiziersrang stand. Ich habe bereits eine Rückfrage an den Kameraden Örz gestartet. Ich will sehen, was man zu dieser ganzen Angelegenheit denkt. Im übrigen erwarte ich ja auch noch Deine Ansicht über diese Angelegenheit. Ich habe ja bis jetzt warten können, dann macht es wohl auch nicht weiter aus, wenn ich noch etwas Zeit verstreichen lasse. Es hat eben alles seine zwei Seiten. Ich weiß nicht mehr genau, habe ich Dir schon davon geschrieben, daß ich am 24. zwei Päckchen an Dich abgesandt habe. Sie enthalten Schokolade, Bonbons, Rauchwaren. Morgen kann ich noch ein kleines Päckchen mit einer Dose Fisch an Dich absenden. Neue Päckchenmarken haben wir hier auch erhalten. Ich sende sie Dir heute wieder mit und bitte Dich, daß Du mir einmal ein paar Äpfel schickst. Du mußt zwar obachtgeben, daß sie keinen Frost bekommen, aber ich denke, daß sich das schon machen läßt.  Ich denke wieder mit recht herzlichen Grüßen an Euch. Laßt Euch alle Drei fest und herzlich küssen., Bleibt nur immer gesund für Euer Vaterle und für 

Deinen Ernst.

Brief 605 vom 27.12.1944


Mein liebster Schatz !                                                                                             27.12.44        

Die Feiertage liegen nun hinter uns. Das Essen und alles andere geht wieder seinen Gang, wie wir es gewohnt sind. Ich schrieb ja schon, daß wir froh sind, daß sich unsere Vermutungen  glücklicherweise nicht bestätigt haben, daß uns der Russe hier einen Streich während der Feiertage spielen würde. Auch über die Jahreswende stehen wir noch an unserem alten Platz und hoffen, daß dann gleich hinterher eine Änderung eintritt. Also behalten wir unseren Tritt hinter dem Fluß bei und beobachten. Über die Zimmerangelegenheit habe ich ja gestern ausführlich mit Dir gesprochen. Ich hoffe, daß wir beide uns nun einig sind. Was für Dich noch aufklärenswert wäre. mußt Du mir dann mitteilen, ich werde Dir dann entsprechend meiner Auffassung Bescheid zukommen lassen. Deine Klage bezüglich Vater und seiner Redewendungen kann ich verstehen, denn ich kenne ihn ja von dieser Seite nur zu gut. Es ist nicht nur, daß er so spricht, sondern auch das Lächeln ist mir sehr erinnerlich, das er in solchen Fällen aufsetzt. Daß dies alles zum Widerspruch reizt, ist mir ganz verständlich.  Das, was mich am meisten an dieser Geschichte ärgert ist das, daß er ausgerechnet während der Zeit herummeckert, während der ich nicht da bin. Komme ich dann einmal nach hause, dann erzählt er mir vom Zusammenhalt und gegenseitiger Unterstützung. Wenn er früher auch seine Macken gehabt hat, so habe ich doch das Empfinden, daß sich dies alles wieder verschärft hat, seit er zu Paula geht. Paula ist gewissermaßen der böse Geist, der sich gegen uns wendet. Eine Möglichkeit direkt gegen uns zu arbeiten besteht kaum, aber auf diesem Wege läßt sich das anscheinend auch tun.  Früher war unser lieber Kurt das Werkzeug und jetzt nimmt Vater die Stellung ein.  Die Einzelheiten, die Du nun anführst, kann ich zum großen Teil erklären. Die meisten Mullbinden stammen von Deinem Vater. Die extra eingepackten hast Du von mir erhalten. Es liegt also keine Veranlassung vor, daß er sich darüber wundert. Von mir hast Du soviel Schreibpapier erhalten, daß wir auf kein anderes Papier angewiesen sind. Was sonst die anderen Dinge von Kurt anbelangt, so bleibt ja letzten Endes das Verfügungsrecht darüber mir vorbehalten. Die Angelegenheit mit den Büchern geht so ganz und gar in Ordnung, wie Du sie erledigt hast. Ich selbst lege ja keinen großen Wert darauf, wenn mir gänzlich unbekannte Leute in unseren Büchern herumkramen. Bücher, die wir doch teilweise unter recht schweren Opfern und Einschränkungen erstanden haben. Wenn Vater glaubt, daß er in irgendeiner Form benachteiligt ist, dann soll er dies offen und ehrlich äußern, denn wird sich ohne weiteres ein Weg finden, der ihm das zukommen läßt, was er braucht. Ich persönlich bin nicht auf die Sachen angewiesen, die dieser arme Junge uns hinterlassen hat, denn ich habe das, was ich brauche. Von mir aus kann er alles das haben, was von ihm da ist. Ich will aber andererseits nicht, daß wir das Vermächtnis von Kurt mißachten und nun hier irgendwelche Änderungen vornehmen, die nicht in seinem Sinn sind. Ich habe schon immer diesen Standpunkt vertreten, denn Du brauchst ja nur einmal in den letzten Briefen von mir nachblättern, aus denen läßt sich ja heute noch einwandfrei feststellen, daß ich Vater alles zur Verfügung stellen wollte. Daß ich gerne ein Andenken von ihm hätte, das braucht wohl weiter nicht in Frage stehen. Aber eins kann ich nun einmal nicht vertragen und das ist diese Stichelei. Wir haben heute weiß Gott doch andere Sorgen als solches Gekörgele. Wenn er ein alter Nockergreis sein will, dann muß er zusehen, daß er dafür andere Opfer findet.  Die Nerven eines einzelnen sind heute derart angespannt, daß man sich nicht noch solche zusätzlichen Belastungen leisten kann. Ich bitte Dich daher, Vater gegenüber ein etwas bestimmteres Auftreten zu zeigen, denn das ist nach meiner Ansicht das einzige, was er noch einigermaßen respektiert. Eins kann ich aber auf die Dauer nicht dulden, daß Vater immer wieder herumstänkert, denn es ist ja nicht so, daß nur Du die Leidtragende bist. Auch die Kinder versuchen schon Abstand von ihm zu nehmen in der Erkenntnis, daß er doch immer nur wieder etwas zu bemängeln hat. Das geht auf keinen Fall, und das muß unbedingt abgestellt werden. Ich bitte Dich aber diesmal wieder dringend, daß Du mir solche Sorgen mitteilst, damit ich hier nicht eines Tages vor eine vollendete Tatsache gestellt werde und Du hir unter diesen Dingen leidest, was wirklich nicht notwendig ist. Wie gesagt, tritt ihm in bestimmter Form entgegen, behaupte unseren Standpunkt und unser Recht. Daß Du trotzdem korrekt bleibst, das weiß ich sowieso. Deshalb mache ich mir die wenigsten Gedanken.  Gestern ist keine Post angekommen ausser einem Päckchen von Deinem Vater, das er ja mir selbst schon angekündigt hatte. Lotte hat einige Zeilen dazugeschrieben. Ich werde mich besonders noch dafür bedanken. DAs Gebäck ist ja nicht selbstgebacken und ist auch nicht so gut, aber ich habe immerhin den guten Willen gesehen. Ich habe ja genügend zu essen gehabt, das hast Du wohl bereits aus meinen vorhergehenden Briefen ersehen. _ Daß sich die Lage im Westen einigermaßen für uns entspannt hat, ist für mich einigermaßen eine Beruhigung. Wenn wir wahrscheinlich auch keine allzu großen Vormärsche machen werden, so werden wir hoffentlich doch noch soviel Möglichkeiten haben, um uns den Feind vom Leib zu halten und von den Grenzen wegzudrängen. Wenn damit eine Entlastung für die Grenzbevölkerung eintritt, so ist das wirklich eine Notwendigkeit. _ Was es sonst noch zu beantworten gibt, das regle ich in den nächsten Briefen. Eins will ich aber gleich noch erwähnen, daß ich mich über die gemalten Köpfe von Helga gefreut habe, Das sind ja die reinsten edelsten Griechenköpfe, die sie da praktiziert hat. Sie soll nur ihre Sachen so weitermachen. Ich kann es jedenfalls nicht so. Mich freut es, wenn sie sich dafür interessiert und wenn sie dafür Geschick hat. Ich danke ihr für ihre Malerei und sie soll sich nur weiter anstrengen und vervollkommnen.  Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Auch diesmal gelten Dir und den Kindern viele Küsse, denn Ihr seid ja meine Lieben, für die ich mich immer einsetzen kann. Bleibt gesund und denkt an Euer Vaterle und an 

Deinen Ernst.


Brief 604 vom 26.12.1944


 Mein liebster Schatz !                                                           26.12.44 am zweiten Weihnachtstag  

 Drei liebe Briefe waren es, die ich gestern von Dir erhielt. Ich habe mir besonders vorgenommen. Unter dem Baum standen noch die Bilder der Familie wie jetzt auch. Die zwei gesandten Kerzen brennen jetzt wieder und nun möchte ich, mit diesem Brief an Dich, die Feiertage ausklingen lassen. Über vieles habe ich mich freuen können, manche Nachricht war mir eine Beruhigung. Doch einiges hat mir Gedanken gemacht. Aber ich werde eins nach dem anderen, der Dringlichkeit nach beantworten. Kurz will ich aber noch auf unsere Weihnachtszuteilungen eingehen, die wir hier erhalten haben. Von der Stolle, dem Gebäck und der Wurst hatte ich wohl schon geschrieben. Etwas Schokolade hatte es auch schon gegeben. Doch zum Heiligabend bekam jeder von uns ein Stück Streuselkuchen im Ausmaß von 25 X 30 cm, vier Mann eine Torte, einige Mann gar eine Flasche Cognac. Außerdem gab es reichlich Rauchwaren. Dies alles ausser der üblichen Verpflegung. Ich habe fast mit dem zu schaffen gehabt. Einige Kameraden hatten das alles in der Nacht gegessen. Am gestrigen Morgen bekamen vier Mann ein Kochgeschirr voll Pudding. Das hat alles mächtig hingehauen. Ich habe wirklich eine Feiertagsstimmung im Magen gehabt. Dies liegt nun hinter uns. Bis jetzt sind wir von vermuteten Ereignissen verschont geblieben. Wir hoffen auch, daß keine Änderung eintreten wird. Der Werktag geht nun wieder los. Bei uns unterscheidet dies sich wohl im großen und ganzen dadurch, daß wir etwas anderes zu essen bekommen. Der Dienst geht in der gewohnten Form weiter. _ Aus Deinen lieben Zeilen muß ich leider feststellen, daß Du vor einiger Zeit viel Ärger und Sorgen gehabt hast. Ich konnte Dir wohl schon meine Ansicht über die Frage kurz erwähnen.  Nun, nachdem diese SAche mehr Staub aufgewirbelt hat, wird es wohl nötig sein, daß ich mich mit den Stellen von hier aus in Benehmen setze, die dafür verantwortlich zeichnen. Bei voller Würdigung der Sachlage und unter Berücksichtigung der schwierigen Verhältnisse komme ich zu folgender Auffassung. Die Wohnfläche für eine dreiköpfige FAmilie, denn ich bin ja jetzt nicht daheim, ist auf keinen Fall zu groß, wenn man unsere Kleinstwohnung betrachtet. Wenn man auch einmal damit rechnen muß, daß ich in Urlaub komme, so kann ich als Frontkämpfer, der nun schon seit Monaten seinen Kopf in vorderster Linie für die große Sache hinhalte, verlangen, daß mein Platz und der mir zustehende Wohnraum nicht noch von fremden Leuten weggenommen wird. Ich sehe nicht ein, daß ausgerechnet ich als Frontsoldat zugun sten der Leute auf meinen Wohnraum verzichten soll, die jahraus jahrein sich daheim herum drücken und nun eine schutzlose Frau, statt daß sie ihr die gebührende Hilfe zukommen lassen, anbrüllen und ihr noch Grobheiten machen. Ich werde jedenfalls Mittel und Wege finden, die einer solchen Ungerechtigkeit steuern. Ganz abgesehen von meinem Recht auf meine Wohnung, muß man noch berücksichtigen, daß die Anordnung der Wohnung einen Dauerzustand niemals zulassen. Wenn Not am Mann ist, dann ist es ohne weiteres vertretbar, wenn man einmal auf einige Tage einen hilflosen Menschen aufnimmt, aber als Dauerzustand kommt eine derartige Regelung auf keinen Fall infrage. Wenn es vorerst keinen anderen Ausweg gibt, daß Du für das erste ein Kind aufnehmen mußt, dann mußt Du auf alle Fälle Deine Nähstunden aufgeben, denn ich kann es nicht dulden, daß fremde Menschen in unserer Wohnung leben und Du bist während dieser Zeit nicht daheim. Ich möchte da von Anfang an gleich klare Linien haben und bitte Dich, daß Du entsprechend meiner Anweisungen handelst. Ich kenne hier nur eins und das ist der Zusammenhalt unsere Familie. Solange nicht die Notwendigkeit geboten ist, daß Du unsere Wohnung verlassen mußt, muß es bei dieser Anordnung bleiben. Käme es einmal anders, dann könnte man nichts machen, wenn andere Leute in unserer Wohnung sich aufhalten, aber im Augenblick muß es bei dieser Meinungsauffassung bleiben. Auf jeden Fall läßt Du Dich nicht ins Boxhorn jagen, denn wir können zumindest verlangen, daß auch wir zumindest standesgemäß untergebracht sind, wie es uns zukommt, denn ich nehme an, daß gerade die Leute mit ihren großen Wohnungen nicht volle Belegung erhalten, derweil man ihnen entsprechend ihrem Wohnbedarf nur Belegungen zuläßt. Wenn Du irgendwelche weiteren Schwierigkeiten hast, dann teile sie mir mit und ich werde mich dann von hier aus entsprechend dahinterklemmen. Laß Dich nur nicht unterkriegen und handle bitte nach meinen Anweisungen. Wenn Du auch einmal Deinem Herzen Luft machen mußt, so tue das nur ohne weiteres, wenn auch einmal etwas mehr darin steht. Man muß sich damit abfinden, daß sowas an die Front geschrieben wird, wenn solche Maßnahmen in der Heimat getroffen werden. Ich hoffe, daß Du nun klar siehst und daß Du nun weißt, wie Du handeln sollst, sofern noch irgendwelche Unklarheiten bestehen. Lasse dich für heute recht herzlich grüßen und vielmals küssen.  In Gedanken bin ich immer bei Dir und den Kindern. Ich bin und bleibe immer 

Dein Ernst.

Brief 603 vom 25.12.1944


Mein liebstes Mädel !                                                                                           25.12.44        

 Ich sitze im Kreis der Kameraden unter dem Weihnachtsbaum. Es ist gerade Mitternacht nach Heiligabend. Unser Troß hat uns wirklich nett beschert. Gestern erhielten wir Frontkämpferpäckchen, Schokolade und Drops und heute erhielt jeder ein großes Stück Streuselkuchen, vier Mann bekamen eine Torte, Zigaretten und Cognac. Es ist wirklich in netter Weise an uns gedacht worden. Ein schöner Tannenbaum, der mit Lametta geschmückt ist, steht auf dem Tisch. Ein jeder hat das Bild seiner nächsten Angehörigen an den Fuß gestellt. Ich habe mir Eure lieben Weihnachtsbrief vorgenommen, der mir viel Freude bereitet hat. Wie viel Liebe spricht aus Euren lieben Zeilen. Du erinnerst auf verschiedene kleine Dinge, die uns früher gemeinsam das Fest sahen und auch unsere Helga schreibt in einer wirklich netten Form. Auf allen Briefen die kleinen Bildchen am Rande haben so recht an das Fest erinnert. Wir haben nun schon verschiedene Besuche von unserem Kompanie und Bataillonsführer, Gruppenführern usw. hinter uns. Jetzt ist nun die Reihe an uns, eine Grabenstreife zu gehen und dabei und dabei bei unseren einzelnen Gruppen vorzusprechen und unsere Wünsche zum Fest auszusprechen. Das Weihnachten an der Front ist eben schon anders wie in der früheren Umgebung. Aber es herrscht laufender Betrieb bei uns, so daß man nicht lange zum Nachdenken kommt.  Unsere Grabenstreife ist beendet. Bei einer unserer Gruppen sind wir längere Zeit mit den Kameraden zusammengesessen. Einer hat Mundharmonika gespielt. Einige Weihnachtslieder und auch Soldatenlieder. Wenn auch nicht die Stimmung aufkommen kann, wie sie einem aus Friedenszeiten bekannt ist, so sind wir doch zufrieden mit dem, was sich hier so ergibt. Die Nacht war anfänglich hell und fast klar. Gegen Mitternacht trat stärkere Bewölkung ein und der Mond hatte sich dann sowieso verzogen. Unsere Wacht am Fluß wurde dadurch erschwert. Leuchtkugeln erhellen hin und wieder das Gelände und einzelne MG-Granaten peitschen über die Eisfelder, sonst ist alles ruhig. Das Eis knackt und reißt höchstens hin und wieder, doch dem gilt ja nicht weiter unsere Aufmerksamkeit. Vom Osten her weht ein scharger Wind, der auch feinen Schnee mitbringt. Es will scheinen, als ob die graue Landschaft nun doch noch ein weihnachtliches Winterkleid anziehen will. Der Posten späht hinaus und achtet auf jedes Geräusch und jeder Bewegung, die sich auf der anderen Seite zeigt gilt seine erhöhte Aufmerksamkeit. Doch der Russe hat sich in seine zweiten Graben zurückgezogen, Von dort aus sendet er hin und wieder einige Gewehr und  MG-Schüsse herüber. Weiße und grüne Leuchtkugeln  erhellen wieder das Gelände. Langsam kühlt durch die dicke Tarnbekleidung  der eisige Wind den Körper aus. Ob das Eis auch immer noch brüchig genug bleiben wird? Das ist ja die Frage des Postens. Doch mit dem Antritt von Schneewetter wird der Frost auch wieder etwas brechen, das hilft dann über einige weitere Tage hinweg. Bald kommt auch die Zeit der Ablösung heran. Der Gedanke an den durchwärmten Bunker ist allein schon verlockend.  Als ich nach Stunden wieder zurückkehre, finde ich Eure lieben Bilder unter unserem Baum. Die beiden roten Kerzen stehen daneben, und die Gedanken wandern wieder zu Euch nach hause. Das Päckchen, das ich mir aufgehoben hatte, wird nun aufgemacht. Die bunten Klebebilder sehen mich lustig an und machen den Inhalt noch verlockender. Ein Griff hinein, und man kann sagen, es lohnt sich. Das Äußere hält bestimmt was es verspricht. Der Heilige Abend liegt nun hinter uns, denn der erste Feiertag ist angebrochen.  Ich habe versucht, ein kleines Stimmungsbild aufzureißen. Ich hoffe, daß ich Euch einen bescheidenen Eindruck gegeben habe. Die Tage werden auch vorübergehen. Wenn es klappt, werden wir am Silvesterabend hier wieder auf einige Tage herauskommen, solange geht es im Wechsel, als man uns hier in Ruhe läßt.  Von Deinem Vater traf noch vorhin ein Rundbrief ein. Ich komme im nächsten Brief noch darauf zurück. Für heute ein frohes Fest, wünsche ich Dir nochmals im Kreise der Kinder. Ich werde auch, wie sonst immer, in den kommenden Tagen in Ge danken bei Euch weilen mit viel Liebe, herzlichen Grüßen und einigen Küssen bin ich immer 

Dein Ernst.

Brief 602 vom 24.12.1944


Meine liebe gute Annie, liebe Helga und mein lieber Jörg!                                         24.12.44

 Am Heiligabend im Bunker am Fluß. Bald fängt es an zu dämmern. Der Abend bricht bald herein. Damit kommt dann auch wieder die Stunde, auf die man als Kind so sehnlich wartete. Denn es ist nur einmal im Jahr Weihnachten. Weihnachten, das Fest der Familie. Wenn wir auch räumlich nicht beieinander sind, so wollen wir uns doch im Geist zueinander setzen. Helga und Jörg werden trotz der Härte der Zeit in froher Erwartung sein.  Mutterle wird die kleinen Geschenke bereitgelegt haben. Vielleicht habt Ihr  ein Bäumchen erstanden, andernfalls wird ein Kranz mit einigen Zweigen die weihnachtliche Stimmung heben. Zum Essen wird es doch einiges Gebackenes geben und für den Feiertag hat Mutterle wohl auch einiges erübrigt. Alles in allem , es ist doch wieder Weihnachten geworden, trotz allen Einschränkungen, die sich nun im alltäglichen Leben jetzt ergeben. In der Stube werdet Ihr Euch versammeln. Helga und Jörg stimmen ein Weihnachtslied an. Einige Kerzen werden die frohe Stimmung im Herzen noch etwas erhellen. Daß Ihr dabei auch an mich denkt, das ist so sicher wie ich im Moment mit Euch beieinander bin. Aber ich stehe hier auch nicht allein, denn ich habe noch Euren Weihnachtsbrief und ein liebes Päckchen von Euch. Mit unserem Küchenfahrzeug kommt dann noch ein Weihnachtsbäumchen und einige Sachen werden sich wohl auch noch einfinden. In dieser Beziehung sind wir hier draußen bestimmt nicht vergessen worden. Im Ofen ballert das Holz und der Bunker ist recht mollig warm. Doch mit dem Antritt der Dämmerung heißt es auf Posten sein, denn gerade der Feind kommt kennt ja unsere Einstellung zum Weihnachtsfest und hofft uns einmal überraschen zu können. Doch soweit lassen wir es nicht kommen. Morgen werden wir auch noch Zeit haben, uns zu besinnen. Aber meine Gedanken weilen in jeder freien Minute bei Euch. Ich habe aber Hoffnung, daß Ihr die Tage in Ruhe verbringen könnt. Vielleicht haben auch wir das Glück.  Bleibt mir nur gesund. Wir hoffen alle auf das kommende Jahr. Vielleicht können wir doch wieder einmal das Fest gemeinsam begehen. Das wäre so schön. Aber vorerst schicken wir uns in das, was uns für jetzt vorbehalten ist.  Recht herzlich grüße ich Euch alle Drei und viele liebe Küsse füge ich hinzu.  Ich bin in Gedanken immer bei Euch und bleibe stets in Liebe Euer Vaterle und 

Dein Ernst.

Brief 601 vom 21./22.12.1944


Mein liebster Schatz !                                                                                 21.12.44      

Die Dämmerung ist hereingebrochen, die ja heute recht zeitig gekommen ist, denn wir haben ja nach dem Kalender den kürzesten Tag. Aber wenn wir auch eine lange Nacht haben, so ist es doch sternenklar, und am Anfang der Nacht scheint uns noch schön der Mond. Es ist schon etwas wert, wenn es nicht ganz so dunkel ist, denn in der Nacht im Graben herumstolpern ist bei völliger Dunkelheit doch keine reine Freude. Wenn die Kälte so anhält und nicht stärker wird, dann geht es ja.  Der Fluß ist wohl gefroren, aber die Tragfähigkeit kann man wohl in Zweifel ziehen.  Wenn wir gerade jetzt vor Weihnachten noch etwas schärfer als bisher aufpassen müssen, so wollen wir hoffen, daß es doch zu keinen größeren Ereignissen kommt.  Eins ist nur gut, daß wir jetzt richtig angezogen sind. Ich schieb ja, daß wir wie richtige Schläger aussehen.

Du mein liebes Mädel!                                                                                   22.12.44
Auch gestern konnte ich diesen Brief nicht zuende bringen. Es ist dies nun binnen kurzer Zeit das zweite Mal. Das geht aber manchmal dumm zu mit der Zeit, daß sie hinten und vorne nicht reicht. Mit dem Schlaf kommt es oft sowieso nicht hin. Das ist aber alles noch verträglich und ich denke, daß Du dafür Verständnis aufbringst, wenn ich an einem Brief einmal zwei Tage schreibe. Ja, mit unserer Bekleidung, da muß man sich wirklich wundern, daß es uns noch möglich ist, die Männer noch derartig einzukleiden. Jeder hat einen zweiteiligen gefütterten Anzugerhalten, ein Paar feste Handschuhe und Kopfschützer. Heute soll es Filzstiefel geben. Es handelt sich bei dem meistens um neue Sachen. Dann erhält jeder einen zweiten Pullover, der aus der Wollesammlung stammt. Meiner muß ein Damenpullover gewesen sein. Der ist schön bunt quergestreift. Doch das macht wohl weiter nichts, denn die Hauptsache ist wohl daß er warm hält. Von den gestrickten neuen Wollunterhosen hatte ich ja auch schon geschrieben. Du siehst also, daß in dieser Hinsicht für uns gesorgt worden ist. Wenn ich schon davon schreibe, daß man sich wundern muß über das, was noch geliefert wird, dann liegt für das Wundern noch eine weitere Veranlassung vor, wenn man die Weihnachtszuteilungen betrachtet. Damit der Mann nicht alles bei sich haben muß, ist uns schon vorgestern ein Teil dieser Sachen ausgehändigt worden. Es gab für den Kopf etwa 30 Stück Gebäck /Keksart), den Tag vorher eine Stolle und gestern bekam jeder eine Wurst von Etwa einem Pfund. Bonbons und Likör wurden außerdem noch zugewiesen. Rauchwaren hat es ebenfalls schon gegeben, doch es soll noch etwas kommen. Ist das nicht allerhand? Ich habe im Moment soviel zu essen, daß ich damit bestimmt nicht durchkomme. Aber ich denke, daß ich es mit der Zeit schon noch schaffen werde. Aber nun erst einmal herzlichen Dank für Deinen Brief Nr. 114 vom 6.12. Heute früh erhielt ich ihn beim Postempfang. Deine Schilderung vom Nikolausabend der beiden Mädels hat mir Spaß gemacht. Ich kann mir denken, daß sie selbst alle Beide Freude daran gehabt haben. Ihre große Freude wird wohl mit darin bestanden haben, daß sie nicht erkannt wurden. Du mußt sie aber auch ziemlich gut hergerichtet haben. Daß nun unser Lümmel ein solcher Herumtreiber ist und sich erst kurz vor Mitternacht heimfindet, das ist auch meine Meinung, daß die Jungs nicht nur bis kurz nach Einbruch der Dunkelheit nach hause gehören, sondern daß sich diese Bengels, die sich Führer nennen, von den anderen absondern und meinen, sie müßten für sich extra etwas tun. Ich habe nur immer wieder die Meinung von unserem Jungen, daß er an sich natürlich denken kann, und das er mit Hilfe des Einflusses des Elternhauses in sich bewahrt und das er sich nicht durch solche Mätzchen verderben läßt.  Vielleicht kann er doch einmal mit seiner gesunden charakterlichen Veranlagung anders wirken, als diese von den anderen bisher bekannt geworden ist. Hauptsächlich aus diesem Grundhabe ich auch nichts dagegen einzuwenden, daß er mitmacht. Ich hoffe nur immer wieder, daß er sich  ein gesundes Empfinden bewahrt und daß er es entsprechend anwendet. DAß die Straßenbengels sich von ihm unterscheiden, siehst Du ja auch schon daran, daß diese sich erst stark fühlen, wenn sie in Gemeinschaft sind. Es sind doch im allgemeinen gesehen große Feiglinge. Ich freue mich deshalb auch, daß sich Jörg nicht in diesem Fahrwasser befindet und daß als Kerl auftreten kann. Wenn das nicht der Fall wäre, würde er sicherlich nicht, nachdem er erst dieses Jahr zu den Pimpfen gekommen ist, zu diesem Führerlehrgang genommen worden sein. Er soll sich seine Art bewahre. Ich glaube, daß er dann ohne viel Schwierigkeiten durchkommen wird.  Von der Gehaltsabrechnung habe ich Kenntnis genommen. Was macht das eigentlich monatlich brutto aus, was ich erhalte? Waren das schon immer 280,RM? Mit der Länge der Zeit kommt man so ganz und gar heraus. Mit dem, was Du abheben kannst, kommst Du doch wohl durch, oder wird es sehr knapp bei den verschiedenen Zahlungen?  Du schreibst, daß Du nichts nach Leipzig schicken kannst, weil Du in diesem Jahr nichts hättest. Wie ist das, hast Du nicht einige Rauchwaren abgesandt? Wenn das noch möglich ist dann kannst Du das ja nachholen. Dein Vater wird sich sicherlich darüber freuen. Ich habe ja auch schon wieder einiges, was ich an Dich absenden kann. Du mußt ja noch einen kleinen Vorrat da haben.  Was hört man denn von Fritz? Ist da bis jetzt noch keine Nachricht von seiner Einheit angekommen? Das würde mich aber schwer wundern. Man muß doch die Frau einmal benachrichtigen. Man kann sie doch nicht im Unklaren lassen. Das wäre doch recht seltsam. Was sagt denn Resi zu allem?  Augenblicklich herrscht bei uns schönes winterliches Wetter. Es ist nur schade, daß man so gut wie nichts davon hat. Am Tage, wenn die Sonne scheint, schläft man, sofern einem Zeit und Gelegenheit dazu gegeben ist. Will man hier laufen, dann kann man sich doch die meiste Zeit nur im Graben bewegen. Nachts ist es ja empfindlich kalt, so daß unser Fluß schon eine ziemlich geschlossene Eisdecke bekommen hat. Es ist aber noch nicht so, daß man schon darauf laufen kann. Hoffentlich bleibt dieser Zustand noch eine Weile so, aber auf die Witterung haben wir ja keinen Einfluß.  Nun lasse mich wieder mit recht herzlichen Grüßen und vielen lieben Küssen schließen. Ihr seid meine lieben Drei mit Seelen (?), denen mein ganzes Streben und meine ganze Liebe gilt. Bleibt gesund und behaltet mich lieb, denn ich bin und bleibe ja immer Euer Vaterle und 

Dein Ernst