Montag, 29. Januar 2018

Brief 375 vom 27./28.1.1943


Meine liebste Annie !                                                                     27.1.43    
        
Gestern mußte ich Dir leider mitteilen, daß ich Deine beiden Briefe vom 20. und 21. in allen ihren Teilen beantworten kann und heute erhielt ich  wohl zu meiner Freude, andererseits wieder zu meinem Leidwesen, weil ich ihn nicht gleich beantworten kann  einen weiteren Brief vom 16., der mich wieder sehr erfreut hat.  Ich komme erst wieder sehr spät zum Schreiben, denn wir hatten heute wiederholt Fliegeralarm. Wir mußten uns in den Keller begeben. Dieser Alarm hast sich ziemlich lang ausgedehnt, aber was nutzt es. Man kann ja nicht wegspringen. Ich komme nun erst kurz vor 11 Uhr zum Schreiben, zudem ist es kalt in meiner Bude, denn draußen haben wir etwa 30 Grad Kälte, was sich im Zimmer auch fühlbar bemerkbar macht. Aber was sich die kleinen Unannehmlichkeiten gegen das, was die anderen braven Kameraden draußen an Entbehrungen und an Not leiden müssen. Ich denke mit tiefer Kümmernis an die tapferen Helden, die nun ihr Letztes hergeben müssen, weil ihnen nur noch dieser Weg bleibt .  Anmerkung: gemeint ist der Endkampf in Stalingrad   Das ist eine heroische Leistung, die ihresgleichen sucht. Trotz allem ist der Winter noch nicht vorüber. Sobald aber die Sonne über Tag scheint, merkt man doch schon, daß wir ein Stück von der Sonnwende weg sind., denn trotz der Kälte, die draußen herrscht, merkt man schon die wärmenden Strahlen.   Von Deinem Schürzenkauf habe ich Kenntnis genommen und ich weiß nun, daß Du einen Teil des Weihnachtsgeldes dazu verwendet hast. So hast Du doch etwas Nützliches gekauft, was Du wieder wirst gut gebrauchen können.  Der Mann, dem ich mein Päckchen mitgab, hat nicht alle beieinander, denn dem fehlen ein paar. Ich war aber froh, als ich von Dir las, daß Du dieses Päckchen erhalten hast. Ich hatte an sich Bedenken, aber man muß es probieren, denn eine solche Gelegenheit bietet sich nicht immer, daß man einen solchen Schwung wegbringt. Es ist ja nun trotz der Schwernisse, die Dir durch die Lauferei gemacht wurden, ordentlich angekommen. Bei diesen Glassachen ist das immer ein Risiko. Er hat ja ganz schön angegeben, wie ich aus Deinem Brief sehe. Daß die Flasche mit dem Hautöl auch noch ganz gut war, hat mich gewundert, denn es war eine ziemliche Spannung in der Kiste.  Heute habe ich also wieder ein Päckchen und zwar Nummer 13, abgesandt. Morgen geht wieder eines ab und übermorgen folgt nr.  15. Sie enthält Öl, Cognac und Kirschwasser. Wenn alles gut ankommt, dann kannst Du Dir ja den Kirschlikör aufmachen und nach und nach zu Gemüte führen, denn er ist süß und das wäre sicher etwas nach Deinem Geschmack. Ich habe die Sachen verpackt und an Dich abgesandt, weil ich mich damit bei einem Umzug nicht herumschleppen will. Die Frage des Umzugs ist noch nicht geklärt. Ich nehme aber an, daß es sich nur noch um einige Tage handeln kann. Über den Erfolg unseres Jungen habe ich mich sehr gefreut. Das hast Du ja wohl auch aus meinem Handschreiben an ihn gelesen, denn ich wollte ihn doch nicht länger auf die von ihm verdiente Prämie warten lassen. Über so etwas kann man sich sehr freuen.  Ich kann mir auch Deine Freude vorstellen, als er so unaufgefordert und von sich aus es versucht hat und als es dann klappte.  Für unsere beiden ist das doch ein ganz schöner Erfolg der Arbeit im Winter. Die Freude unseres Jungen und seinen Stolz dazu kann ich mir gut ausmalen. Wenn er nun ungehindert herumschwimmen kann und sich nicht mehr in dem kleinen Rahmen halten muß wie bisher, wird er selbst seinen Spaß dran haben. Er soll sic h dies, wie ich ihm schon gestern mitteilte, zur Lehre halten lassen, daß man viel mehr durch eigenen Willen erreichen kann als durch die Unterstützung der anderen.  Ich möchte jetzt schließen, denn ich habe heute wieder ziemlich viel Schlaf nötig. Sei Du, mein liebster Schatz, vielmals gegrüßt und herzlich geküsst von Deinem Ernst. Wegen der Zwischensteckers werde ich an Thomas schreiben, sobald ich von ihm wieder Antwort erhalte. Bis dahin wirst Du Dich noch gedulden müssen.

Mein liebstes Mädel !                                                                     28.1.43      
        
Erst muß ich mich wieder über den Posteingang auslassen, ehe ich auf Deine Zeilen von den vorhergehenden Tagen eingehe. Also heute war allgemein wenig Post, so daß nach dem reichlichen Bedenken der vergangenen Tage für mich nicht mit dabei sein konnte. Ich kann ja auch nichts sagen, denn das einem jeden Tag mehrere Briefe gebracht werden, das kann man nicht gut verlangen. Ich bin ja bis jetzt auch immer noch zufrieden wenn es so geht wie bisher.  Wie ich sehe, hast Du, nachdem Du anscheinend nichts mehr umzuräumen hattest, angefangen zu basteln. Du bist ja immer auf der Suche nach Platz für Deine Sachen. Durch die Abänderung in Deinem Küchenschrank hast Du ja nochmals welchen geschaffen. Ich freue mich, daß Du Dir in diesen Fällen immer selbst helfen kannst und mehr oder weniger auf fremde Kräfte nicht angewiesen bist. Ich sehe, daß es Dir nicht nur Arbeit sondern auch Freude gemacht hat, daß Dir diese Änderung so gelungen ist. Ich sehe es schon kommen, ich brauche mich solcher Änderungen daheim später nicht mehr annehmen, denn das kannst Du entschieden besser wie ich. Ich strecke meine Waffen. Dir aber meinen herzlichen Glückwunsch für das Gelingen.  Ich hatte nochmals auf Deine Anregung hin ein paar Puppen bestellt, aber die sind bis jetzt noch nicht geliefert worden. Wenn und ob sie überhaupt kommen, das kann ich noch nicht sagen. Sie haben nochmals 20% aufgeschlagen. Aber Geld spielt hier bei uns keine große Rolle, denn man bekommt ja nichts dafür, so daß man nichts weiter ausgibt als das, was man gerade in der Kantine zu kaufen bekommt. Das ist an sich auch nicht viel, aber man gibt sich damit zufrieden.  Wenn Du einmal unter einem Brief die Unterschrift vergessen hast, so ist das noch lange kein Verbrechen, das ist mir auch schon ab und zu so gegangen. Das kann in der Hitze des Gefechts passieren. Ich kann das darum auch sehr gut entschuldigen, weil ich weiß, wie schnell das vorkommen kann, vor allem, wenn man zu tun hat. Die paar Punkte sind schnell verbraucht, vor allem wenn man längere Zeit keine neuen Sachen beschafft hat. An Deiner kurzen Zusammenstellung kann man erst ermessen, wie schnell die alle werden, wenn man großen Bedarf hat. Darum bin ich, wie schon öfter erwähnt, sehr froh, daß ich noch die verschiedenen Käufe getätigt hatte, denn das hat sich schon fühlbar bemerkbar gemacht. Du weißt nicht, was man für ein Bedürfnis hat, für Euch etwas zu beschaffen, weil man sich im klaren darüber ist, wie alles jetzt streng gehandhabt wird. Daß Schiebungen daheim gemacht werden und nicht zu knapp, das geht schon aus den täglichen Zeitungsnotizen hervor. Aber uns fehlen die notwendigen Verbindungen dazu und dann sind wir auch nicht die Menschen, die das so ohne weiteres fertig brächten.  Die Laubsänge existiert also noch, das beruhigt mich und anscheinend auch Dich. Jörg weiß ja wohl noch nicht, welches Glück ihm bevorsteht. Du hast mir ja versichert, daß Ihr beide Euch einig werdet, das gibt mir eine gewisse Beruhigung.  Die Übersendung des Geldes an Deinen Vater zum Kauf von etwas Tannenschmuck für die Gräber stimme ich vollkommen zu. Wir brauchen uns nichts von ihm schenken lassen und er wird es auch nicht ablehnen, wenn er das Geld in Besitz hat.  Wie ich aus der Zeitung ersehen mußte, sind die Engländer wieder über die Schweiz nach Süddeutschland eingeflogen. Ich hoffe, daß auch nichts passiert ist.  Mit der Verwendung der Bonbons und der Schokolade bin ich ganz und gar einverstanden. Ich freue mich, daß Dir diese Sachen zugesagt haben. Die Kinder sind ja gegen Süßigkeiten auch nicht abgeneigt, da es sich bei der Schokolade um Milchschokolade handelt, werden sie doppelt zufrieden gewesen sein. Mit Umschlägen und Briefpapier bist Du wohl für eine Weile eingedeckt. Eine Sendung mit etwas Papier schicke ich in diesen Tagen nochmals weg, dann hört es einmal für eine Weile auf. Daß ich den Taschenkalender von Deinem Vater nicht bekommen habe, teilte ich Dir schon kürzlich mit. Ich bin ja soweit damit versorgt, soll der, der ihn gefunden hat damit selig werden. Schuld daran hat aber Dein Vater insoweit, als er ihn für die lange Reise mangelhaft verpackte. Das ist aber kein Grund, sich deshalb graue Haare wachsen zu lassen.  Herzliche Grüße und recht viele Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.

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