Dienstag, 16. Januar 2018

Brief 365 vom 6./8.1.1943


Meine liebe Annie !                                                                            6.1.43   
       
Auf Deinen Brief vom 24. warte ich so sehr, um von der Bescherung selbst zu erfahren. Dieser Brief läßt sich aber Zeit. Er hat den Briefen vom 25. und 28.12 den Vortritt gelassen, über die ich mich selbstverständlich genau so gefreut habe, wie über den, den ich noch erwarte und die vielen anderen, die noch folgen werden.  Über die Schilderung des Tagesablaufs am 1. Weihnachtstag hat mich sehr interessiert. Ich habe gelesen, die Kinder haben sich nach Deiner Schilderung sicher ganz wohl gefühlt, denn sie haben doch richtige Weihnachtsabwechslung gehabt. Einmal spielen, einmal etwas essen, dann wieder lesen. So nach Herzenslust herumbummeln, ohne irgendeiner Pflicht genügen zu müssen. Das war doch nach ihrem Willen. Das gehört zum Verlangen der Kinder. Du erinnerst Dich damit auch an Deine Kindheit. Es ist ja so eigenartig, wie sich verschiedene Bewegungen und Handlungen der Kinder sich in der eigenen Jugend wiederspiegeln. Fritz Bautz hat Dich also doch noch aufgesucht. Der Truppendienst hat ihn nach Deiner Schilderung ziemlich mitgenommen. Das ist schon gut möglich, daß ihn der Umgang mit den anderen Soldaten verschiedene Eigenheiten abgewöhnt hat. Der Kommis formt so manchen um. Ich habe gleich an Kurt denken müssen, als ich die Ankündigung seines Besuches las.  Kurt war doch immer sehr wenig kaputt. Er wird wohl auch jetzt nicht restlos bei ihm gewonnen haben. Du hast schon recht, wenn Du mir mitteilst, daß andere, in diesem Fall Resi, sich um uns auch nicht weiter kümmern. Deine Worte haben zwar etwas Bitternis. Ich weiß nun nicht, ob Du darum böse bist, daß wir seinerzeit zu Resi gegangen sind. Weißt Du, wir haben doch trotz allem unsere schönen Stunden miteinander verlebt. Wir sind doch immer miteinander weggegangen und haben alles zusammen geteilt. Ich bitte Dich, lasse Dir meine Handlungsweise nicht zu nahe gehen.  Ich werde mich ein andermal befleißigen, mich zu bessern.  Kurt hat das wieder richtig ähnlich gesehen, wie er die Sache mit der Wäsche angebracht hat. Das wäre doch für ihn eine Kleinigkeit gewesen, diese Sachen rechtzeitig zu bringen. Es wäre nicht nötig, daß Du Dich ausgerechnet am 1. Feiertag hinstelltest. Für das gesandte Bild von ihm danke ich Dir. Ihm selbst werde ich auch noch meinen Dank dafür mitteilen. Die Art ist aber richtig französische Aufmachung. Es sieht ihm wohl ähnlich, aber es ist meines Erachtens stark retuschiert.  Ich habe es sehr bedauert, daß mein Weihnachtsbrief Dich nicht rechtzeitig erreicht hat. Ich hatte bestimmt damit gerechnet, aber erzwingen kann man es leider nicht. Hoffentlich bist Du bald entschädigt worden. Die Briefe von Helga sind wieder sehr lieb geschrieben. Ich habe ihnen in der Zwischenzeit geschrieben. Sie sind nun hoffentlich mit ihrem Vater wieder zufrieden, wenn sie in ihrem Schreiben auch ausdrücklich betont haben, daß ich mich erst schlafen legen sollte, wenn ich müde sei. Das hatte ich nun nicht erwartet, daß die kleinen Puppen soviel Umstände in die Puppenfamilie gebracht haben. Ich hätte ihnen noch etwas deutsch beibringen sollen. Das stimmt schon, daß die noch allerhand zu lernen haben. Wie komisch sind wir Erwachsenen doch immer. Wir meinen, es müsse alles prunkhaft sein, wenn es einem Kinde zusagen soll. Die kleinen Puppen haben zwar schon eine längere Reise gemacht wie sie. Hatte ich ihr nicht schon einmal welche aus Frankreich gesandt? Es ist mir so in Erinnerung. Ich habe mir gerade einen Buben mit einer Fellmütze herausgesucht, weil dies doch noch am echtesten wirkt.
Was Du von dem Verhalten meines Vaters vor der Abreise Kurts schilderst, das ist so ganz und gar seine Art. Das kenne ich von ihm. Er hätte Dir doch einfach sagen können, er hätte mit ihm noch etwas zu besprechen. Aber ich kann andererseits nicht verstehen, was die beiden für Heimlichkeiten haben. Gräme Dich aber bitte deshalb nicht darum, denn das ist doch nicht der Wert und Du weißt ja, man sagt, daß Ärger alt machen würde. Ich erhielt heute noch zwei Briefe auf meine letzte Anfrage von dem Pfarramt Großmühlingen und Nimburg. Bei dem einen erhielt ich eine Taufurkunde und zwar von Johann Rosche, der am 8.8.1733 in Groß Mühlingen geboren ist. Ein Hinweis, woher die Eltern stammen können, ist auch dabei. Ich werde mich gleich dorthin wenden.  Gespannt bin ich, wie weit wir kommen. Die Trauungsurkunde seiner Eltern war auch mit dabei. Sie stammt auf dem Jahre 1731. Der Vater hieß Johann Caspar. Die Trauung erfolgte am 17.7.1731, ebenfalls in Groß Mühlingen. Das ist doch ein ganz netter Erfolg.  Jetzt sind wir schon über 200 Jahre zurück. Wegen der anderen Sache schreibe ich Dir morgen. Das nimmt mir sonst zuviel Platz weg.  Lasse Dich recht schön grüßen und vielmals küssen von Deinem Ernst.

Mein liebster Schatz !                                                                          8.1.43 
        
Ich bin gestern nicht dazugekommen, unsere allabendliche Aussprache fortzusetzen. Warum, das will ich Dir gleich erklären. Am Nachmittag hatte ich freigemacht und bin mit unserem Unteroffizier ins Theater gegangen, um mich etwas abzulenken. Ich hatte schon früh einen etwas benommenen Kopf und als ich nach der Vorstellung nach hause kam, da hatte ich ziemlich Kopfweh. Wieso das kommt, das weiß ich nicht. Es kann ja eine Alterserscheinung sein. Meinst Du nicht? Es hat aber alles nichts geholfen, ich habe gestern bis nach 24 Uhr arbeiten müssen, weil verschiedene Sachen hier vorlagen. Heute ist es auch bis ½ 11 Uhr gegangen.  Ich war gestern wirklich nicht in der Lage, Dir Deinen lieben Brief vom 24. , auf den ich so gewartet hatte, und den vom 26., den ich gleichzeitig erhielt, zu beantworten. Ich danke Dir vielmals für Deine Zeilen. Heute bekam ich nun Deinen Brief vom 29. Jedes mal die zusätzlichen Schreiben unserer Großen. Ihr Beide hellt einem das Leben mit Euren Zeilen immer wieder etwas auf.  Ich will Dir aber vorerst noch zu der Anlage schreiben, das ich vor einigen Tagen von dem Kameraden Drechsler die anliegenden Bilder erhielt, in denen Du Deinen Mann wohl kaum wiedererkennen wirst. Ja, da war das beste, nur nicht den Mut verlieren und nicht unterkriegen lassen. Daß das in dem einen Bild vor dem Haus mit meiner Sommeruniform und auch bei meinem Abschiedsabend zum Ausdruck kommt, das siehst Du wohl, aber Du siehst wohl auch, daß ich von meinen Kameraden nicht ungern gesehen war. Es sind richtige Stimmungsbilder, die mir selbst Freude gemacht haben. Ob sie Dir auch gefallen, kann ich noch nicht voraussehen. Die Gardinen vor den Fenstern und die Decke auf dem Tisch können nicht die russischen Verhältnisse versinnbildlichen, denn diese Einrichtungsstücke und Zeichen westlicher Kultur haben wir nur den Liebe und der Opferbereitschaft eines Kameraden zu verdanken, der diese Sachen sich zugelegt und uns zur Verfügung gestellt hatte. Sonst ging es nicht so komfortabel zu. Im Vordergrund der beiden Bilder, die im Zimmer aufgenommen sind, siehst Du noch einen Pfosten unserer selbstgebauten Paradiesbetten. Die Hütte selbst war nur sehr in Schuss, wie Du auf dem Bild sehen kannst.  Es fehlen nur die Fensterscheiben. Unsere ersten Unterkünfte hatten noch grobere Fehler. Das hatte ich Dir aber alles schon früher geschrieben. Mir ist es eine nette Erinnerung. Hebe sie bitte mit auf. Gestern habe ich ein Päckchen für Dich fertiggemacht und abgesandt. Es hat die Nummer 2 und enthält: Hautcreme, Haarwasser und eine Flasche 4711, die ich angebraucht habe. Ich habe Dir erst die andere schicken wollen, aber die ist anscheinend nicht ganz dicht. Der Sendung habe ich noch das von mir gekaufte Buch beigefügt. Lasse Dich gut damit unterhalten.  Aber nun zu Deinen Briefen. Die Weihnachtsfeier muß bei Euch wieder nach der bei uns üblichen Art gefeiert worden sein. Man merkt es auch an den Zeilen der Kinder. Ich danke Dir, daß Du so lieb mit den Kindern gefeiert hast. Ich habe es Dir ja schon letzthin geschrieben, daß sie Dir das nicht vergessen werden. Sie waren am Anfang doch sichtlich überrascht und nach Lösung der Spannung ist ja dann auch die eigentliche Freude zum Durchbruch gekommen. Das sieht unserem Bengel ähnlich. Er mußte erst einmal probieren, ob das der geschenkte Hammer aushalten würde, wenn er mit ihm einen Nagel einschlägt, Helga hat ihre Freude mit der Puppenschaukel gehabt. Es ist ja schön, wenn man sich als Kind gänzlich unbeschwert freuen darf. Aber auch für den Erwachsenen ist es ein glückliches Gefühl, wenn er die Freude der Kinder sieht. Das ist mir nun leider vorenthalten. Ändern kann man es nun einmal nicht.  Was hilft es, man muß sich, wie immer, damit abfinden. Gelder haben sie ja auch tüchtig eingeheimst. Ja bei solchen großen Summen, da steigen die Konten bei der Kasse. Ich finde es nett, daß sich Kurt wenigstens hat sehen lassen. Ich habe für mich lachen müssen, wie Vater von den für mich bestimmten 25,RM, 2,50 RM abzog. Die hätte ich ihm doch überweisen können. Es ist auch so recht. Lege es mit zu den Sonderersparnissen. Ich kann ja doch nichts mit dem Geld anfangen. Bitte nur nichts davon schicken.  Wie ich das Fest verlebt hatte, das habe ich Dir bereits geschrieben. Mit meinem Bild treibst Du ja direkt einen Kult. Daß ich mit meinen Gedanken bei Euch war, hast Du aus meinen vorhergehenden Briefen gelesen. Wie sich unsere beiden Lauser Mühe gegeben haben, das hat mich sehr gefreut. Sie machen doch alles mit Überlegung. Sie sind mit ihren Gedanken dabei. Es hat alles einen Sinn. Man merkt, daß sie es aus sich heraus machen. Daß Dir dadurch das Fest nicht ganz freudlos war, hat mich besonders gefreut.  Ich hätte gern mehr geschrieben, aber es ist schon wieder ziemlich spät. Ich bin auch etwas abgespannt. Lasse Dich vielmals grüßen und viele Küsse geben von Deinem so oft an Dich denkenden Ernst.

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