Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 352 vom 11.12.1942

Mein lieber, guter Schatz, mein liebstes Mädel!                             11.12.1942  

Gestern habe ich noch einige Weihnachtsbriefe geschrieben, die an unsere Verwandten gingen. Ich finde, daß es nun an der Zeit ist, auch an Dich zu denken. Glaube aber nicht, daß ich Dich vergessen habe. Ich war bisher noch nicht in der richtigen Stimmung, Dir diesen Brief zu schreiben und will heute versuchen, , mit Dir am Weihnachtsabend in Gedanken mit Dir beisammen zu sein.  Rein äußerlich kannst Du schon sehen, daß ich von Dir und den Kindern gelernt habe. Mir gelingt das nun nicht in so vollendeter Form, aber Du musst schon zugeben, daß ich mir Mühe gegeben habe.  Die Weihnachtsstimmung soll doch wenigstens etwas zum Ausdruck kommen. Ich finde darum, daß dies bei einem solchen Brief die beste Möglichkeit sei. 
Wenn wir nun schon nicht gemeinsam Weihnachten feiern dürfen, so können wir uns doch bei unseren gemeinsamen Gedanken und Erinnerungen, die mit Weihnachten zusammenhängen, treffen. Ich knüpfte schon in einem meiner letzten Briefe an diese Erlebnisse an und ich hoffe, daß sie bei Dir Anklang gefunden haben. Wenn ich dabei an das Weihnachtsfest denken, dann muss ich immer damit anfangen, als wir noch in Leipzig wohnten und wie Du uns den ersten Adventskranz brachtest. Ich gab damals mehr im Spaß die Anregung, daß wir als Jungegesellen.  Fritz und ich, doch arm daran wären. Wir wären schon froh, wenn wir einen Kranz für die Adventszeit hätten.  Du, eilfertig, wie Du schon immer warst, nahmst diesen Gedanken auf und richtig, ab Abend vor dem ersten Advent, standest Du bei uns vor der Tür und brachtest mit dem Kranz auch gleich die vorweihnachtliche Stimmung mit. Ich kann dieses Erlebnis nicht mehr vergessen und es wird mir immer wieder in Erinnerung kommen, wenn ich an Weihnachten denke.
Das erste gemeinsame Weihnachtsfest verbrachten wir dann im Hause Deiner Eltern. Die Erinnerung daran hat sich mir nicht so stark eingeprägt. Ich weiß dagegen aber noch genau, wie Du mir immer erzählt hattest, wie bei Euch Weihnachten gefeiert wurde.  Du hast Dich immer gern daran erinnert, das freute mich jedes mal, wenn Du davon erzähltest, denn da konntest Du Dich immer sehr dabei ereifern und warst immer ganz begeistert. In den folgenden Jahren haben wir dann noch bei meinem Vater in der Wohnung Weihnachten gefeiert. Es hat bei ihm immer Mühe gekostet, daß er sich dazu bequemte, an dem gemeinsamen Zusammensein teilzunehmen. Er war ja erst immer ganz fertig, denn meist backte er doch in den vorhergehenden Nächten die Stollen. Wir saßen dann mit Kurt zusammen und hörten uns dann die Weihnachtslieder an, die im Rundfunk gespielt wurden. Selbst sangen wir dann auch mit. Der Baum stand dann in der kleinen Stube auf dem Tisch, denn der durfte nicht fehlen. Deine Mutter dachte dann immer in manchmal rührender Weise an Dich, denn Du warst damals noch ihr Mädel, solange Du noch nicht verheiratet warst.
Ich gab mir wohl Mühe, etwas zu tun, aber Du weißt ja, wie schwer es damals war, eine Dauerbeschäftigung zu finden. Später, als wir dann verheiratet waren, dann hatten wir uns einen kleinen Baum zugelegt. Das erste gemeinsam verlebte Weihnachten in unserem Heim war auch insofern schön, als wir nun frei und unbeschwert das tun konnten, was uns behagte. Vater und Kurt erschienen und wir saßen dann bei Stolle und Kaffee zusammen. Ich war das von zuhause aus so gewohnt, daß man nach der Bescherung sich zusammensetzt, um Kaffee zu trinken.  Ich weiß, daß das bei Euch auch so üblich war. Wir haben damit nur an das Althergebrachte angeschlossen.
Als wir das zweite Weihnachten in unserer Wohnung feierten, da hatten wir schon unsere Helga in der Wiege. Ich war damals wieder ohne Arbeit, aber ich hatte von verschiedenen Seiten etwas beschafft, so daß wir nicht ganz ohne etwas dastanden. Wir waren trotz allen Nöten froh, daß wir uns zusammen hatten und daß wir alle Drei zusammen gesund waren. Ich bin heute immer noch froh, wenn ich sehen kann, daß wir ernstliche Krankheiten nicht im Hause gehabt haben. Ich muß aber auch dabei gestehen, daß wir sie hätten nicht gebrauchen können. Wir sind über alle Fährnisse hinweggekommen und sind froh darum gewesen. Als sich dann unser Kreis um einen weiteren Stromer vergrößerte, da bekam unser Mädel schon Verständnis für den Weihnachtsbaum. Sie interessierte sich schon sehr dafür. Mit dieser Zeit fingen sich langsam unsere Verhältnisse zu festigen.  Sie waren keinesfalls als glänzend zu bezeichnen. Aber immerhin nicht auf fremde Hilfe angewiesen und wir freuten uns, daß wir soweit über dem Berg waren.
Deine liebe Mutter gedachte nun in liebevoller Weise der Kinder. Diese merkten, um was es ging, und ich weiß, mit welcher Spannung haben sie immer gewartet. Ich musste meine Vaterpflicht erfüllen und die Kerzen am Baum anzünden. Wir bauten vorher gemeinsam das auf, was wir für die Kinder beschafft hatten. Mit welchem Jubel besahen sie sich ihre Geschenke. Erst fragten sie, ob sie es sich nehmen dürfen.
Die essbaren Sachen, die wurden dann probiert Ja die Gedanken springen hin und her. Wie oft hat  sie in der Zeit vor Weihnachten in den Jahren, als ich noch daheim war, der Nikolaus erfreut. Ich kann mich noch gut entsinnen, als einmal unser Oberstromer vorführte „hackespitze, hackespitze, eins, zwei, drei.“ Ich glaube, Du hast es auch nicht vergessen. Selbst halb erfreut und halb beschämt, sprang er dann erst hinter Dich und dann auf das Sofa, um wieder in Sicherheit zu sein. Es tauchen immer neue Bilder auf.
An dem einen Weihnachtfest, da konnte ich das erste Mal über das bei uns sonst übliche hinausgehen. Ich konnte Dir unter anderem einen Shawl aus Seide kaufen und sogar eine Brosche aus Silber. Ich sehe Dich wie heute noch, wie Du alles ganz ungläubig diese Sachen angesehen hast. Du konntest Dir erst nicht erklären, wieso ich auf diese Idee gekommen war. Ich sagte mir aber damals, man muß sich auch einmal etwas anderes schenken, als nur immer „was man braucht“. Beides hast Du immer gern getragen und ich weiß, Du hast Deine Freude daran gehabt. Ich habe damals gesehen, daß man nicht immer allein an die Bekleidung und an das Essen denken soll, sondern auch einmal etwas anderes kaufen muß, um sich aus dem Alltäglichen herauszuheben. Ich freue mich heute noch, wenn ich daran denke. Es sah zwar aus, als gingen wir über unsere Verhältnisse hinaus, aber als zweckmäßig hat es sich doch erwiesen. Es waren alles glückliche und schöne Stunden, die wir in Friedenszeiten miteinander verlebten. 
Es kam dann das erste Kriegsweihnachten und dann darauf das erste Weihnachten, das ich als Soldat zwar, aber mit Euch zusammen feiern konnte. Ich hatte Urlaub erhalten, obwohl ich erst nicht damit gerechnet hatte. Es klappte doch noch, mit viel Drängelei und Gestoße kam ich dann doch zur Zeit daheim an. Verschiedene Kleinigkeiten hatte ich noch beschaffen können. Es war uns allen aber die größte Freude, daß wir zusammen sein konnten. Es war wohl schön, daß man allerlei Sachen unter den Weihnachtsbaum legen konnte, aber man hatte doch als größten Wunsch noch offen gelassen, daß man im kommenden Jahr das Fest gemeinsam und in Ruhe begehen kann.
Doch da wurde in zweierlei Hinsicht nichts draus.  Erstens ging der Krieg in unveränderter Stärke weiter und dann bekam ich keinen Urlaub. Der war mir wohl für kurz nach Weihnachten zugesichert, aber durch verschiedene missliche Umstände wurde daraus nichts. Wir haben uns trotz allem inneren Aufbäumens damit abfinden müssen, weil wir eben doch nicht dagegen kämpfen konnten. Wenn ich die Dinge heute betrachte, so kann ich aber auch von diesem Weihnachten sagen, es war in Bezug auf die Verhältnisse besser wie hier.
Man muß zwar berücksichtigen, daß durch die längere Kriegsdauer auch dort das Leben nicht besser geworden ist, wenn ich mir aber die räumliche Entfernung bei unserer Trennung vorstelle, dann muß ich diese Feststellung doch aufrecht erhalten.  Wenn ich nun auf alle die Jahre zurückblicke, dann kann ich doch mit einer gewissen Zufriedenheit und Freude sagen, wir waren in der ganzen Zeit mit dem froh, was wir uns gegenseitig bieten konnten. Wenn ich alles in seiner Gesamtheit betrachte, dann kann ich trotz manchen Fährnissen , die wir auch zu durchstehen hatten, sagen, das Schicksal war uns bisher noch gnädig.

Ich bin wohl nun über 2 ½ Jahre von zuhause weg. Ich kann aber immer noch von mir sagen, daß ich keine körperlichen Schäden erlitten habe. Ihr seid mir auch noch bis jetzt gesund geblieb en. Wir wollen hoffen, daß uns dieses Glück in Zukunft auch weiter hold bleibt. Wenn wir gesund aus diesen ernsten Zeiten nach hause kommen, dann wollen wir trotz aller Einschränkung zufrieden sein. So verbraucht sind wir ja noch nicht, daß wir es nicht schaffen würden, mit unverminderter Kraft weiter zu bauen an dem, was uns als gemeinsames Ziel vor Augen schwebt. Das ist schließlich auch das, was uns die Kraft gibt, auszuhalten und weiter sich einzusetzen für den weiteren Erfolg. Daß wir uns in der gleichen Weise mit Liebe entgegenkommen, sehe ich wohl als eine Selbstverständlichkeit an, aber ich möchte es Dir gern noch einmal sagen. Ich habe dies auch in meinem letzten Urlaub gesehen, daß Du immer noch mein liebes Mädel bist, die ich auch fernerhin für liebenswert halte. Dies kam ja auch dadurch zum Ausdruck, daß wir uns ohne lange Vorbereitung verstanden und daß alles so war, wie wenn nicht lange Trennung dazwischen gewesen wäre. Wenn auch  noch schlimmere Tage kommen sollten, wir wissen doch, daß wir zusammen gehören und wir wissen, daß wir für die Erhaltung unserer Familie da sind. Ich bin immer stolz auf Dich und die Kinder und ich danke Dir bei dieser Gelegenheit wieder dafür, daß Du Dich der Kinder so annimmst und aus ihnen das machst, zu dem sie fähig sind. Wir wollen uns aber wie in all den früheren Jahren mit gleicher Liebe entgegenkommen wie bisher.  Daß ich an den Weihnachtsfeiertagen mit meinen Gedanken bei Euch bin, das weiß Du genau. Ich kann mir vorstellen, wo der Weihnachtsbaum stehen wird. Du wirst mit den Kindern in der Stube zusammen sein. Wie es hier sein wird, kann ich Dir  noch nicht sagen. Du bist mit den Kindern bestimmt in Gedanken bei mir, doch die Vorstellung, wie es hier ist, fehlt ja für Euch vollkommen.  Laßt auch dadurch aber nicht beeindrucken, ich werde Dir schon schreiben, wie es gewesen ist und wie alles ausgefallen ist. Man kann uns nicht das Daheim ersetzen und wenn man sich noch so anstrengt. Die Beruhigung kannst Du ja haben, daß die von Dir abgesandten Päckchen an die richtige Adresse geschickt worden wind. Ich werde sie am Weihnachtsabend öffnen und in Gedanken werde ich bei Euch weilen. Meine Geschenke sind in diesem Jahre nicht große ausgefallen, denn ich kann hier keine Einkäufe machen, wie ich Dir schon erzählt hatte und wie ich Dir wiederholt schon schrieb. Dafür habe ich Dir eine Geldsendung zugehen lassen, die Du entsprechend meiner Weisung verwendest.  Lasse Du Dir selbst unsere Trennung nicht allzu hart ankommen und tröste Dich damit, daß für uns auch der Tag einmal wiederkommt, an dem wir zusammen sein werden. Ich weiß nicht, habe ich es Dir einmal geschrieben. In einem Lied heißt es so schön, es ist ein erzgebirgisches, „Guck nur zu den Sternen am Himmelszelt, sie schauen auf dir hernieder, verzag‘ nicht, wenn Dir‘s auch einmal finster geht, die Sonn‘ kommt auch noch mal wieder.“ Wir wollen darum den Kopf nicht hängen lassen, es wird sich schon wieder etwas geben, wenn es an der Zeit ist.  Darum, meine liebe Annie, denke in Freude an mich und bereite uns allen ein schönes Weihnachtsfest.  Ich nehme an, daß Ihr vielleicht auch einmal ins Theater gehen werdet, wenn etwas ordentliches gegeben wird. Seid aber fröhlich, das ist mein inniger Wunsch. Bleibt mir aber alle gesund, dann kann man dieser Hinsicht ohne Sorge sein.  Ich wünsche Dir und den Kindern recht angenehme und schöne Tage. Gleichzeitig sende ich recht viele Grüße, denen ich viele viele Küsse beifüge. Seid versichert, daß ich immer bei Euch bin, wenn auch in Gedanken.  Ich bin immer Dein Ernst.

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