Mein
liebster Schatz ! 9.1.43
Nun
sitzen wir wieder beisammen und können uns etwas unterhalten. Jetzt habe ich Feierabend. Ich soll nachher
zu einem kleinen Essen kommen, zu dem ich von unserem Unteroffizier eingeladen
worden bin. Es gibt eine Gans, die wir zu vier Mann verdrücken wollen. Eine
solche Einladung darf man nicht abschlagen. Vorher will ich aber erst noch
anfangen mit Schreiben, den Rest schreibe ich dann hinterher. Weil ich gerade
beim Essen bin, so will ich Dir gleich erzählen, wie es hier jetzt zugeht. Ich
schrieb Dir doch schon einmal, daß es nicht so besonders ist. Am 2.
Weihnachtsfeiertag hatten wir beispielsweise Eintopf. Die Zubereitung ließ dazu
noch zu wünschen übrig. Am Neujahrstag war es genau so. Ich habe mich dann beschwert, gleichzeitig
im Namen der anderen Kameraden. Ich habe meinem Chef gesagt und ihm erklärt,
daß das auf die Dauer nicht tragbar ist, bei dieser Ernährung den Dienst voll
zu versehen. Er hat dann an seinem Esstisch die Sache mit dem zuständigen Mann
besprochen. Von dort kam wohl die Erklärung, daß die Leute mit dem Essen
vollauf zufrieden sind. Ich habe dazu gesagt, daß man sich bei jedem unserer
Männer erkundigen kann, ob sie immer satt würden und ob es gut sei. Ich habe
daraufhin nichts weiter gehört. Seit einer Woche bekommen wir nun ausreichend
zu essen, so daß kein Anlass zur Klage vorliegt. Ich bin der Meinung, daß dies
auf meine Beschwerde hin geordert worden ist.
Man dient sich ja nicht selbst, sondern allen denen, die mit dort
verpfleget werden. Es ist nun etwas
spät geworden. Es ist Mitternacht, aber ich will Dir doch wenigstens unseren
Brief noch schreiben, damit Du nicht warten mußt. Wir haben prima Gans
gegessen. Ich habe etwas Wodka gestiftet, damit man das fette Essen auch
verdauen kann. Die Kameraden hatten es sehr nett gemacht, es hat mir auch gut
gefallen. Ich hatte nicht erwartet, daß
meine Puppen eine solche Freude auslösen würden. Dann ist mir die Ausgabe dafür
auch nicht zu groß gewesen. Man meint immer, das ist doch nichts. Wenn man dann
das Geld dafür ausgegeben hat, bedauert man es, weil man sich sagt, man hätte
vielleicht auf andere Art und Weise mehr Freude auslösen können. Das ist aber
nach dem Schreiben von Helga bestimmt nicht der Fall. Sie ist ja ganz begeistert von ihrer Großmütigkeit, mit der sie
die elternlosen russischen Kinder aufgenommen hat. Sie gibt sich ja nun auch
redlich Mühe, ihnen das beizubringen, was ihnen an westlicher Kultur fehlt. In
diesem Zusammenhang muß ich Dir noch berichten, daß sie einheimische
Bevölkerung am 7.1. hier das Neujahrsfest begangen hat. Die gehen hier noch
nach dem alten Kalender. Das ist aber die kirchliche Feier. Bei den
Bolschewisten wurde das Fest wie bei uns auch am 1. Januar begangen. Da konnte
man einmal sehen, daß Verschiedene sich doch sehr gut gekleidet hatten. Vor
allem sah man schöne Pelze bzw. Pelzmäntel. An den Wochentagen sieht man diese
Sachen weniger. Ich denke, daß Dich solche Sachen interessieren. Es ist doch
eigenartig, wie diese verschiedenen Sitten von unseren Gebräuchen
abweichen. Es hat mir sehr leid getan,
daß Du über die Feiertage keine Post bekommen hast. Ich habe mich auf die
Kameraden verlassen, die mir sagten, daß die Post in spätestens 6 Tagen daheim
sei. Ich hätte doch sonst meinen Brief durch Luftpost abgesandt. Sei mir bitte nicht böse darum, ich hatte
aber nicht mit diesem Missgeschick gerechnet. Ich werde mir das aber für die
Zukunft merken. Der Kamerad sagte noch zu mir, ich sollte doch die Marke
sparen, denn diese Post ginge auch nicht länger. Ich bin gespannt, wie die
übrigen Briefe jetzt ankommen. Ich sende jetzt alle durch Kurier, weil ich dazu
die Möglichkeit habe. Wenn Du die Post nicht schneller erhältst, dann benutze
ich den alten Weg, dann brauche ich nicht erst noch gute Worte geben. Morgen werde ich Dir mehr schreiben. Post
ging keine von Dir ein. Ich habe heute im Laufe des Tages noch an die
verschiedenen Pfarrämter geschrieben. Ich bin gespannt, ob ich Antworten bekomme. Sei recht herzlich gegrüßt und viel vielmals
geküsst von Deinem immer an Dich denkenden Ernst.
Meine
liebe, gute Annie ! 10.1.43
Ich
will erst das für mich heute wichtigste Ereignis des Tages vorwegnehmen. Aus
den Anlagen siehst Du, daß ich wieder einen Anlass gefunden habe, ein Gesuch an
die Stadtverwaltung zu starten. In unserer Zeitung erschien heute der
beigefügte Artikel. Wenn die darin angeführten Vergünstigungen tatsächlich so
eingeführt sind, besteht ja fast keine Möglichkeit mehr, meinem Antrag nicht zu
entsprechen. Aber auf die Zeitungsschreiber kann man sich nicht immer
verlassen. Ich habe mir gleichzeitig den in diesem Artikel angeführten Erlass
bei dem Kollegen Herre angefordert. Man sollte ja wissen, was drinsteht. Ich bin nur auf die Stellungnahme der Stadt
gespannt. Die werden doch sicher wieder einen Ausweg suchen und vielleicht auch
finden. Ich habe immer noch einen oder zwei Trümpfe in der Hand. Die werde ich
aber erst dann ausspielen, wenn es notwendig und an der Zeit ist. Ich stehe auf
dem Standpunkt, daß man nicht locker lassen muß. An unsere Helga habe ich heute auch geschrieben, nachdem sie mir
so nette Briefe und vor allem den über die Puppen geschrieben hat. Das war mir
direkt ein Bedürfnis, darauf zu antworten. Ich habe nun verschiedene
Fremdwörter hineingewebt, weil Helga doch eine gewisse Schwäche für solche
Dinge hat und ich denke, daß das gerade so gepasst hat. Die Schreibweise habe
ich an die Sprache gehalten. Die Q müssen wie K gesprochen werden. Aber Ihr
werdet Euch schon hinausfinden. Vielleicht macht es Euch Spaß. Mein Weihnachtsbrief ist aber ziemlich spät
eingetroffen. Das hat mir sehr leid getan. Mit meinen Briefen habe ich nicht
immer eine glückliche Hand gehabt. Du kannst aber versichert sein, daß ich
nicht daran schuld bin, denn ich glaubte, nun den Weg gefunden zu haben, auf
dem Dich die Post schneller erreicht. Anscheinend ist das aber nicht der Fall.
Ich hoffe, daß das wieder besser wird. Du schreibst zwar, daß Dir das nichts
ausgemacht hat, aber es ist einfach nicht in Ordnung. Du weißt, daß ich in
diesen Dingen großen Wert auf Pünktlichkeit lege. Daß keine Änderung in unserem
Verhältnis zueinander eingetreten ist, das hast Du wohl auch während meines
letzten Urlaubs gemerkt. Ich habe es gern gelesen, daß Dir meine Mitteilung in
dieser Richtung Dich glücklich und froh gemacht hast. Ich bin genau so davon
überzeugt, daß Du mir meine Liebe im gleichen Maße erwiderst. Dafür danke ich Dir vielmals. Kurt ist doch ein komischer Kerl. Er möchte niemand wehtun. Wenigstens den
fremden Menschen. Mit meinem Vater ist er ja nicht so zimperlich. Das Mädel muß
er noch zum letzten Abend einladen, wo er in der Firma viel besser Gelegenheit
hätte. Ich glaube, da hat es ihn geniert. Es fehlt ihm manchmal die
Zivilcourage. Mit dem Abschied auf dem Bahnhof muß es ja ganz eigenartig
gewesen sein. Für mich wäre diese Zwitterstellung auf die Dauer nichts. Ich
würde so oder so eine Lösung suchen. Aber Kurt will mit keinem brechen und will
es mit keinem verderben. Diese wenigen Minuten vor dem Abschied haben wir ja
schon oft durchlebt, und ich kenne sie sehr gut. Sie gehen immer schnell
vorbei. Es ist aber für beide Teile besser so. Wenn man dann wieder allein mit
sich ist, dann hat man immer erst zu schaffen, bis man sich mit dieser Trennung
abfindet. Also, ich kenne das nur zu genau. Das eiserne Muß steht aber jedes
mal dahinter und dann muß es gehen, ganz gleich wie. Deinen Brief vom 30.12. habe ich heute erhalten, doch zum
Antworten reicht es heute nicht mehr, denn es ist schon wieder viel über
Mitternacht hinaus. Ich denke, daß es mir morgen reichen wird. Ich hatte am
Nachmittag einen Spaziergang unternommen, weil man einmal aus dem Bau hinaus
muß, wenn man die ganze Woche drin in der Bude sitzt. Ich glaube, daß ich davon auch die Kopfschmerzen habe. Mir hat
dieser Ausgang ganz gut getan. Ich grüße dich und die Kinder vielmals und sende
Euch allen recht herzlich Küsse . Dein Ernst.
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