Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 362 vom 29./30.12.1942


Meine liebe, gute Annie !                                                            29.12.42  
        
Gegenwärtig herrscht ja ein großer Postsegen. Ich erhielt wieder drei Briefe von Dir und einen von den Kindern sowie einen von Deinem Vater. Von dem letzteren muß ich vorwegnehmen, daß meine Mutmaßung, daß er etwas an meinem Brief auszusetzen haben würde, zugetroffen hat. Denn ich habe seine Leute nicht ausdrücklich erwähnt; das war ihm Veranlassung, sich dazu zu räuspern. Mir macht das schon gar nichts mehr aus, denn was interessiert mich das weiter. Ich habe in meinem letzten Schreiben zwar auch ihr einen Gruß mit aufgetragen, hoffentlich ist das nun endlich nach seinem Geschmack. Diese besonderen Hinweise kann er sich ersparen.  Ich bestelle Grüße für diese Frau, wenn ich es für notwendig halte. Dazu braucht es keiner besonderen Hinweise. Aber lassen wir diesen dummen Kram ruhen und wenden wir uns unseren Dingen zu. Ich war ganz erstaunt, als ich schon Briefe vom 18.  und 19.  heute schon von Dir erhielt. Dann kam noch ein Brief vom 13. und der Brief der Kinder vom gleichen Tag. Ich muß schon sagen, daß ich nicht ganz nachkomme, alles zu beantworten. Ich krame gerade das heraus, was mir am passendsten erscheint. Was also das Geld anbelangt, so ist alles für Dich bestimmt und ich bitte Dich darüber zu verfügen, wie Du es für richtig findest. Du brauchst Dir keine Gedanken zu machen, daß ich etwa nicht genügend mehr für mich zur Verfügung hätte. Mir reicht es vollkommen. So ist es nun wieder nicht, daß ich hier verhungern würde, aber es ist nicht mehr so reichlich wie vordem. Ich habe mich schon hineingefunden und ich wehre mich meiner Haut. Verwende das Geld nach Deinem Gutdünken und gib mir über die Verteilung Aufschluss. Die „schönen Sachen“, die Dein Vater alle für mich gedacht hat, kannst Du dort behalten. Die Fausthandschuhe brauche ich jetzt noch nicht. Wenn ich vielleicht einmal zur Truppe kommen sollte, werde ich wahrscheinlich froh darum sein, aber hier kann ich sie nicht gebrauchen, denn ich habe außerdem noch die gestrickten von Dir, die mir lieber sind.
Auch die Patenthosenknöpfe kannst Du getrost dort behalten, denn bis jetzt habe ich mir die Knöpfe immer noch angenäht oder annähen lassen. Ich nehme an, daß Du Durchschlag von dem Brief Deines Vaters erhalten hast. Dann weißt Du über alle Dinge sonst Bescheid. Die Briefmarke kannst Du ja besorgen. Der Ort, an dem Kurt eingesetzt ist, habe ich mir auf der Karte vermerkt. Es ist ja auf der Karte, die ich daheim gelassen habe, mit verzeichnet.  Das ist ja genau südlich von dem Ort, der kürzlich ein paar Mal im Wehrmachtsbericht genannt wurde, der Weliky Lucki heißt. Ich werde nach und nach Deine verschiedene Schreiben beantworten. Ich muß aber mir die Sachen einteilen, denn sonst wird es zuviel.  Andererseits ist es schade, wenn ich heute alles beantworte und morgen habe ich dann keinen Stoff mehr zum Schreiben.  Ich bitte dich recht viele herzliche Grüße und Küsse entgegenzunehmen von Deinem so viel an Dich denkenden Ernst.
Heute war auch der Todestag meiner Mutter, die nun vor 23 Jahren verstorben ist. Ich habe es nicht vergessen und ich kann mich noch so genau dieser Stunde entsinnen und auch meine Ratlosigkeit, die ich damals hatte, als mir bewußt wurde, sie lebt nicht mehr. Wie schnell sind die Jahre verflossen und was ist schon alles an einem herangetreten.

Mein lieber Schatz !                                                                              30.12.42 
           
Der Abend ist wieder herangekommen. Das Tagewerk ist getan. Das Abendbrot habe ich hinter mir. Jetzt ist die Zeit, wo ich mich in Gedanken mit Dir unterhalten kann. Es ist immer allerhand zu tun.  Nicht zuletzt durch die Einwirkung meines „neuen lieben Arbeitskameraden“. Man muß vielfach gute Miene zum bösen Spiel mache, wenn ich auch nicht alles unwidersprochen hinnehme. Dieser Schlawiner ist mir aber vorgesetzt und man kann sich in dieser Beziehung nur in einem gewissen Rahmen halten. Als ich von einer Erledigung einer Angelegenheit außerhalb des Hausers, die mich längere Zeit heute in Anspruch nahm, zurückkam, fand ich wieder Post von Dir vor. Es handelt sich diesmal um einen „Schnellbrief“ vom 21.11., in dem Du mir mitgeteilt hattest, daß das Heft nicht zu bekommen ist und um Dein Schreiben vom 20.12., der es in bedeutend kürzerer Zeit geschafft hat, Dann kam ein ganzer Schwung Zeitungen, die zum Teil auch sehr lang bei der Post liegengeblieben waren. Nachdem mein Nikolausbrief dort noch nicht eingetroffen ist, habe ich immer noch einen Funken Hoffnung, daß es mit ihm genau so gegangen ist wie mit den vorher beschriebenen Sachen Dann kam noch ein Brief von Fritz Bautz an, der sehr nett gehalten war. Er teilt mir darin mit, daß er Dich noch mit aufsuchen wird. Er hat ja auch Schwein gehabt. Er ist an der Mittelmeerküste und ich sitze hier im sonnigen Osten. Wenn ich ihn beantwortet habe, schicke ich ihn Dir mit zu. Auch vom Pfarramt Gramsdorf bekam ich auf mein Schreiben vom Juni und auf meine verschiedenen Mahnungen hin jetzt einen Zwischenbescheid, daß ich mich noch gedulden müßte, da meine umfangreichen Familienforschung viel Arbeit beanspruchen würde. Wenn es nicht in Vergessenheit geraten ist, soll mir das recht sein. Man ist sich nicht klar, machen sie etwas oder nicht.  Ich muß schon ehrlich sagen, daß ich durch die vermehrt eingetroffene Post nicht ganz mitkomme, alles zu beantworten, was ich beantworten möchte. Zuerst aber einmal alle meine Achtung für Deine Scherenschnitte. Ich glaube bald, daß die Kinder ihre künstlerische Ader von Dir haben. Das hast Du ja ganz fein gemacht. Wenn Du noch etwas mehr Übung hättest, würde sie noch natürlicher sein. Man kann daraus ohne große Mühe erkennen, was Du willst. Eine ziemliche Ähnlichkeit, die ich aus meinem Gedächtnis bestätigen kann. Also nochmals, mein Kompliment.  Ich habe mich gefreut, als ich lesen konnte, daß Ihr Euch richtige Adventsstimmung bereitet habt. Das wird auch den Kindern große Freude gemacht haben und ihre Spannung auf Weihnachten selbst sehr verstärkt haben. Die Sachen Deines Vaters sind ja noch rechtzeitig eingetroffen. Das ist ja schön. Ich glaube, daß der Gabentisch trotz allem wieder sehr reichhaltig war. Doch darüber, wie es am Heiligen Abend war, hoffe ich in einigen Tagen Bescheid zu bekommen, wie ich auch hoffe, daß Du inzwischen meinen Brief vom Heiligabend in Händen zu haben. Die Backangelegenheit bei meinem Vater kenne ich ja und ich habe Dir auch schon in einem meiner vorweihnachtlichen Briefe davon geschrieben. Ich habe das alles noch in guter Erinnerung. Ich muß jetzt noch für mich lachen, wenn er sich immer gewundert hat, daß ihm eine verbrannt war, obwohl er die Flamme des Ofens doch  „so klein“ gestellt hatte. Das sind einmal solche Eigenarten, die mit der Person verbunden sind und die sich nicht wegdenken lassen.  Ich glaube, daß Du jetzt alles Briefpapier bekommen hast, welches ich abgesandt hatte. Verwahre es nur, man weiß ja nicht, wie es noch damit werden kann. Vielleicht ist man noch mal froh darum.  Ich für meinen Teil habe ja noch Papier und davon werde ich mir noch einiges zurücklegen, für alle Fälle. In diesen Tagen sende ich einen Teil Deiner Briefe wieder zurück. Ich füge bei dieser Gelegenheit einige Briefumschläge bei, die ich hier beschaffen konnte. Dein Vater legte seinem letzten Schreiben auch einige Umschläge bei. Ich habe sie aber jetzt nicht so nötig. In Deinen beiden Schreiben, die heute eingegangen sind, war von der Lotte die Rede, wie sie an Dich geschrieben hat. Nach diesen Worten zu schließen, versucht sie sich anzuschließen. Ich kann mich mit diesem Gedanken noch nicht so vertraut machen. Ich habe das Gefühl, als könnte man keinen richtigen Kontakt bekommen. Ich kann mich zwar auch täuschen. Gewundert hat es mich, daß sich Dein Vater ausgerechnet in Volkmarsdorf hat in der Kirche trauen lassen. Bei dieser Gelegenheit fällt mir noch ein, daß man sich die Daten beschaffen sollte für unsere Familienkartei. Soll ich das machen, oder übernimmst Du das? Es handelt sich nur um die Vollständigkeit. Von Siegfried und Erna müßten wir wohl noch nachtragen. Ich glaube auch, die Daten von Neustadt, es handelt sich da um die Sterbedaten, die müßten noch nachgeholt werden.  Hatten wir eigentlich das Datum von der Anna Harzer eingetragen Was sonst noch fällig ist, weiß ich nicht so genau. Wir wollen aber die Sachen nicht vernachlässigen, soweit man dazu imstande ist, diese Dinge auf dem laufenden zu halten.  Ich habe ein Päckchen mit Süßigkeiten fertiggemacht und will es morgen mit auf den Weg bringen. Es hat die Nummer 55. Meine besten Wünsche begleiten es. Ich hoffe, daß ich das Päckchen 54 einem Urlauber mitgeben kann. Es enthält eine Flasche Öl und eine Flasche mit Honig. Es kann sein, daß ich noch irgendetwas beifüge wie Hautöl oder ähnliches. Das Sonnenblumenöl kannst Du zum Braten verwenden. Es kann aber sein, daß es sich etwas abgesetzt hat, dann mußt Du es durch einen weißen Lappen seihen. Es ist noch sehr frisch und noch nicht abgelagert. Ich weiß aber, daß Du gute Verwendung dafür haben wirst. Ich habe noch einmal soviel Öl hier und hoffe, in den nächsten Tagen wieder welches zu erhalten. Ich bin ja so froh, daß ich in dieser Beziehung etwas für Euch tun kann.  Heute war ich wieder einmal beim Impfen. Das mußte auch sein. Gegen Typhus bin ich schon seit 1 ½ Jahren nicht mehr geimpft worden. Ich hatte mich bisher immer etwas gedrückt. Gegen Cholera lasse ich mich in der nächsten Woche impfen, dann habe ich es wieder hinter mir,. Es spannt wohl heute Abend etwas, aber sonst geht es.  Ich darf wohl wieder schließen, denn es ist inzwischen reichlich spät geworden. Bleibe gesund, mein liebes Mädel , und nimm Du, wie auch die Kinder, viele Grüße entgegen.  Laßt Euch alle recht herzlich küssen von Deinem Ernst.

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