Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 359 vom 24.12.1942


Mein liebstes Mädel !                                                                    24.12.42      

In wenigen Stunden ist für die Kinder der nun schon so lange ersehnte Zeitpunkt herangekommen. Dann wirst Du mit den Kindern daheim in unserer kleinen Stube zusammensein. Ihr werdet Weihnachten feiern und dabei meiner gedenken, wie ich es ebenfalls tue. Es ist die Stunde, in der sich unsere Gedanken suchen und finden werden. Es sind nicht nur unsere Gedanken allein, sondern auch die derer, die sich mit uns verbunden fühlen. Wenn wir dabei weich werden, so brauchen wir uns der Beklemmung oder gar der Tränen nicht zu schämen, denn diese Stimmung gilt doch unseren Lieben, derer man gedenkt. Ich hoffe, daß Ihr trotz allem auch das Fest so gestalten könnt, daß die Kinder sich der Überraschung und der Freude ungehindert hingeben können. Daß wir Beide uns die Gegenwart einander nicht durch Redensarten ersetzen können, das ist eine Tatsache, die wir leider hinnehmen müssen. Es fällt schwer, wir müssen es das zweite Mal miterleben. Wir wollen mit diesem Gedanken die Hoffnung verbinden, daß wir bald zusammensein würden. Wenn wir dann gesund beieinander sein werden, werden wir gerne das Dunkle der vergangenen Zeit zurückschieben.  Gestern kam ich nicht zum Schreiben, denn am Tag hatte ich allerhand zu tun, denn es hatte sich vieles während meiner Krankheit angehäuft, das noch weggearbeitet werden mußte. Am Abend hatten wir Weihnachtsfeier von der Gruppe hier. Ich hatte da erst ziemlich Ärger, aber schließlich habe ich mich doch durchgesetzt. Man hatte sämtliche Kameraden unserer Abteilung eingeladen. Für jeden war eine Platzkarte vorhanden, nur ausgerechnet für mich nicht.  Das schlug bei mir dem Faß den Boden aus. Erst wollte ich nach hause gehen, dann hat sich der Macher dieses Abends bei mir entschuldigt. Er bat mich dann, doch mit an der Feier teilzunehmen. Ich habe dann auf Drängen nachgegeben. Du weißt ja, was ich für ein Kerl bin, wenn man mich einmal ärgert. Meinen Chef hatte ich stehen gelassen und habe ihm auch noch vorher meine Meinung gesagt. Es war alles andere, nur nicht schön. Das ganze Fest war etwas eigenartig aufgezogen worden. Es gab dann noch Gänsebraten.  Es war ziemlich viel Zeug, aber eine regelrechte Massenabfertigung. Für jeden Kameraden gab es dann je eine Flasche Sekt, Wein und Kölnisch Wasser. Eine Schachtel Pralinen, eine Tafel Schokolade. Dann Zigaretten und einige Zigarren. Eine Tüte mit etwas Gebäck und ein paar Bonbons stand noch dabei. Als Entschädigung für den ausgestandenen Ärger bekam ich von Spieß nochmals die ganze Sammlung extra. Man sieht, daß man erst einmal in Erscheinung treten muß, dann kommt man zu seinem Recht und auf seine Rechnung. Heute Abend feiern wir im Kreise der Abteilung und wollen etwas zusammensitzen. Davon verspreche ich mir zwar nicht viel, denn das wird ziemlich nüchtern zugehen. Ich will darum zusehen, daß ich jetzt noch einen Teil schreibe, denn auch heute abend werde ich schlecht dazukommen.  Gestern war der Geburtstag meiner Mutter. Ich habe daran gedacht und kam gleichzeitig auf Deine bzw. auf die Anfrage von Nannie zurück wegen eines Grabsteins. Ich persönlich bin damit einverstanden. Du kannst ja mit meinem Vater darüber sprechen. An Deinen Vater kann ich einmal deshalb schreiben, wie hoch sich etwa die Kosten belaufen. An Nannie werde ich entsprechend Nachricht geben, wie auch an Kurt, ob er etwas dazu geben will. Ich frage vor allem deshalb bei ihm an, weil man ihn erstens nicht übergehen kann und dann könnte er eines Tages sagen, warum man ihm kein Bescheid gegeben hat. Ich denke, daß ich es so richtig gemacht habe und hoffe auch auf Dein Einverständnis.  Für Deinen lieben Brief vom 13. danke ich Dir recht schön. Ich erhielt ihn Gestern. Wenn ich auch sehr gern einen Brief von Hand geschrieben von Dir bekomme, so muß ich vorausschicken, daß mir wesentlich ist, daß ich überhaupt einen Brief erhalte. Daß Du gern mit der Maschine schreibst, weiß ich und daß es Dir flotter von der Hand geht und Du Dir Deine Gedanken besser auswerten kannst, das alles ist mir vollkommen verständlich. Lasse Dich deshalb nicht vom Briefeschreiben abhalten und schreibe wegen mir eine ganze Zeit mit der Maschine, wenn Du Dir dadurch die notwendige Zeit ersparst.  Mit dem Radiohören ist das nicht immer so einfach. Ich bekomme wohl hie und da einmal bruchstückweise etwas zu hören, aber geschlossene Sendungen kann man doch nicht hören, wenn man keinen eigenen Apparat hat. Die Abende bei Euch sind also gemütlich verlaufen, wenn Du gestrickt hast und Helga sich mit Häkeln beschäftigt hat. Jörg kann dabei ganz gut malen, wenn Du ihnen Märchen vorliest. Ich glaube, für solche Sachen sind sie sehr empfänglich. Das ist ja ganz in Ordnung, denn was haben wir uns an diese Geschichten gehalten und wie sind wir darüber gesessen. Wenn ihnen noch dazu vorgelesen wird, so haben sie direkt einen doppelten Genuß.  Solange sich die anderen Parteien allein zanken, kann Dich das wohl nicht weiter erschüttern. Es ist zwar weniger schön, wenn man das mit anhören muß, aber bei diesen Leuten kann man da nichts anderes verlangen. Die müssen sich von Zeit zu Zeit einmal herumschlagen. Uns ist das weniger ein Bedürfnis. Man ist dann immer froh, wenn man nicht mit hineingezogen wird. Solange das nicht der Fall ist, geht es ja noch.  Es ist nun einmal mit den Kindern so, daß sie ab und zu einmal eine Aufmunterung brauchen.  Wenn das wieder für eine Weile hilft, ist es für beide Teile gut.  Du schonst Dir Deine Nerven und die Kinder haben ohne weiteres den Nutzen davon, daß sie von Deiner Stimmung und von dem ersparten Ärger profitieren. Daß sich unser Jörg als solch ein geschäftstüchtiger Kerl herausstellt, nimmt mich wunder. Es wird wohl nichts weiter schaden. Anscheinend versteht es sich aber darauf, denn er findet immer wieder jemand, der ihm etwas bringt. Wenn er dann gleichzeitig seine Gunst einem anderen schenkt und ihn so mitspielen läßt, dann werden die so ausgezeichneten das auch zu schätzen wissen.  Ich freue mich, wenn unsere beiden Stromer ab und zu etwas von sich sehen lassen. Es muß ja nicht jeden Tag sein. Das kann man von ihnen auch nicht verlangen. Sie geben von sich aus gern das Versprechen, aber sie sind ja noch Kinder und können noch nicht wie Erwachsene gewertet werden. Das kann man ihnen in keiner Weise übel nehmen, wenn sie einmal einige Tage ganz auslassen oder wenn die Unterbrechungen mit der Zeit größer werden. Nur ganz sollen sie es nicht fallen lassen. Daß dieser Fall nicht eintritt, dafür sorgst aber Du schon wieder. Daß die Weihnachtsferien verkürzt worden sind, betrifft ja alle Kinder.  Das ist ihm aber unwesentlich, denn anscheinend fühlt er sich nur allein benachteiligt.  Mein liebes Mädel, lasse mich wieder schließen. Nachher mache ich meine Päckchen auf und werde Deinen Brief lesen. Glaube mir, daß ich in Gedanken ganz und gar bei Euch daheim bin. Für die Weihnachtsgrüße von Vater danke ich. Ich habe ihm persönlich geschrieben. Ich hoffe, daß ihn dieser Brief noch rechtzeitig erreicht. Bleibt gesund und laß Euch recht herzlich grüßen und küssen von Deinem Ernst.
Das Päckchen Nr. 53 mit Mehl habe ich Gestern abgesandt.
Hoffentlich kommt es gut an.


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