Montag, 5. Februar 2018

Brief 376 vom 29./31.1.1943


Meine liebste Annie !                                                                           29.1.43   
    
Auch dieser Monat neigt sich seinem Ende zu. Viele ernste Meldungen hat er uns gebracht. Hoffen wir, daß uns die folgenden Monate bessere Nachrichten für uns bringen. Die neue Verordnung über die Arbeitspflicht hat ja manche Änderung in der Heimat geschaffen.  Vielleicht bekommt man auch mit dieser Sache die „feinen Leute“, die bisher nur die anderen schaffen ließen, dran. Wahrscheinlich werden die Ärzte gegenwärtig sehr in Anspruch genommen, um die vielen Zeugnisse auszustellen für die, die sich nun ihre Leiden bescheinigen lassen müssen, um eine begründete Ausrede für irgendein Leiden zu haben, was schnell beschaffen worden ist.  Nachdenken darf man darüber nicht, denn sonst müßte man sich erst noch ärgern. Ich glaube kaum, daß die Arbeitseinsatzbehörden das restlos durchdrücken werden.  Die in Aussicht gestellte Verlegung ist im Moment etwas in den Hintergrund getreten durch die Stabilisierung der Front. Es kann aber sein, daß durch andere Ereignisse eine Veränderung unserer Unterbringung vorgenommen wird. Das  ?    bin ich ja gewohnt worden, so daß man vor keine neue Aufgabe gestellt ist.  Dein Vater kann aber unter den schwierigen Verhältnissen, die jetzt herrschen, mit den Geschenken, die Du ihm zu seinem Geburtstag gemacht hast, sehr zufrieden sein. Diese Sachen sind doch alle schwer zu bekommen. Ich nehme an, daß er das auch richtig zu schätzen weiß. Vor allem sieht er aus diesem Geschenk, daß sich durch die Veränderung zuhause trotz allem gegen ihn nicht geändert hat. Du hast mit dieser Aufmerksamkeit die nun eingeführte Tradition fortgesetzt. Ich stimme dieser Sendung in jeder Beziehung zu, denn er sieht daraus den guten Willen.  Für die Zuteilung von Mandarinen werden die kinder wohl ganz besonders dankbar sein. Das hätte ich vor einem Jahr auch noch aus Frankreich schicken können, doch von hier aus läßt sich das nicht machen.  Daß sich Jörg während Deiner Abwesenheit seine Schuhe selbst vorgenommen hat, finde ich sehr nett von ihm. Er versucht wenigstens, sich selbst zu helfen und nicht nur Dir alles zu überlassen. Ob er nicht auch vielleicht ein bisschen Dampf davor gehabt hat, daß Du ihm deshalb Vorwürfe machen könntest, weil er sie schon wieder kaputt hat. Wie dem auch sei, er hilft sich wenigstens selbst und das wird Dir auch recht sein, vor allem wenn er es richtig anpackt. Daß er es nun mit dem Schwimmen doch geschafft hat, das macht mir viel Spaß. Er hat doch noch etwas Ehrgeiz in sich, denn er würde es sonst nicht von sich aus probiert haben, das Gelernte und vor allem das nun gewonnene Selbstvertrauen in sich zu stärken. Diesen Funken von Ehrgeiz muß man meiner Erachtens nähren bei jeder sich bietenden Gelegenheit, denn ich weiß wohl, daß er gern nach der anderen Richtung neigt. Daß er sich sehr wichtig dabei vorkommt, das ist nun einmal kindlich und dafür hast Du ja volles Verständnis.  Wegen der Vorschaltwiderstände ist das so eine Sache. Du weißt ja, wie die Kameraden dort drüben mit ihrem Geld immer so knapp daran sind. Meist reicht ja das Kontingent nicht aus von dem, was sie sich schicken lassen können. Es wird darum nicht daran liegen, daß man einfach das Geld nur 2 X schickt, sondern das geht von dem ab, was sie sich dann schicken lassen können. Ich denke aber trotz allem, daß ich einen gangbaren Weg finde, um den notwendigen Kauf möglich machen zu können. Wenn Du den Apparat nicht mehr benutzen könntest, wäre das schon ein großer Ausfall für Dich. Ich hoffe darum selbst, daß ich diesen Kauf erledigen kann. Anscheinend kommen meine Briefe im Vergleich zu früher doch etwas schneller an. Daß einer einmal hinterherhinkt, das läßt sich nun einmal nicht vermeiden. Durch solche kleine Erleichterungen hoffe ich Dir entgegenzukommen und eine kleine Freude zu machen. Solange das sich einrichten läßt, mache ich die auch sehr gern; brauchst Du doch dann nicht gar zu lange warten.  Ich grüße Dich, mein liebster Schatz und bin mit vielen, vielen lieben Küssen Dein Ernst.

Mein liebster Schatz !                                                                   31.1.43    
     
Zum Schreiben bin ich gestern leider nicht gekommen, aber heute zum Sonntag klappt es schon eher. Zuerst vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 17.  Wie ich sehe, hast Du Dich angestrengt und das Maschineschreiben aufgegeben um mit zu beweisen, daß Du das Handschriftliche auch noch beherrschst. Ich hätte es Dir aber auch so geglaubt. Dieser Brief hat gerade zwei Wochen gebraucht bis er ankam. Das ist doch eine erheblich länger Zeit als früher nach Frankreich. Da könnte man unter normalen Umständen innerhalb einer Woche wieder Bescheid haben. Dieser Traum ist ja nun aus. Dem Sonntagsessen würde ich gerne zustimmen. Vom Stachelbeerkompott wäre ich auch nicht abgeneigt. Ich kann aber im allgemeinen jetzt über die Verpflegung nicht klagen, ich schrieb ja schon, daß sie besser geworden ist. Vorgestern Abend gab es Kartoffelsalat mit deutschem Beefsteak. Zum Frühstück bekommen wir meist Butter oder Margarine mit Honig oder Marmelade. Auch das Mittagessen ist immerhin ausreichend. Man braucht wenigstens keinen Kohldampf zu schieben, denn so ein starker Esser bin ich nicht, daß ich nicht satt werden würde.  Wie ich lese, hast Du für Vater wieder allerhand Aufträge auszuführen.  Mit dem Anstricken der Strümpfe hat er Dich in ausreichendem Maße beschäftigt. Solange Du noch Zeit dazu hast, geht das noch an.  Ich habe auch ohne weiteres Verständnis dafür, weil er niemand weiter hat, der ihm das übernehmen kann, aber ich bitte Dich immer wieder, nimm Dir nicht allzu viel vor, denn so ein Riese bist Du nun einmal nicht, daß Du tagaus tagein die Nacht über sitzen kannst. Du mußt Dich auch wieder einmal ausruhen und Dich schonen. Ich lege großen Wert darauf, daß Du Dich etwas hier nachrichtest. Du mußt Dir ja schließlich für uns gesund erhalten.  Das mag etwas egoistisch klingen, doch ist dieser Wunsch sicherlich nicht unberechtigt. So alt bist Du und ich auch noch nicht, daß wir schon zum alten Eisen gehören, denn wenn wir gesund bleiben, haben wir noch ein Stück Leben vor uns. Dies wollen wir im Auge behalten und darnach richten. Wenn Du Dich im Rahmen des Möglichen beschäftigst, habe ich bestimmt nichts einzuwenden, nur solltest Du über diesen Rahmen nicht hinausgehen. Beachte das bitte auch dann, wenn irgendwelche Anforderungen an Dich herantreten. Da denke ich gerade an Vater in Bezug auf die neue Arbeitspflichtverordnung. Nach dieser Verordnung ist er ja nicht mehr verpflichtet, Arbeit zu leisten. Im übrigen soll hier nach jedem Wunsch nach Möglichkeit Rechnung getragen werden. Ich an seiner Stelle würde beim Arbeitsamt vorstellig werden und darauf hinweisen, daß er mit Rücksicht darauf, daß er trotz seines Alters seine Kräfte noch zur Verfügung stellt, wenigstens fachmäßig beschäftigt und auch dann den tarifmäßigen Lohn bekommt. Es ist doch eine große Gaunerei, wenn ihn der Strohmeier wieder als Hilfsarbeiter bezahlt und doch seine Vorbildung als Facharbeiter ausnutzt. Er soll ruhig mal einen Vormittag opfern und sich vom Dienst freimachen. Das kann ihm niemand verübeln, wenn er sich sein Recht holen will.  Wie Du mir schreibst, hast Du Dir von Vater einige Bücher mit zum Lesen heraufgenommen. Ja, als ich die Widmung in das Buch hineinschrieb, war Kurt 11 Jahre alt und jetzt ist Helga schon wieder in dem gleichen Alter. Bei solchen Rückblicken sieht man erst, wie die Zeit verrinnt. Man kann sie nicht halten, denn sie geht unentwegt weiter.  Ich der gegenwärtigen Zeit ist es auch gut so, denn das wäre ja nicht auszudenken, wenn sie stillstehen würde. Die schon vielfach erwähnte Laubsäge hast Du Dir nun auch mitgenommen. Hoffentlich bekommst Du auch die Sägeblätter dazu, die notwendig sind. Ich kann von mir nur sagen, daß ich kein großes Geschick dazu gehabt habe. Allerdings habe ich auch nicht viel geübt. Es lag aber auch daran, daß ich von meinem Vater Holz dazu bekam, das für diese Zwecke zu stark war. Am besten ist doch Sperrholz und das stand mir nicht zur Verfügung oder Zigarrenkistenholz. Ich werde ja bei Gelegenheit v on den in Angriff genommenen Arbeiten hören.  Daß Jörg so ein Heidenrespekt vor dem Friseur hat. Wie soll denn das einmal später werden. Ich glaube, er ist der Ansicht daß der Friseur noch gewalttätiger vorgeht, wenn die Mutter schon jedes Haar einzeln herauszieht. Ist es nicht so ? Hoffentlich habe ich nun mit meiner Anpöbelung nicht erreicht, daß Du unserem Jungen die Haare überhaupt nicht mehr schneidest. Ich kann mir aber gut vorstellen, daß er froh ist, wenn diese Tortur vorbei ist. Daß er sich darüber freut, daß es wieder ordentlich aussieht, ist doch mehr oder weniger eine Nebenerscheinung? Oder bist Du anderer Ansicht?  Von Siegfried muß ich ja sagen, daß er bis jetzt Glück während seiner ganzen Militärzeit gehabt hat. Es kann wohl sein, daß er bei dem großen Einziehen neuer Leute nochmals eine Weile in der Heimat verwendet wird, allerdings kann es ihm jetzt auch blühen, daß er aus dem Heimatkriegsgebiet herausgezogen und auch in unsere herrliche Gegend versetzt wird. Im allgemeinen haben es aber auch die Unteroffizierdienstgrade nicht gerade schlecht bei den Sanitätseinheiten. Also ich denke, daß sich da Erne keine großen Sorgen um ihn machen braucht. Aber er kann froh sein, daß es bei ihm immer noch so geklappt hat. Denn es ist ihm doch schon oft gelungen, einige Tage daheim zu verbringen, was den anderen Kameraden nie möglich ist. Im allgemeinen wird Erna jetzt mit sich zu tun haben, denn wenn auch die ersten Monate in mancher Beziehung Beschwerden mit sich bringen, so kommt ja nun in der jetzt folgenden Zeit in mancher Hinsicht eine Erleichterung. Sie wird es auch überstehen wie Millionen andere Mütter auch.  Für die übersandten Zeitungen danke ich Dir vielmals. Ich erhielt sie gestern mit und habe sie zum Teil gelesen, Den Rest werde ich mir heute vornehmen.  Recht viele herzliche Sonntagsgrüße sende ich Dir und übermittle gleichzeitig viele herzliche Küsse, die ich gern einmal selbst einlösen würde. Dein Ernst.

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