Mittwoch, 3. Januar 2018

Brief 363 vom 31.12.1942


Mein liebstes Mädel, meine liebe Annie !                                           31.12.42   

In wenigen Stunden ist es soweit, daß wir wieder ein Jahr hinter uns gebracht haben. Ein Jahr, das uns mancherlei Sorgen bereitet hatte. Ein Jahr, das uns auch manche Freude nicht versagte. Wir haben es gesund überstanden und wollen froh darum sein. Voller Erwartung blicken wir in die Zukunft, wissen zwar nicht, was sie uns vorbehalten hat. Hoffen wir, daß sich unsere Wünsche, die wir an das kommende Jahr stellen, erfüllen. Im Laufe der Jahre haben wir sie immer weiter zurückgeschraubt. Sie sind ziemlich bescheiden geworden, aber den Glauben wollen wir deshalb nicht verlieren.
Meinen Neujahrsbrief hatte ich Dir schon geschrieben, ich nehme an, daß er rechtzeitig in Deinen Besitz gekommen ist. Darin habe ich all das schon zum Ausdruck gebracht, was mein Wünschen und Verlangen für das kommende Jahr ist. Ich wiederhole es gern noch einmal zum Jahresschluss.
Die Liebe, die wir uns im abgelaufenen Jahr und in den Jahren vorher entgegengebracht haben, wollen wir im Jahr, das vor uns liegt, erhalten. Gemeinsam wollen wir all das tragen, was uns angeht , es ist leichter für uns beide.  Unserer Familie wollen wir weiter in der Aufopferung dienen wie bisher. Ich wünsche uns allen, daß uns die Gesundheit erhalten bleibt, und daß wir uns in nicht allzu weiter Ferne wiedersehen.  Hoffentlich sind wir am Ende des kommenden Jahres soweit, daß man dem erwünschten Ziel dieses Krieges näher sind. Mein weiterer Wunsch geht dahin, daß Ihr keine Not leidet in der Ernährung.  Ich habe heute verschieden Sachen noch fertiggemacht, die mich hier noch belasteten.
Von dem Päckchen Nummer 55 schrieb ich gestern schon. Am Sonntag fährt ein Kamerad auf Urlaub, der mir eine kleine Flasche Öl mitnimmt und dann an Dich fertig macht. An Siegfried habe ich heute geantwortet und auch nach Gramsdorf an das Pfarramt habe ich geschrieben. Die teilten mir mit, daß sie meine umfangreiche Anfrage jetzt nicht erledigen konnten. Ich habe ihnen mitgeteilt, daß ich davon Kenntnis genommen hätte und ich bitte darum, daß sie die Antwort an Dich schicken sollten.  Die Kosten dafür kann ich von hier aus bestreiten, wenn Du keine Lust hast, dies zu erledigen. Den Durchschlag meines Briefes an Siegfried habe ich beigefügt.
Ich hatte erst die Absicht, Deinem Vater auch noch zu antworten, aber dazu langt es wohl heute nicht mehr.  Ich komme nicht umhin, ich muß heute wieder einmal in der Erinnerung kramen. Heute vor einem Jahr, da saß ich auf der Kreiskommandantur in Douai und hatte OvD. Ich hatte einen schweren Stand mit der Wache, weil die Brüder des Guten zuviel getan hatten. Das war nicht leicht und ich war froh, als mein Dienst vorbei war, denn ich hatte nicht die Absicht, den Männern diesen Abend zu verderben.
Diesmal werde ich mit den Männern unserer Abteilung zusammensitzen. Es wird im Rahmen bleiben, denn die Mengen sind nicht so reichlich bemessen, daß man daran Schaden nehmen könnte. Genau wie ich in Gedanken jetzt bei Euch bin, so werden sie auch um Mitternacht und vorher bei Euch weilen. . 
Auf die vergangenen Briefe will ich heute nun wieder teilweise zurückkommen, denn es ist allerhand gewesen, was da ankam. Ich will doch alles so beantworten, wie es notwendig ist. Die Freude über den Einkauf des Weihnachtsbaumes kann ich mir vorstellen von Jörg. Es war ja günstig, daß Ihr rechtzeitig gegangen seid, denn da hast Du noch die Auswahl gehabt und brauchtest nicht so lange anzustellen. Ich denke, daß Ihr auch an dem Weihnachtsbaum selbst Eure Freude hattet.
Das Theaterspielen in der Schule hat Helga sicherlich auch imponiert. An diesen Sachen kann sie sich begeistern. Sie hat nun einmal etwas Geltungsbedürfnis. Jörg hat nun auch gemerkt, daß es ihm Spaß macht, schwimmen zu können, wenn es auch erst mit dem Korken ist. Das macht ja nichts weiter. Er muß eben erst das Zutrauen haben, daß es geht, solange das fehlte, da hatte er auch noch nicht den richtigen Geschmack daran. Ich hoffe, daß sein Eifer entfacht ist. Das Geld ist ihm ja sicher.  Ich halte an meiner ausgesetzten Prämie fest.  Was nun die Schulangelegenheit anbelangt, so ist meine Meinung die.
Kurt meint, daß Handelsschule genügen würde. Das mag alles stimmen.  Ich will mit den Kindern auch nicht höher hinaus als notwendig.  Andererseits möchte ich ihnen die Möglichkeit geben, die ihnen nach ihren Fähigkeiten offen stehen. Es handelt sich bei uns nicht darum, daß das Kind nun erst mit dem und dem Jahr fertig ist und so und so lange auf der Tasche liegt. Das macht mir nichts aus, denn wie viele Jahre sind das noch, dann sind sie uns aus dem Hause. Welche von den Höheren Schulen wir nun wählen, das ist nun die Frage, die noch offen steht. Denn da gibt es die verschiedenen Möglichkeiten. Die Anregung, die Resi gab bezüglich der Luisenschule ist an sich richtig. Ihr Hinweis mit den Lehrerinnen ist wohl wieder genau so einseitig gesehen, wie damals, als die Kinder in die Volksschule kamen. Du kannst Dich noch erinnern, wie sie von jedem Lehrer etwas wußte. Wir sind mit der Helga gut durchgekommen und ich denke, daß sich das auch in der neuen Schule geben wird.
Ich lese heute einen Artikel über die Hauptschule. Daraus kann man schließen, daß alles noch im Fluß ist.  Man tastet nach der richtigen Form. Es stimmt, daß man etwas im Lauf der Zeit schaffen will, was sozial und vorbildlich werden kann. Bis jetzt sieht man aber noch nicht klar. Wie gesagt, wir halten an unserem Plan fest. Eine Entscheidung darüber, welche Sache nun in Frage kommt, fällen wir dann zu gegebener Zeit.  Vielleicht bekommst Du noch das eine oder andere zu hören, damit man sich darnach einrichten kann. Wenn Helga die vorgesehen Schule besucht hat, besteht immer noch die Möglichkeit, die Höhere Handelsschule oder etwas ähnliches zu besuchen. Darüber machen wir uns aber heue noch keine Gedanken.
Wenn Du aber noch irgend etwas in dieser Richtung von mir wissen willst, dann teile mir das nur mit, ich werde, soweit es mir möglich ist, darüber Auskunft geben. Was noch die Meinung von Resi wegen des Berufes des Vaters anbelangt, so ist es doch immerhin so, daß wir uns nicht zu verstecken brauchen, genau so wenig, wie sie auch. Ich hätte da weiter keine Befürchtungen. 
Für die verschiedenen Schreiben der Kinder danke ich wieder recht herzlich. Ich glaube, daß ich ihnen bald antworten muß, sonst denken sie, ich will von ihnen nichts mehr haben. Sage ihnen das nur und ich denke, daß ich bald dazu kommen werde.  Was noch die Angelegenheit wegen des Essens hier betrifft, so brauchst Du keine Bedenken zu haben. Ich wehre mich schon meiner Haut. Mache Dir nur keine Sorgen, denen spucke ich doch noch auf den Hut. Das ist nun einmal ein Heimtücker. Heute habe ich ihm einmal meine Meinung, zwar erst noch sehr anständig , gesagt, da hat er den Schwanz eingezogen. Mit dem Zusetzen geht das hier nun nicht so wie in Frankreich, wo man noch kaufen konnte, wenn man Beziehungen und Marken hatte. Es ist immerhin hier soviel zu essen da, das es gerade reicht. Es kommt daher auch nicht in Frage, daß Ihr mir etwas schickt, denn soviel habe ich immerhin noch, wie Ihr daheim. Dass das Essen nicht überall gleich gut ist, das liegt nun einmal daran, daß sich einige Herrschaften darin die Hände waschen. Denn die Zuteilungen sind so groß, daß es für uns reicht. Lasse Dir aber bitte keine grauen Haare deshalb wachsen, denn das wäre schade darum. Ich hoffe, daß die Sache auch für Dich damit bereinigt ist.
Mein persönliches Pech ist, daß ich mit den Kameraden, mit denen ich gut auskam, auseinander kam, doch ich kann mich nicht dagegen stemmen, das ist höhere Gewalt.  Nun mein liebes Mädel, bleibe mir gesund, grüße unsere beiden Lauser von mir und  drücke ihnen einen herzlichen Kuss auf. Sage ihnen, er sei fürs Neujahr. Du selbst nimm viele Grüße und recht innige Küsse entgegen von Deinem Ernst.

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