Donnerstag, 25. Januar 2018

Brief 371 vom 21./22.1.1943


Mein Liebling !                                                                              21.1.43  
       
Ich sehe, daß es nicht nur bei mir spät wird, bis ich zum Briefeschreiben komme, denn in Deinem Brief vom 9. teilst Du mir mit, daß Du über Mitternacht gearbeitet hast, um diesen Brief zu fabrizieren. In letzter Zeit habe ich die Post ziemlich lückenhaft erhalten. Ich bin aber auch so froh, denn es ist besser, man bekommt sie so, als überhaupt keine. So habe ich mich beruhigt, als ich las, daß Helga wieder soweit hergestellt ist, daß sie keine Beschwerden mehr hat, dann kann sie ja jetzt unbesorgt die Schule besuchen. Man macht sich doch Gedanken, ob es sich zu nichts Ernsthaftes entwickelt. Andererseits ist man froh, wenn sie auch einmal einige Tage in der Schule fehlen daß ihnen das nicht viel ausmacht, denn sie werden bald das Versäumte nachgeholt haben. Die Sache mit unserem Jungen, die Du mir da erzählst hast, entspricht ganz und gar seinem Wesen. Er ist an sich nicht so schwierig zu behandeln, denn er fängt schon jetzt von sich aus einzusehen, wann er unrecht hat. Ich denke, daß es für ihn auch nicht immer leicht ist, sich zu überwinden, aber lernen muß er es, denn solch ein Dickkopf wie er ihn hat, könnte sich von Fall zu Fall in späteren Jahren ungünstig auswirken. Unterordnen muß er nun einmal lernen. Du weißt ja, daß ich diesen Standpunkt immer schon vertreten habe. Er ist ja noch jung, kann immer noch gebogen werden, denn in diesen Jahren läßt es sich noch machen.  Später fällt es schon viel schwerer. Du siehst es ja an mir, daß da schon Hopfen und Malz verloren ist. Aus Deiner Schilderung hat mich dann vor allem gefreut, daß er seinen Fehler eingesehen hat, ohne daß Du ihm erst auf die Sprünge hast helfen müssen. Du hast recht getan, wenn Du ihm nicht gleich hinterherläufst, denn das darf in keinem Fall soweit kommen, daß die Kinder die Eltern dirigieren. Du hast ja auch nicht die Veranlagung dazu und das ist nach meiner Meinung ganz richtig so. Daß er aber immer so verspielt ist, das könnte einem fast Sorge machen. Es muß ja nicht so sein, daß sich das später zu seinen Ungunsten auswirkt. Anscheinend geht aus Deinem vorhergehenden Brief hervor, was das mit den Briefumschlag für Kuster auf sich hat. Hast Du ihn eigentlich einmal gefragt, was es mit dem einen Briefumschlag auf sich hat, den ich im Bücherschrank hingelegt hatte. Wenn Du nicht dazukommst, dann lege ihn bitte wieder mit ins Album hinein. Ich denke aber, daß Du die Umschläge zum Tag der Briefmarke hast hingeben müssen.  Durch unsere Dienststelle kam dieser Tage ein Rat, der in der Heimatbehörde meines ersten Chefs in Frankreich tätig ist. Durch den erfuhr ich, daß ein Kamerad, der mit dort beschäftigt war, hier im Osten inzwischen gefallen ist. Ich habe von ihm ein Foto. Es ist der, der im Ledermantel fotografiert ist. Hier hat es manchen seit dieser Zeit getroffen.  Mit dem Wetter ist es hier auch nicht immer angenehm. Nach einigen kalten Tagen wurde es gestern wieder wärmer und es fing auch an zu schneien. Man braucht sich nicht so fest mehr einzupacken, aber der Wind macht wieder den Aufenthalt auf der Straße so unangenehm. Für mich ist es ja nicht ganz so schlimm, denn ich bin ja doch die meiste Zeit auf dem Büro.  Vater soll aber bald zum Arzt gehen, wenn er noch nicht gegangen ist, denn für einen älteren Mann ist das keine Kleinigkeit. Mache ihm ein bisschen Dampf.  Helga ist auch so ein Spatz. Was sich ein Kind manchmal so vorstellt. Sie hält sich also an verschiedene Worte. Die ersten Worte kann ich ihr nachfühlen, aber daß sie sich auch noch an das Wort „feste“ klammert, das ist doch belustigend.  Ich habe wieder etwas Mehl bekommen, das ich heute Abend noch fertig mache und an Dich abschicke. Es gibt wieder zwei Päckchen, die die Nummer 8 und 9 tragen. Gegenwärtig bin ich ganz zufrieden mit dem Erfolg in dieser Beziehung. Ich kann Euch doch wenigstens auf diese Weise etwas unterstützen. Hoffentlich erreicht Dich alles in ordentlichem Zustand. Etwas Butter habe ich mir von meiner Verpflegungsbutter aufgespart. Ich habe sie in einer Marmeladendose gesammelt, die ich Dir bald mit zugehen lassen werde. Es hilft immer wieder mit, denn in der gegenwärtigen Zeit kann man nicht genug von Fettwaren auf Vorrat haben, denn damit geht es doch nicht zu üppig.  Ich sende Dir, mein lieber Schatz, recht viele Küsse und viele liebe Grüße. Dein Ernst.
Ein Umschlag mit Schriftwechsel und Briefumschlägen ist gestern an Dich abgegangen. Die zwei Urkunden, von denen ich kürzlich schrieb, habe ich meinem heutigen Brief beigefügt. 

Meine liebste Annie !                                                                         22.1.43  
       
Daß mir die Post so unregelmäßig etwas bringt, kann ich Dir nicht entgelten lassen, denn Du kannst ja nichts dafür. Wie ich Dir schon gestern schrieb, sind höhere Gesichtspunkte für die Transporte maßgebend, denen wir uns eben unterordnen müssen. Wir nehmen das auch gern hin, wenn man weiß, daß man den Kameraden damit hilft. Die gegenwärtige Lage erfordert größte Anspannung aller Kräfte, auch die der rückwärtigen Einheiten. Hoffen wir, daß sich die Dinge bald festigen und den Kameraden Entlastung zuteil wird.  Draußen liegt wieder Neuschnee, Pulverschnee. Die Kälte ist nicht ganz so streng, aber trotzdem wäre es mir lieber, wir hätten den Winter schon hinter uns. Wir werden aber bis zum Frühjahr wieder aushalten müssen, um die Arbeit für den Sommer vorzubereiten. Bis dahin wollen wir aber nicht die Hand in den Schoß legen, sondern alles einsetzen, daß es bald wieder vorwärtsgeht. Bis Du diesen Brief bekommst, wird es schon soweit sein. .  Heute Nachmittag war bei uns wieder Kinovorstellung. Es wurde der Film „Der Mustergatte“ gespielt. Es ist zwar viel Quatsch dabei, doch manches war recht originell. Die Wochenschau brachte Bilder von Leipzig, das war eine ganz nette Angelegenheit, wenn man als alter Leipziger das sieht. Bis die Wochenschau zu uns kommt, das braucht zwar eine ganze Weile, aber wir sind ja sehr froh, daß wir Gelegenheit haben, etwas aus der Heimat zu sehen. Die Vorstellungen finden immer freitags statt. Es kann sein, daß das nächste Mal „Der große Schatten“ gespielt wird. Das ist doch der Film, den Du vor kurzem gesehen hast.  Heute habe ich das erste Päckchen mit Mehl abgeschickt, morgen geht das andere ab. Ich muß aber noch verschiedene kleine Sachen vorbereiten. Diese Packerei macht immer ziemlich Arbeit, die ich zwar sehr gern mache, denn ich weiß, daß ich dir damit eine Freude machen kann.  Ich bin nicht in der richtigen Stimmung. Lasse mich bitte heute schließen. Ich grüße Dich und die Kinder vielmals sehr herzlich und sende Dir, mein liebster Schatz, recht herzliche Küsse. Dein Ernst.

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