Donnerstag, 25. Januar 2018

Brief 372 vom 23.1.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                    23.1.43  
        
Es ist plötzlich still bei uns geworden und das Arbeitstempo hat sehr nachgelassen. Ich setze mich darum heute Vormittag schon hin, um meinen Brief an Dich anzufangen. Ich habe gestern schon in meinem Brief andeutungsweise von den Ereignissen gesprochen, die inzwischen hier eingetreten sind. Was und vor allem wie sich das zugetragen hat, das kann man ja nicht schreiben. Bei uns liegen zur Zeit jedenfalls die Dinge so, daß wir schon anfangen, alle überflüssigen Dinge zusammenzupacken und Sachen, die keine Bedeutung mehr haben, zu verbrennen. Wahrscheinlich  werden wir uns von hier zurückziehen, Mir selbst ist das zwar nicht verständlich. Die Gründe, die die maßgebenden Herren dazu bewogen haben, sind mir nicht bekannt. Aber ich betrachte das nur als eine Vorsichtsmaßnahme. Die Ereignisse sind wieder ziemlich nahe an uns herangerückt. Ich werde das, was ich abstoßen kann, an Dich auf den Weg bringen. Ich denke, daß ich meine zwei Koffer irgendwo mit unterbringe. Wenn das geht, dann habe ich meine sämtlichen Sachen verstaut. Es wird aber alles nicht so schlimm werden, wie es immer gemacht wird. Du brauchst Dir daraus keine Sorgen zu machen, denn ich werde Dich laufend über die Dinge unterrichten, die wichtig sind, soweit dies im Schreiben überhaupt möglich ist. Heute habe ich wieder ein Päckchen fertiggemacht. Es enthält die Zigarren und Stumpen, die ich gekauft und gesammelt habe. Es sind teilweise sehr teure Sachen  dabei. Das Stück bis 40 Pfennig. Ich habe sie aber trotzdem gekauft, weil Du damit immer etwas hast, um kleine Geschenke machen zu können. Das Päckchen trägt die Nummer 10.  Aber, soeben habe ich auch wieder Post bekommen. Drei Briefe, vom 8. 10./11. und 13. habe ich erhalten.  Ich habe mich wieder sehr darüber gefreut. Aus Deinen Zeilen habe ich vielfach Dinge lesen können, die Dir Freude gemacht haben, was bei mir ein gleiches auslöst. Daß mein Brief an die Kinder Zustimmung gefunden hat, gibt mir dann auch wieder Anlass dazu, daß ich in dieser Weise fortfahren kann. mich mit ihnen zu unterhalten. Weitere Briefe an sie sind ja schon wieder unterwegs. Ich nehme an, daß diese die gleiche Zustimmung finden. Sie bewegen sich beide auf den verschiedensten Gebieten. Ich glaube aber, daß sie mir so einigermaßen gelungen sind. Daß Du das eine Butterpäckchen erhalten hast, macht mir insofern Freude, weil ich mir nun keine Sorge mehr machen brauche, ob es nicht doch vielleicht verloren gegangen ist. Es ist ja noch einiges Zeug unterwegs, von dem ich hoffe, daß es Dich so gut erreicht wie die anderen Sachen. Ich mache mir immer Gedanken, wie ich Euch mir Sachen unterstützen kann. Die Abschickung der Sachen macht wohl manchmal kleine Schwierigkeiten, aber ich habe immer noch etwas auftreiben können. Mit dem Verpackungsmaterial ist es manchmal etwas knapp.  Papierbindfaden habe ich hier schon kaufen können, etwas anderes bekommt na ja nicht.  Von der eigentlichen Besserung von Helgas Zustand habe ich nun gelesen, und ich bin froh, daß es wieder so abgegangen ist. Sie geht nun sicher fleißig in die Schule. Solange sie nicht ganz auf der Höhe sind, da geht es auch, denn da verhalten sie sich meist ruhig. Sobald es aber ihnen einigermaßen besser geht, dann fangen sie an, unruhige zu werden. Das ist ja nun vorbei. Die Wetterverhältnisse sind hier ja auch nicht gerade günstig. Heute fängt es an zu tauen, nachdem es die ganze Nacht vorher geschneit hat. Eigenartig war das heute früh. Ein Teil der Häuser war ganz weiß beschlagen. Die Häuser müssen geschwitzt haben, was sich dann wie Reif auf die Mauern aufgesetzt hat. Daß der Vater einer Schulkameradin von Helga auch hier am Ort liegt, das ist schon möglich. Dienststellen sind ja in reichlichem Maße vorhanden, so daß das sich sehr verteilt und daß es schon ganz komisch zugehen muß, wenn man da jemand trifft.  Daß Dir die Sendung mit dem Kölnisch Wasser eine Linderung bei Deinen Kopfschmerzen verschafft hat, ist mir eine Bestätigung dafür, daß es höchste Zeit war, daß Du wieder etwas erhalten hast. Es ist ja davon auch noch etwas unterwegs. Ich denke, daß das dann schon eine Weile reicht.  Mit den Langusten hatte ich anscheinend nicht das richtige für Euch getroffen. Jörg hat es wenigstens nicht abgelehnt. Es wäre ja schade, wenn es nicht verbraucht werden würde, wenn die Dose nun einmal geöffnet ist. Aber eine Dose mit Fisch ist ja nun auch hoffentlich in Euren Besitz gelangt. Ich kann Dir gar nicht schildern, wie ich mich über jede Kleinigkeit freue, die ich Euch senden kann.  Vorhin habe ich gerade festgestellt, daß nach dem Kalender Samstag ist. Man merkt das nicht mehr bei dem Betrieb, wie der gegenwärtig bei uns herrscht. Eines hat man nur davon, daß man am Sonntag morgen erst gegen 9 Uhr anfangen braucht mit Arbeiten. Aber jetzt will ich mich noch fpr den schönen und ausgiebigen Brief vom 11.  bedanken, den ich nachträglich durch einen Kameraden zugestellt erhielt. Was sagst Du nun, ich habe es auch bald soweit gebracht wie Du mit dem Empfang von Briefen. Nachdem Du in dem Brief aus Posen erst kein Begleitschreiben vermutet hattest, war für Dich die Überraschung wohl doppelt so groß. Ich muß aber auch Dir meine Anerkennung zollen, denn Du hast ja allerhand geschrieben.  Du dehnst Deine Nachtschicht ja ziemlich lang aus. Das sollst Du aber nicht so oft machen, denn Du brauchst Deinen Schlaf, wenn Du am anderen Tag Deine Pflichten wieder erfüllen mußt. Wenn ich aber in einem meiner Briefe tatsächlich frech gewesen sein sollte, dann bitte ich Dich, das nicht wörtlich zu nehmen. Du kennst ja meine Art. Manchmal bin ich etwas grob. Es hat sich sozusagen als ein gewisses Privileg herausgebildet im Laufe der Jahre. Ich bitte dich, darum auch in diesem Fall keinen so strengen Maßstab anzulegen. Daß Du mich nun gleich mit „Bürschle“ anredest, das deutet ja darauf hin , daß ich mich bald Jörg anschließen muß, um womöglich mit ihm eine Notgemeinschaft zu bilden gegen etwaige Angriffe von Dir. Das ist wohl wieder so eine Frechheit von mir.  Aber wenn ich schon einmal büßen muß, dann kann ich das ja bequem in einem Abwasch dann spare ich Dir die doppelte Mühe, ich habe aber doch den doppelten Spaß daran. Aber mit dem „An den Haaren ziehen“ mußt Du schon noch etwas warten. Es kann ja sein, daß sich mein Schuldkonto so erweitert hat, daß ich nur dann wieder nach hause kommen kann, wenn ich vorher ganz große Abbitte geleistet habe und versprochen habe, mich nun doch noch ernstlich zu bessern. Bis es aber soweit ist, kann ich ja noch ungestraft in dieser Form mich weiter auslassen.  Für die gesandten Zeitungen danke ich Dir. Ich habe sie heute erhalten. Übrigens, in der Konstanzer Zeitung stand daß bei meiner früheren Kollegin ein Junge angekommen ist. Ich dachte, wunder was für ein hohes Tier der Mann von ihr ist, dabei ist es ja auch nur Steuerassistent.  Der wollte früher auch immer so hoch hinaus. Aber man muß dann eben nehmen, was sich bietet.  Ich habe noch kleine Verpackungen vorzunehmen. Lasse mich darum bitte schließen für heute, und sei vielmals und recht oft gegrüßt und geküsst von Deinem immer an Dich denkenden Ernst.

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