Donnerstag, 22. Juni 2017

Brief 282 vom 22./23.6.1942


Mein liebes Mädel !                                           22.6.42     
     
In der vergangenen Woche habe ich nun schon zweimal nicht geschrieben. Gestern hatte ich aber keine Stimmung dazu. Wir hatte am Samstag, wie ich Dir schon schrieb, Kameradschaftsabend, an dem wir für hiesige Verhältnisse ziemlich lang zusammen waren.  Gestern war ich dann nicht so ganz frisch und außerdem nicht in der richtigen Stimmung. Uns wurde das Soldatenheim zur Verfügung gestellt worden, denn andere Räume gibt es hier nicht, wo man etwas abhalten könnte. Die Schwestern hatten sich auch sehr Mühe gegeben. Das Wichtigste dabei ist ja immer das Essen und das war sehr ordentlich. Eine Suppe mit Eieinlage. Dann Huhn und Kartoffeln mit grünem Salat. Bier und Wodka stellten die geistigen Getränke. Später gab es dann noch Kaffee, Kuchen und Torte. Für die Ausgestaltung hatten die Kameraden selbst gesorgt und die Ukrainer hatten einen Chor mit Instrumentalbegleitung. Das war sehr nett. Vor allem die natürliche Tracht gab dem Ganzen einen eigenen Charakter. Darüber werde ich Dir später einmal wieder bei passender Gelegenheit schreiben.  Ein anderes Ereignis war gestern bei uns hier zu sehen. Ein Einheimischer hatte seine Frau und seine Kinder erdrosselt und dann die Leichen zerstückelt und vergraben. Dieser Kerl ist nun öffentlich hingerichtet worden.  Man merkt aber, daß die Asiaten ganz andere Menschen sind. Mit einer Ruhe und einer Selbstverständlichkeit hat er sich den Strick um den Hals legen lassen, wie wenn das das Alltäglichste von der Welt wäre. Über die Einzelheiten will ich Dir hier nichts weiter schreiben, denn ich denke nicht, daß Dich das so interessiert.  Ich habe mir gedacht, daß man sich das einmal ansehen muß. Es war auch eine ziemliche Menschenmenge da, die das mit angesehen hat.  Die Leute haben sich aber auch alle ganz ruhig verhalten und sind dann wieder weitergegangen, wo es vorbei war. Am Abend war zu der üblichen verkorksten Kinovorstellung eine ukrainische Künstlertruppe da, die mit Gesang, Akrobatik und sonstigem Zauber uns unterhalten hat. Nun geht die Woche wieder im gewohnten Geleise weiter. Teils langweilig und eintönig geht der Tag vorbei, denn die Arbeit ist doch nicht so, daß sie uns voll in Anspruch nimmt.  Man hat immer wohl etwas zu tun. Es ist aber nicht soviel, daß man sich sagen könnte, wann Feierabend ist, jetzt habe ich aber etwas geleistet. Aber meist ist man mit dem nicht zufrieden, was man hat und hinterher sieht man erst, wie gut es vorher war. Wie ich aus Deinen Briefen sehe, hast Du mit den täglich anfallenden Gartenarbeiten immer Deine volle Beschäftigung, denn der Haushalt und die Kinder verlangen Dich auch immer wieder. Am Monatsanfang hast du dann immer wieder Deine Wäsche. Ich kann mir dann vorstellen, daß Du dann redlich müde bist. Daß unserem Jungen so ein Hund wohl Spaß machen würde, das weiß ich. Ob sie dann zwar die Ausdauer hätten, ihn zu versorgen, das ist mir noch nicht so ganz klar, aber das kann wohl sein. Ich selbst hätte ja auch nichts dagegen, wenn man so ein Vieh hätte, doch man ist nur immer etwas gebunden, solange man niemanden hat, der einem das Tier abnehmen würde, wenn man einmal etwas mehr vor hat, als nur am Sonntag nach Wollmatingen zu gehen. Aber das braucht jetzt noch nicht unsere Sorge sein. Daß Helga zum Turnen geht, das hat mich schon seinerzeit bei Deiner letzten Mitteilung gefreut. Wo sich jetzt Jörg auch entschlossen hat, auch mitzumachen, ist doch wenigstens wieder ein Ausgleich da. Ich denke, daß ihm das sein Ehrgeiz nicht zugelassen hat, ihr nachzustehen. Hoffentlich baut er nicht gleich wieder ab, denn das könnte ihm genau so wenig schaden, wie Helga, wenn er sich körperlich etwas schult. Die Kinder  dazu zwingen, hat keinen Zweck, wenn sie es freiwillig machen, dann soll man dieses Bestreben nur unterstützen.  Für die Grüße von Vater danke ich und ich erwidere sie bestens. Kurt hat sich also doch einmal mit ihm unterhalten. Es wird ihm nicht leicht gefallen sein. Mit seinen Briefmarken hat er sich auch wieder beschäftigt. Das war ja schon immer so ein Vergnügen von ihm. Das vergißt er aber auch nicht. Du nimmst aber wieder rech t herzliche Grüße und Küsse entgegen für Dich und die Kinder von Deinem Ernst.


Mein lieber Schatz, mein liebes Mädel !     23.6.42  

Viel Post habe ich heute von Dir erhalten, für die ich Dir vielmals danke. Diesmal waren ziemlich erfreuliche Nachrichten dabei aber auch die wegen der alten Streiterei. Ich kann Siegfrieds Standpunkt vollkommen verstehen. Daß er dabei schon in rein materieller Hinsicht der Hauptleidtragende ist, ist sehr bedauerlich. Es ist bedauerlich vor allen Dingen auch deshalb, weil Dein Vater sich nicht an sein Wort halten will und Siegfried bei der ganzen Sache gewissermaßen den Stuhl vor die Tür stellt. Das ist nicht schön, um nicht direkt zu sagen, das ist charakterlos. Die ganze Angelegenheit ist so verfahren, daß es hier nicht mehr viel Zweck haben wird, zu versuchen, hier Streit zu schlichten So wie ich die Dinge sehe, würden wir von Beiden falsch verstanden werden. Rein verstandesmäßig gesehen, liegen unsere Interessen an Siegfried näher, als mit Deinem Vater. Wenn Dein Vater dieses Fräulein heiratet, dann habe ich auch nicht das Verlangen, die Beziehung besonders herzhaft zu halten. Wenn Deinem Vater sein persönliches Wohl näher liegt als das seiner Kinder, und das ist doch so, übrigens eine Stellungnahme, die ich früher schon vertreten habe, dann muß es auch uns leid tun, wenn diese Bindung zerreißt. Von allen Erbschaftsgedanken ganz abgesehen, aber wenn Dein Vater vor diesem Mädchen das Zeitliche segnen würde, was bleibt uns übrig, bei irgend etwas hineinzureden. Daß Dein Vater unter normalen Umständen früher gehen muß wie wir, das verlangt die Natur. Sollte Siegfried etwas zustoßen, dann kann ich mir eher noch denken, daß wir mit Erna noch Beziehung unterhalten könnten oder umgekehrt, daß Du noch mit Siegfried Dich verstehen könntest. Daß wir mit diesem Fräulein nichts mehr zu tun haben sollten, wenn Dein Vater einmal nicht mehr sein sollte, das ist mir vollkommen klar.  Heute über Mittag habe ich den Brief an Deinen Vater ziemlich fertiggeschrieben. Nun bekam ich gerade noch 2 weitere Briefe von Dir ausgehändigt. Da muß ich schon sagen, daß ich heute wieder reichlich bedacht worden bin. Zwei Zeitungspäckchen und 3 andere Päckchen habe ich auch noch erhalten, die ich aber noch nicht geöffnet habe.  Aus Deinem letzten Schreiben habe ich nun gesehen, daß sich Dein Standpunkt vollkommen mit dem deckt, den ich heute früh in der ganzen Angelegenheit eingenommen habe. Nun habe ich auch an Deinen Vater heute geschrieben. Ich sende Dir den Brief mit. Lies ihn durch. Umschlag habe ich beigefügt, Du brauchst ihn nur zur Post zu geben, wenn Du ihn in allem billigst. Nachdem Du mir geschrieben hast, in soll an Siegfried schreiben, was ich zu der ganzen Sache denke und die weiteren Sachen übernehmen, habe ich mir auch gleich die ? Deinem Vater gegenüber genommen. Ich möchte, daß Du jetzt aus der ganzen Sache draußen bleibst und Dich den ewigen Aufregungen entziehst. Mir macht das wenig aus, denn ich werde mit der Sache schon fertig werden. Hoffentlich hast Du inzwischen nicht noch an Deinen Vater geschrieben, aber das würde auch nichts ausmachen.  Den Durchschlag kannst Du dort behalten. Wenn Du willst, werde ich überhaupt den ganzen Briefverkehr mit Deinem Vater für Dich übernehmen. Auf die Zeitungen sind wir nicht angewiesen, auch auf die anderen Kleinigkeiten nicht, die er uns immer gesandt hat.  Wenn er sich nicht an sein Wort halten kann und sich, wie Siegfried ganz richtig bemerkt, wahrscheinlich zu sehr mit diesem Fräulein eingelassen hat, dann betrachte ich das ganze Verhalten von ihm so, als liegt ihm nicht mehr viel an uns wie an diesem Fräulein. Wenn dem aber so ist, dann hat dieses Nebeneinanderherleben keine große Bedeutung. Ich hatte den Brief schon einmal angefangen, den ich an Deinen Vater gerichtet habe. Ich wollte ihm seinerzeit eine andere Wendung geben. Ich zögerte, ihn abzuschicken. Ich war selbst mit mir unzufrieden, daß ich ihn nicht fertig schrieb und fand doch nicht den richtigen Fa den, ihn weiter zu machen. Nun weiß ich, warum ich nicht weiterschreiben konnte. Es scheint mir fast, als hätte ich das gespürt und wusste aber doch wieder nicht wieso. Wo ich nun die Post von Dir bekam, wurde mir alles klar. Mein Entschluss, was ich nun tun muß, stand dann gleich fest. Mein Gefühl hatte mir das schon die ganzen Tage gesagt, was ich jetzt an Deinen Vater schreiben musste.

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