Meine liebste Annie ! 14.6.42
Posttag war heute wieder. Deine beiden Briefe vom 31.5.
und 1.6. habe ich erhalten. Ich habe
mich wieder sehr gefreut darüber. Du bekommst ja auch ziemlich regelmäßig Post
von mir, so daß Du immer auf dem
laufenden bist, mit dem Unterschied, daß die Briefe eben etwas länger gehen.
Das muß man aber auch in Kauf nehmen. Die Rundschau vom 23. und 3.6. erhielt
ich außerdem noch von Dir. Von den Pfarrämtern in Bernburg und Gramsdorf bekam
ich außer allem anderen auch noch Antwort. Doch erst zu Deinen Briefen. Daß Du die beiden Päckchen mit Butter
erhalten hast, teiltest Du mir wohl mit, doch in welchem Zustand sie waren,
hast Du mich nicht wissen lassen. Sind sie sehr durch das Papier durchgedrungen
und konntest Du sie noch verwenden. Die Päckchen waren doch immerhin über drei
Wochen unterwegs. Die Erlebnisse mit den Kindern haben mich belustigt. Daß sich
Jörg noch rechtzeitig aus dem Staub gemacht hat beim Eingreifen einer höheren
Gewalt ist mir erklärlich. Denn da hätte er doch den Kürzeren gezogen, wie das
der Fall seines Mitkämpfers bewiesen hat. Daß sie aber die anderen in die
Flucht geschlagen haben, wird ihn wohl mit Stolz erfüllt haben. Daß er sich
nicht unterkriegen läßt, ist mir wohl recht. Wenn ich daheim wäre, könnte ich
mich schon manchmal mit ihm herumbalgen. Seine Kampfgenossen sind ja die
richtigen Typen aus der Straße, aber ich habe keine Bedenken, denn er wird sich
schon behaupten, und er muß doch kein Muttersöhnchen werden. Seine guten Eigenschaften
werden sich wieder durchsetzen, wenn es vielleicht auch etwas ruhiger von Zeit
zu Zeit ist, ich denke, das sich das wieder gibt. Wenn er sieht, daß er mit dem
Richard fertig wird, macht er sich sicher bald an die Größeren ran. Er soll nur
zusehen, daß er nicht die Jacke voll kriegt.
Helgas Betätigung entspricht wieder ganz und gar ihrer Art. Die
Leseratte neigt schon immer dazu. Daß sie aber nun anfängt mit Prosa und
Poesie, setzt mich doch in Verwunderung. Erst macht sie sich eigene Märchen und
nun fängt sie an, Dich in Versen zu verherrlichen. Da macht sie aber noch mehr
wie ihr Vater. Daß gerade in diesem Alter die Phantasie vielleicht Schößlinge
zeigt, kann man ihr nicht verargen. Das ist auch das richtige Alter dazu. Man
muß sie gewähren lassen. Daß sie mit diesen Sachen nicht über das Ziel
hinausgeht, dafür sind ja wir Eltern da, um sie in die richtigen Bahnen zu
lenken. Dazu besteht auch kein Grund, daß man sie deshalb auslacht, denn Kinder
wollen genau so ernst genommen werden wie Erwachsene. Man muß ihnen das Gefühl
der Selbstsicherung nicht nehmen. Daß Du das selbst weißt und Du danach
handelst, weiß ich genau, und ich brauche Dir auch keine Belehrungen erteilen.
Du sollst aus meinen Zeilen nur sehen, daß ich mit Dir einer Meinung bin. Daß
Kurt in seiner früheren Einheit in Karlsruhe ist, habe ich mir gedacht. Er wird
dann auch Gelegenheit gehabt haben, die Familie Frick in Blankenloch
aufzusuchen. Denn da kann er ja mit der Straßenbahn fast bis hinaus fahren. Nun
wird er sicher bei Euch sein, um sich zu erholen. Die wenigen Tage soll er sich
nur die ruhe gönnen, denn wie bald wird es dann wieder heißen, ohne Tritt
Marsch. Hoffentlich kommt er nicht gleich wieder in den Schlamassel hinein. Für
die Grüße von Vater danke ich , ich lasse sie erwidern. An Kurt richte
ebenfalls wieder Grüße aus. Wegen des
Geldes nach Frankreich hatte ich Dir wohl schon geschrieben. Du schreibst an
die Dienststelle der Feldpostnummer O1402 X (neue Nummer), auf der Rückseite
des Abschnitts vermerkst Du: mit der Bitte um Weiterleitung an ....., so wurde
mir das gesagt. Ein fester Betrag bestand noch nicht, aber ich wollte erst
einmal 70 RM übersenden. Den Rest hätte ich dann schon noch geregelt. Es wären
nach meiner Schätzung dann immer noch 80 RM schuldig, die ich aber auf andere
Art regeln wollte. Wenn Du noch keine Antwort hast, dann versuche es einmal
so. Heute schreibe ich Dir einmal mit
Luftfeldpost. Zwei Marken für Dich lege ich mit bei. Wenn Du mir schreibst,
mußt Du genau so unterstreichen und den ganzen Umschlag wie einen Eilbrief mit
Rotstift durchstreichen. Ich wollte, daß Du bald wieder eine Antwort
zwischendurch bekommst, denn inzwischen hast Du Nachricht von dem von einem
Kameraden mitgenommenen Brief erhalten.
Ich grü0ße Dich und die Kinder vielmals und sende Dir sowie den Kindern
viele Küsse. Dein Ernst.
Mein liebes, bestes Mädel ! 15.6.42
Auch den gestrigen Sonntag habe ich wieder hinter mir.
Nachdem Mittagessen habe ich nur kurz die Zeitung gelesen. Dann erfuhr ich, daß
unser Spieß mit den Pferden mit der Kutsche etwas in die Gegend fährt, um die
Pferde zu bewegen. Da habe ich mich dann gleich beteiligt. Wir sind dann stolz
durch die „Stadt“ gefahren. Eine ganze
Weile habe ich das Pferd selbst geführt., damit ich das auch ein bißchen lerne.
Es ist zwar nicht schwer, aber man muß Gefühl dafür haben. Der Nachmittag war
dann bald vorbei und das Neue hat mir Spaß gemacht. Am Abend war dann der
übliche Kinobesuch, der uns stark gekürzt wurde, indem der Kulturfilm nur halb gezeigt
wurde und der Hauptfilm, den ich schon in Frankreich gesehen hatte, nach einer
Weile nicht mehr weitergespielt werden konnte, weil die Apparatur nicht mehr
mitmachte. Da waren wir bald wieder daheim. Mit solchen Zwischenfällen muß man
aber rechnen. Aus Bernburg erhielt ich,
wie ich Dir gestern schon mitteilte, wieder Nachricht und aus Gramsdorf auch.
Meine Anfrage in Gramsdorf konnte nicht beantwortet werden, doch wurde mir
zufällig das Sterbedatum der Dorothea Plake mitgeteilt. Ich habe abr dort noch andere Sachen
nachzufragen, vielleicht kann ich dort von den anderen Linien erfahren und aus
der Hauptlinie soll ich ja ebenfalls in Gramsdorf nochmals nachfragen. Aus
Bernburg bekam ich zwei Urkunden. Eine aus der Linie Böttcher und eine weitere
aus der Linie Hedecke. Die letzte Urkunde scheint aber nicht richtig zu sein.
Ich muß jedenfalls nochmals nachfragen. Die Urkunden, die ich schon vorher
bekommen hatte, sende ich Dir zur Aufbewahrung mit zu. Habe ich schon einmal
irgendwohin eine Anfrage gerichtet wegen des Sterbedatums der Henriette Brose.
Mir ist es so in Erinnerung, als hätte ich eine Antwort bekommen, sonach das
bis jetzt noch nicht feststellbar war. An wen ich die Anfrage richtete, weiß
ich zwar heute nicht mehr. Da ich nicht alle Unterlagen hier habe, ist das
alles wohl etwas erschwert, aber ich denke, daß ich mich durchfinden werde.
Diesen Brief kann ich einem Urlauber wieder mitgeben. Es hat darum wenig Wert,
wenn ich den heute mit zur Post gebe. Ich denke, daß Du nicht gar zu sehr auseinander
die Post bekommst. Du hast aber auch nichts dagegen, wenn Du einmal etwas eher
Nachricht von mir bekommst als unter den „normalen“ Verhältnissen. Diese
Gelegenheit muß man hier ausnützen.
Hier müßte man das Kleinkalibergewehr da haben, dann könnte man von den
Krähen, die hier in Unmassen leben, allerhand abschießen. In Frankreich hat man
nur im Hof herumballern müssen, da hat man nicht den richtigen Spaß daran
gehabt. Aufgefallen ist mir hier schon
öfter, daß außer den Volksdeutschen viele Landeseinwohner die deutsche Sprache
beherrschen. Viele, die hier Passierscheine schon geholt haben, sprachen
deutsch. Wenn man sich erkundigt, wie es kommt, daß sie deutsch sprechen und wo
sie das gelernt haben, mußte man meist hören, daß sie dies hier in den Schulen
gelernt hatten. Wenn hier jemand eine achtklassige Schule besucht hat, dann
lernt er meist eine Fremdsprache. Früher war dies Französisch und auch
Englisch, Längere Jahre vor dem Kriege wurde dann vorwiegend Deutsch gelernt.
Hier ist auf unserer Telefonvermittlung eine frühere Deutsche, die vor rund 20
Jahren mit einem Russen nach hier gegangen ist, tätig. Die war als
Deutschlehrerin an einer Schule tätig. Die galt nun als besonders intelligent,
weil sie etwas mehr konnte wie die anderen Einwohner. Man kann sich nur
wundern, wie sich ein Mensch aus Liebe zu einem anderen so umstellen und dies
alles auf sich nehmen kann. Aber in diesen Dingen kann man eben nicht rein
verstandesmäßig urteilen. Die Frau ist jetzt alleinstehend, denn ihr Mann
verunglückte vor Jahren. Sie muß ihren Kindern, die zum Teil noch nicht
volljährig sind, immer noch Hilfe sein. Wie die Leute aber durch den Umgang
schon die verschiedenen Eigenheiten des Volkes hier angenommen haben und genau
keine Ansprüche weiter an das Leben stellen, kann einem nur wundern. Da sind
die vielen Jahre des vergangenen Systems nicht spurlos vorübergegangen. Dir und den Kindern sende ich viele Grüße
und ebenso viele Küsse. Dein Ernst.
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