Donnerstag, 1. Juni 2017

Brief 264 vom 28.5.1942


Mein liebstes Mädel !                                                       28.5.42
Das war heute aber ein reicher Postsegen. Erstens bekam ich Dein Buch, das Du in der adresselosen Zeit geschrieben hattest. Dann noch die Briefe vom 8. Außerdem erhielt ich einen Brief von Kurt, eine Karte von Deinem Vater und ein Schreiben aus Marburg, wo ich eine Auskunft verlangt hatte. Das ist aber noch nicht alles, denn 9 Päckchen, die Du fertiggemacht hattest sind ebenfalls mit eingetroffen.
Von der SA bekam ich noch eine Zeitung zugesandt. Da kann man doch nur davon reden, daß  man bei so viel Post verwöhnt wird. Ich werde es aber alles verdauen. Glaube mir, daß es mir eine große Freude war, als mir das heute früh auf dem Tisch ausgebreitet wurde. Die Briefe und die Karte habe ich gelesen. Die Päckchen werde ich erst über Mittag auspacken. Die Briefe werde ich Dir nach und nach beantworten , denn es gibt doch auf verschiedenes zu antworten, was dann auf einmal zuviel wäre. 
Die Post nach Frankreich hattest Du ja rechtzeitig abstoppen können. Mir war es recht so, denn ich habe das nicht gern, wenn so Briefe auf dem Geschäftszimmer herumfahren und dann wieder zurückgeschickt werden müssen.
Es freut mich zu lesen, daß Du Dir wenigstens ab und zu eine Kinovorführung ansiehst, denn sonst kommst Du ja ganz und gar aus dem, was so passiert, heraus.  Daß die Kinder dann gern mitgehen, kann ich mir gut vorstellen. 
Da sehe ich Vater so vor mir, wenn er Dir hat den Fisch mitbesorgen können. Denn darauf war er doch gewiß stolz. Es war Dir ja sicher auch eine Abwechslung, nachdem man Fisch so selten bei Euch bekommt. Mit der Übersendung des Verwundetenabzeichens ist das ja schnell gegangen. Das ist alles ganz gut und schön, aber Hauptsache wird sein, daß für Kurt für sein späteres Leben keine nachteiligen Folgen entstehen. Wie ich aus seinem heutigen Brief ersehe, hat die Heilung der großen Wunde keine schnellen Fortschritte gemacht.
Hast Du Dich nicht gewundert, als ich Dir mitteilte, daß ich keinen Käse mehr bekommen hatte und dann kamen zwei Schachteln an. Ich nehme an, daß Du sie gern in Empfang genommen hast. Denn die beiden Kisten hatten ein schönes Gewicht.
Wahrscheinlich wirst Du diese beiden Schachteln mit zur stillen Reserve getan haben. Man muß ja immer wieder was zum Ausgleich haben. Wenn es auch nicht gerade mehr die Friedensware ist, so stopft es doch immer wieder einmal ein Loch zu.
Gefreut habe ich mich, daß Dir Wittenburg so schnell geantwortet hat und Dir mitteilen konnte, daß die Päckchen bereits abgegangen seien. Daß nun alle eingetroffen sind und bis auf zwei Apfelsinen nichts weiter verdorben war, ist mir eine Beruhigung. Daß Du alles zweckentsprechend verarbeiten wirst, darüber brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Ich bin nur immer wieder froh gewesen, daß ich dies alles für Euch noch habe kaufen können.
Schade ist, daß es jetzt nicht mehr möglich ist. Das Geld spielte ja dabei die kleinste Rolle, denn in erster Linie kommt heute die Verpflegung. Ich sehe ja, was das ausmacht, wenn man hier richtig satt wird und wie es dort war, daß man sich unbedingt etwas dazu kaufen mußte, damit man satt wurde. Ich habe hier etwa 35 Eier, die ich Euch gern zukommen lassen würde, aber dies einem drei bis vierwöchigen Transport überlassen, das scheint mir doch zu gewagt. Ich werde sie hier für mich mit verwenden.
Etwas anderes habe ich aber für Dich schon in die Wege geleitet. Ich bekomme wahrscheinlich in den nächsten Tagen 5 kg Mehl, die ich Dir zugehen lassen werde. Es ist nicht viel, aber ich denke, daß Du schon Verwendung dafür hast.  Es freut mich, daß ich habe feststellen können, daß Dich alle meine Briefe, die ich unterwegs teilweise Bahnbeamten und Rot-Kreuz-Schwestern anvertraut hatte, eingetroffen sind. Manchmal hatte ich Bedenken, aber ich habe feststellen müssen, daß sie unbegründet waren.
In Leipzig hatte ich keine Urlaubsmarken abgegeben, denn Erna wollte erst keine haben und dann merkte ich, daß sie in dieser Hinsicht nicht knapp dran sind, weil ihr Siegfried, wie sie mir ausdrücklich sagte, immer wieder aushilft. Darum habe ich mir auch groß keine Gedanken deshalb gemacht. Für heute muß es genug sein. Morgen werde ich wieder etwas aus Deinen Briefen beantworten. Recht herzliche Grüße und ebenso viele Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst

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