Donnerstag, 1. Juni 2017

Brief 267 vom 31.5.1942


Mein liebster Schatz !                                                  31.5.42

Ich komme schon ganz außer der Reihe, Heute habe ich schon wieder Post bekommen. Man muß sich erst daran gewöhnen, so viele Nachrichten zu verdauen, wenn man bisher nichts erhielt und jetzt geht auf einmal soviel ein. Von Siegfried erhielt ich noch eine Karte, in der er mitteilt, daß er wieder Post von mir erwartet. Inzwischen hatte ich ihm ja geschrieben, so daß sich das Schreiben mit der Karte gekreuzt hat.
Für Deinen Brief vom 17. danke ich Dir aber erst einmal herzlich. Ich habe daraus gelesen, daß wir Dir zum Muttertag eine Freude bereitet haben. Die Kinder durch ihre Aufmerksamkeiten und ich durch die Überraschung mit den Blumen. Als ich in Deinem anderen Schreiben las, daß  außer dem Flieder noch andere Blumen dabei waren. Es freut mich, daß das ordentlich gemacht war. Auch die Post war diesmal auf Draht.  Daß mein Brief rechtzeitig eintraf hat mir gezeigt, daß alles richtig eingeleitet war. Ich hätte gern noch etwas anderes getan, aber das ist ja jetzt alles so schwer, besonderes zu bekommen.  Die Kinder hatten sich feste Mühe gegeben. Ich muß mich nur immer wieder wundern, wie selbständig sie schon handeln. Auch mit ihren Schreiben und mit der Malerei werden sie Dir wieder gezeigt haben, wie gern sie Dich haben. Ich hätte gerne alles miterlebt, das ist schade, daß man da nicht mit dabei sein kann. Für das gemalte Herz danke ich Helga vielmals. Wie hat sie denn das gemacht. Das ist ja ganz nett.
Daß Du Dir zur Feier des Tages eine Tafel Schokolade genommen hast, ist schon in Ordnung, denn diese Sachen sind ja sehr dünn gesät. Auch Vater hat Deiner gedacht, was doch sehr aufmerksam von ihm ist.
Auf den Brief von Siegfried bin ich gespannt. Daß sich das Fräulein bei uns in Konstanz einfinden wollte, ist wohl nicht notwendig. Ich sehe jedenfalls aus Deinen früheren Schreiben, daß Du Dich dabei mehr aufregen würdest, als ich das für Deine Gesundheit verantworten kann. Wenn Dein Vater ein derartiges Ansinnen noch hat, so werde ich ihm das ganz unverhohlen mitteilen.
Für die gesandte Zeitung danke ich Dir ebenfalls, denn die traf gestern auch noch ein. Du brauchst sie ein andermal nicht so fest verkleben, denn sonst geht sie entzwei, wenn ich sie auseinander mache.
Nun will ich wieder auf die älteren Brief eingehen. Daß Du die Kinder wieder mit neuen Sachen versehen hast, ist mir eine Beruhigung und ihnen wird es eine Freude gewesen sein. Ja ich sehe immer wieder, daß die Sachen erstens  ergänzt werden müssen und daß das Alte eben auch einmal verschleißt. Daß die Kauferei jetzt nicht leicht ist, kann ich mir vorstellen. Aber daß Dein Bedarf bis jetzt noch groß war, sieht man am besten aus Deinen Kleiderkarten.  Deine Ansicht über meine Schilderung der letzten Stunden in Frankreich stimmt wohl zum großen Teil. Man sieht das alles mit anderen Augen an, wie man es anfänglich erst gemerkt und gefühlt hat. Daß sich alles in einem anderen Licht zeigte beim Verlassen des Landes, mag mir symbolhaft sein. Symbolhaft insofern, als die Vergangenheit immer schöner erscheint als die Gegenwart. Jetzt ist es aber tatsächlich so, daß die Gegenwart noch schlimmere Verhältnisse aufzeigt, wie sie in Frankreich schon waren, ganz zu schweigen von den Zuständen, die so geordnet sind bei uns in Deutschland. In Frankreich gab es außer den ganz armen Leuten auch noch Leute, die etwas besser bei Kasse waren und dann die Reichen. Hier hat der Bolschewismus alles gleich gemacht, hier ist alles arm.
Am schlechtesten sind ja wieder die dran, die aus ihren Wohngebieten flüchten mußten. Man kann nicht beschreiben, wie schlecht diese Leute aussehen. Vater und Mutter ziehen einen selbst zusammengebauten zweirädrigen Karren über die Landstraße, auf dem meist einige kleine Kinder sitzen und je nach Alter der Eltern einige weitere hinterherlaufen. Es ist ein Bild des Elends. Auf der Landstraße spielt sich das ganze Familienleben ab. Die Menschen sind gegen alles abgestumpft, auch gegen die regelmäßige Arbeit. Wichtig ist, daß es nur zum Leben reicht für den Tag, den man vor sich hat, das andere wird sich schon finden.  Man hat hier aber auch wenig Empfinden für den anderen. Man erwartet es aber immer von deutschen Soldaten. Hier kommt es nicht darauf an, ob da ein Stück Vieh auf der Landstraße umfällt, oder ob das ein Mensch ist, das spielt hier keine Rolle. In dieser Beziehung finde ich keine Parallelen zum dem, was ich von Deutschland kenne und was ich in Frankreich gesehen habe. Darum scheint mir heute auch alles besser, was ich bisher erlebt habe.  Das ändern wir aber nicht in so kurzer Zeit. Wir werden eben nach und nach wieder aufbauen.  Herzlich grüße ich Dich und die Kinder. Dir sende ich recht viele Küsse. Dein Ernst.

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