Donnerstag, 1. Juni 2017

Brief 265 vom 29.5.1942


Mein liebes Mädel !                                                      29.5.42

Nachdem ich erst gestern soviel Post bekommen hatte, trafen heute überraschenderweise drei weitere Briefe von Dir ein. Es waren die vom 14.15. und 16. Daß ich darüber sehr erfreut war, kannst Du Dir wohl vorstellen. Wenn man jetzt wieder laufend seine Post bekommt, so ist es mir, als hätte ich erst jetzt wieder Anschluß an die Heimat gefunden und es scheint nicht mehr alles so weit zu sein.
Ich kann Dir sagen, daß das keine Kleinigkeit war, wochenlang ohne Post zu sein. Wenn das nun nicht so weitergeht, daß wir jeden Tag Post erhalten, dann habe ich doch die Gewißheit, daß ziemlich an jedem Posttag etwas für mich dabei ist. Man muß den Verhältnissen entsprechend seine Ansprüche einrichten und zurückschrauben.
Ehe ich aber auf etwas anderes eingehe, muß ich die Angelegenheit wegen Deines Vaters nochmals anschneiden. Was Dein Vater an uns beide geschrieben hat, will ich nicht im einzelnen behandeln und zerpflücken. Daß ihm das Schreiben nicht leicht gefallen ist, sieht man aus seinem ganzen Schreiben. Am Anfang war alles ziemlich überlegt, dann nach der Mitte zu behandelt er alles so wie es sonst seine Art ist und am Ende streift er ein wenig das, was uns ja erst zu unserer Stellungnahme veranlaßt hat. Wenn ich aber alles zusammenfassen soll, kann ich nur eines sagen, es ist die Stellungnahme eines Menschen zu dieser Angelegenheit, der in erster Linie immer an sich gedacht hat solange er gelebt hat. Daß es nun nicht mehr so weitergeht, wie das bisher der Fall war, das will ihm nicht in den Sinn. Daß andere auch recht haben, auch gegen ihn, das will er nicht einsehen. Darum kann er wegen mir schreiben, er ließe sich nichts hereinreden, denn er sei ein freier Mann. Ich habe deswegen doch diesen Standpunkt. Ich sehe nicht ein, daß ich mich nur dem Willen eines egoistischen Menschen immer unterordnen soll. Was die Stellungnahme Siegfrieds Frau gegenüber anbelangt, so kann ich mir wohl vorstellen, daß er sich mit ihr nicht so aussprechen kann wie mit Mama das möglich war, doch sie ist ja schließlich auch nur seine Schwiegertochter. Daß er das Mädchen früher oder später heiraten will, soll uns schließlich gleich sein, nachdem wir ihm unsere Stellungnahme zu der ganzen Angelegenheit geschrieben haben. Daß ihm die Mutter dieses Mädchens gegenwärtig noch im Weg ist, kann uns auch nicht groß interessieren. Ich habe mich auch darum über Deine kurze und sachliche Stellungnahme, die Du in Deinem letzten Brief an ihn zum Ausdruck gebracht hast, gefreut. Dein Schreiben ist ganz in Ordnung. Ich billige es in jedem Punkte. Ich selbst werde dazu nichts mehr schreiben und Dich bitte ich, rege Dich nicht mehr um eine Sache auf, deren Lauf wir nicht aufhalten können und nicht aufhalten wollen. Wir haben das getan, was wir tun mussten. Wir haben einen Versuch unternommen, ihn auf seine Handlungsweise, die nicht richtig ist, aufmerksam zu machen. Wenn er es nicht sehen und einsehen will, muß er es sein lassen. Es hat mir sehr leid getan, daß Du mit der Sache so gequält wirst, aber Du hast ganz recht, Du beißt Dich schon wieder durch. 
Es hat mich darum gefreut, als ich von Dir heute schon die Nachricht bekam, daß mein Strauß zum Muttertag rechtzeitig abgegeben wurde. Daß er die gewollte Überraschung und Freude ausgelöst hat, ist mir ein Zeichen, daß ich es richtig gemacht habe. Denn ich will einmal sagen, was hätte Dir in diesem Falle das Geld gesagt? Nichts!
Jedenfalls würde es nicht die allgemeine Freude hervorgerufen haben, wie sie nun eingetreten ist. Denn die Kinder scheinen auch ganz erfreut gewesen zu sein.  Seht Ihr, so lohnt sich das immer wieder doppelt und dreifach.  Erst die Spannung, die ich hier habe bis es klappt, dann die Freude bei Euch und dann die Genugtuung für mich, daß alles geklappt hat. Was will man eigentlich noch mehr für sein Geld. 
Daß nun Helga sich schon so hauswirtschaftlich betätigt, setzt mich einigermaßen in Verwunderung, aber diesen Ehrgeiz hat sie offenbar von ihrer Mutter. Meinst Du nicht auch. Ich freue mich sehr, daß sie sich solche Mühe gibt und daß sie sich Gedanken macht, wie sie Dir einesteils behilflich sein kann und wie sie Dir damit eine Freude machen kann. Über den Muttertag selbst werde ich ja in Deinem nächsten Brief lesen.
Was die Butterdose anbelangt, so ist sie nicht nötig. Ich hoffe, daß ich hier eine von der Einheit bekomme. Lasse also bitte Deine Nachforschungen deshalb sein. Hast du eigentlich einmal die von mir mitgeschickten Stiefel anprobiert? Wenn sie Dir passen, kannst Du sie behalten. Wie ich Dir ja schon einmal mitteilte, sind sie mir etwas zu klein.  Herzlich  grüße und küsse ich Dich und die Kinder. Dein Ernst 
Schicke mir doch bitte nochmals eine Abschrift des Prüfungsscheines von meinem letztjährigen Kurses mit, soviel ich weiß, ist sogar eine beglaubigte Abschrift vorhanden. 

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