Donnerstag, 1. Juni 2017

Brief 262 vom 26.5.1942


Meine liebe Annie !                                                       26.5.42      
  
Die Feiertage, die für uns wieder keine Feiertage waren, sind hinter uns. Bei jeder Einheit ist etwas, was einem das Leben mit den Anderen nicht zu leicht werden läßt. Ich muß sagen, daß die Kameraden ganz nette Kerle sind, wenn ich auch mit ihnen nicht recht warm werde.
Das Essen ist, wie ich Dir schon oft geschrieben habe, in Ordnung. Aber wenn man hier den Dienst betrachtet, so könnte man über die Einstellung des Kommandanten öfter lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Das ist ein Mann, der noch in vergangenen Zeiten lebt und nun meint, mit den alten Anschauungen hört es zeitlebens nicht auf.
Der Mann kommt sonn- wie wochentags nachmittags auf sein Dienstzimmer. Nun meint dieser Mann, die anderen würden ihm zu Gefallen auch hier sitzen und nun warten, bis die Arbeit auf den Tisch geflattert kommt. Dabei vergißt er, daß wir wochentags meist schon bald fertig sind, wenn er erst wieder anfängt und an einem Feiertag will man sich auch etwas Entspannung gönnen, wenn die Leistung einer Arbeit nicht unbedingt nötig ist.
Gestern beispielsweise mußte ich gleich nach dem Mittagessen eine große Sache von unserem Kriegsverwaltungsrat entgegennehmen. Ihm zu Gefallen habe ich sie auch noch schreiben sollen, da war der halbe Nachmittag schon fast vorbei. Ich habe die Sachen aber erst heute fertiggemacht und er mußte damit auch zufrieden sein. Ich war gestern kaum wieder daheim, als es telefonierte, daß mein Arbeitskamerad, der im gleichen Dienstgrad steht, sich sofort beim Obersten zu melden hätte. Den hat er angeschnauzt, weil von uns keiner auf der Dienststelle war.  Unseren Chef hat er dann auch noch auf die Kommandantur bestellt und das alles wegen einer Kleinigkeit. Ja, das sind die Launen eines alten Mannes.
Aber es ist schon so, etwas muß überall sein, damit es einem nicht zu wohl wird.  Uns passieren aber auch lustigere Dinge wie die vorher geschriebenen. Wir haben nette Haustiere. Nicht etwa das Du denkst, das seien Wanzen oder gar Läuse. Nein, mit so kleinem Zeug geben wir uns nicht ab. Aber ich muß Dir erst etwas vorausschicken.
Daß die Wasserverhältnisse hier nicht so einfach sind, habe ich Dir wohl schon einmal geschrieben. Für unsere Unterkunft haben wir jeden Tag eine Wanne, eine echte Badewanne, voll Wasser. Das reicht bei etwas Einteilung für einen Tag. Da schöpft sich jeder, wenn er etwas braucht, heraus und das verbrauchte Wasser, das kippt man dann in den Hof.  Fließendes Wasser gibt es nicht. Ob es früher hier welches gegeben hat, das hat mich bis jetzt noch nicht interessiert.
Doch nun zu unserem Haustier. Es gehört schon richtig mit zu unserer Einheit. Es war im gleichen Haus. Tagsüber ließ es sich selten sehen, dafür trieb es abends in seinem Zimmer meist sein Unwesen.  Denn daß es sich immer ganz ruhig verhält, kann man von einem frischen jungen Tier nicht verlangen. Unangenehm war nur, daß es sich meist die Nachtzeit zu solchem Spektakel aussuchte. Gut war, daß es sich meist in seinem Zimmer, also dem Raum, wo auch unser Bade- und Waschwasser stand, aufhielt. Es suchte wohl ab und zu einmal Unterschlupf in einem der Zimmer der Kameraden zu finden, doch das wurde meist von uns energisch zurückgewiesen. Nun weiß ich nicht, ist es die schlechte Behandlung durch uns oder dass es lebensmüde war, oder hatte es ein so großes Reinlichkeitsbedürfnis und verstand sich nicht darauf, jedenfalls heute früh lag sie ertrunken in unserer Badewanne, die Ratte. Du kannst Dir denken, jetzt herrscht große Trauer um diesen versoffenen Hausgenossen.  Zum Waschen bestand heute früh nicht gerade große Lust, nicht aus Traurigkeit, aber das Badewasser einer Ratte hat keine mehr benutzen wollen.
Gestern Abend war ich einmal im Kino. Zum soundsovielten Male habe ich mir „Ohm Krüger“ angesehen. Mir hat es diesmal besser gefallen wie die anderen Male, die ich ihn schon gesehen hatte. An was das gelegen hat, weiß ich zwar nicht.  Vielleicht muß man so einen Film öfter sehen, um ihn richtig zu verdauen. 
Herzliche Grüße und viele Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.

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