Meine
liebste Frau ! 18.6.42
Wenn
man keine Post bekommt und wenn sonst nicht passiert, muß man anfangen mit
Geschichtenschreiben. Es brauchen ja keine Märchen zu sein sondern Geschichten,
die sich so ereignen. Nun wirst Du denken, machen sich denn schon nach 8 Wochen
Rußland irgendwelche Störungen bemerkbar. Ich glaube, daß es noch nicht soweit
ist. Aber nun zur Sache, denn es gibt Dinge, die erst eine Entwicklung hinter
sich haben und die man während einer längeren Zeitdauer beobachten kann. So ist
dies auch mit unserem Radio, von dem ich Dir früher schon einmal schrieb. Als
ich hierher kam, fand ich einen Radioapparat vor, der sogar spielte. Der
Kamerad hatte ihn schon etliche hundert Kilometer mitgeschleppt und er war sein
großer Stolz. Ich selbst war ja auch überrascht und hatte sowas überhaupt nicht
vermutet. Nachdem ich mich also von der ersten Überraschung erholt hatte,
betrachtete ich mir dieses Ding näher. Der Kamerad wies mir alle Vorteile und
Vorzüge. Auch zu der Behauptung, daß diese Apparat wohl einem deutschen
gleichwertig wenn nicht sogar besser sei. Obwohl ich mich nicht so restlos
überzeugt fühlte, was er sicherlich auch an meinem Gesicht gesehen hatte, gab
ich mich doch zufrieden. Ich war stiller Teilhaber beim Hören geworden, was schließlich für mich das wichtigste war.
Doch mit dem Genießen sollte es nicht lange gehen. Die an sich schon kränkliche
Stimme des Apparats wurde immer schwächer und schwächer. Bis ich dann von einer
Dienstreise zurückkam schien es, als hätte er seinen letzten Seufzer
getan. Er machte also nicht mehr mit
und alles gute Zureden half nicht mehr. Was blieb uns also übrig, wir holten
einen Fachmann her. Der besah sich das
Ding und sagte, das ist nur eine Kleinigkeit, das werden wir bald haben. Die
Batterien, die unserem Zimmergenossen das Leben gaben, wurden mitgenommen um
wieder frische Energien aufzunehmen. Nach wenigen Tagen kam er wieder zurück
und sagte, das ist nicht so schlimm, er wird gleich wieder gehen. Ich weiß nun
nicht, war er mit unsere Behandlung nicht zufrieden, er hatte seinen eigenen
Sinn und machte eben doch nicht mehr mit. Es half auch kein Zureden, kein
Wechseln der Kontakte, kein Versetzen der Pole. Es war damit aus. Wir gaben
aber nicht nach, denn wir dachten, hilft gutes Zureden nicht, dann muß man mit
Gewalt nachhelfen . Ein anderer Fachmann wurde zu Rate gezogen. Der sagte, ja,
die Röhren sind entzwei, da ist nicht zu machen. Woher Röhren zu organisieren,
das ist das größte Kunststück. Alle gangbaren Wege wurden benutzt, als das
nichts half, wurden Kameraden beauftragt, von auswärts welche zu besorgen. Wir
glaubten schon fast nicht mehr daran, da trafen eines mittags zwei neue Röhren
ein. Ein neuer Versuch wurde unternommen. Es ging wieder nicht, denn es sollte
wieder am Akku liegen. Auch eine Aufladung des Akkus half nichts, trotz der
neuen Röhren und frisch aufgeladnem Akku und neuer Batterie wollte er nicht
mehr mitmachen. Wir mußte uns also mit
unserem schweigsam gewordenen Apparat zufrieden geben und auf bessere Zeiten
hoffen. Wir waren schon soweit, daß wir ihn als Zielscheibe zum Schießen
benutzen wollten. Aber unsere Ehrfurcht für die bisher geleistete Arbeit
hinderte uns an der Ausführung
unseres Planes. Er hat es uns aber auch nun gedankt. Seine Selbständigkeit hat
er nun zwar aufgegeben, denn er ist eine Abhängigkeitsverhältnis
eingegangen. Wir haben ihn an den
gemeinsamen Drahtfunk anschließen lassen.
Sowie in der Zentrale der Sender eingeschaltet wird, dann macht er nun
eifrig mit und spendet uns wieder fleißig Musik. Feinnervig muß man dabei nicht
sein, denn dann müßte man das Radiohören gleich wieder einstellen. Früh wird
man geweckt, ohne daß man etwas tut, fängt der Apparat an. Zu neuem Leben ist
er wieder erwacht und er tut willig seine Pflicht, wenn ihm dazu Gelegenheit
gegeben wird. In mancher Beziehung merkt man ihm aber seine russische
Abstammung an. Es fällt ihm manchmal schwer, das Deutsche und dann vor allem
deutschen Gesang zu übertragen. Es scheint, als ließen seine Gefühle das nicht
zu. Dann fängt er an zu schnarren und zu klicken, daß man ihn nicht so ganz
verstehen kann. Auf deutsche Dialekte hat er es dann ganz besonders abgesehen,
denn da überschlägt sich meist seine Stimme. Aber wenn man es im Guten mit ihm
versucht, macht er schon wieder weiter. Einen Ärger bekommt er, wenn man früh
so unhöflich ist und macht es wie meine Stubenkamerad, der die Ungehörigkeit
besitzt und dabei schnarcht. Da fängt er an un kreischen. Auf diese Art
erziehen wir uns gegenseitig, unser Apparat und wir. Heute habe ich Dir genug vorgesponnen. Sei vielmals gegrüßt und
recht herzlich geküßt von Deinem Ernst.
Meine
liebste Annie ! 20.6.42
Seit
dem 14. waren wir wieder ohne Post. Heute früh hat es wieder etwas gegeben.
Deine Briefe vom 2., 3. 4. 5. und 6. habe ich erhalten. Ich danke Dir vielmals
dafür. Der Marinesturm hat auch wieder etwas von sich hören lassen. Außerdem
kam noch das Päckchen mit den Inspiroltabletten und die 3 Päckchen Zeitungen.
Für alles danke ich Dir nochmals. Zu
Deinem ersten Brief, dem Du die Durchschriften an Erna und Deinen Vater
beigefügt hast, veranlasst mich zu einer ernsten Sorge um dich. Das ganze
Missverhältnis, das zwischen Dir, Deinem Vater und Siegfried entstanden ist,
und zwar nur wegen dem Frauenzimmer, kann in der Form nicht mehr weiter gehen.
Ich hatte erst die Absicht, den Brief an Deinen Vater nicht fertig zu
schreiben, und wie ich die Dinge nun aber sehe, gehen sie mich mehr an, wie es
mir scheinen wollte. Ich kann nicht zusehen und dabeistehen, wie Du Dich kaputt
machst, nur weil Dein Vater glaubt, seine Interessen vertreten und seinen
selbstsüchtigen Standpunkt durchzusetzen. ER soll machen was er will, aber ich
schreibe ihm, daß durch sein Verhalten alles eine ganz andere Form angenommen
hat, wie sie sich auch nicht hätte durchsetzen können, wenn er etwas weiter
gedacht hätte, als nur an sich. Wenn ihm die Gesundheit seiner eigenen Kinder
so wenig am Herzen liegt, dann lege auch ich keinen großen Wert auf die
Beziehungen zwischen uns allen. Du weißt, daß ich radikal Schluß machen kann
und mich auch auf niemanden stützen brauche. Ich habe das einmal gemacht und
ich denke, daß ich es ziemlich gründlich gemacht hatte. Die Beziehungen zu
Paula hatte ich jahrelang so gestaltet, daß sie uns heute fast noch weniger
bedeutet als eine fremde Person. Ich kann es auch in diesem Fall, damit wir
unsere Ruhe haben. Ich pressiere nicht mit meinem Schreiben, denn ich bin
gegenwärtig nicht in der richtigen Schreibstimmung. Ich werde es in einer Form
machen, die meinen Standpunkt unzweideutig klarstellt und daß ich keine Lust
habe, mich länger mit der Geschichte zu beschäftigen. Du bist mir für die
Familie wertvoller als der ganze Kram. Wenn es Deinem Vater nicht passt, dann
soll er es ändern, die Verantwortung trägt er selbst. Deine Ansicht und die
Stellungnahme wegen der Angelegenheit mit Erna ist durchaus richtig und Dein
Vater soll zusehen, wo er die Unterstützung herbekommt, wir mischen uns nicht
dazwischen. Bei der anderen Geschichte hat er uns doch auch nicht gefragt. Daß
er den Termin der Heirat schon auf den Herbst legen will und nicht, wie er mir
und auch Siegfried versprochen hat, nach dem Krieg, kann ich nicht so recht
vergessen. Ich denke, daß es Siegfried ebenso gehen wird. Daß er Dir gegenüber
sich seinerzeit auch anders geäußert hat, vergaß er auch ziemlich schnell. Ich
bitte Dich, mache Dir nicht allzu viel Gedanken über alles und wenn Du willst,
werde ich die Sache allein regeln. Daß Du für den Pelzmantel einen Schutzsack
gekauft hast, hat schon seinen Sinn, denn den ganzen Sommer über kannst Du ihn
doch nicht tragen und dann ist er wenigstens sicher untergebracht. Das
Auslüften ist dann schnell geschehen und macht wenig Mühe. Meine SAchen kann
ich ja doch nicht anziehen, dann hast Du doch nicht immer die Sorge damit, daß
sie zerfressen sein könnten. Für den mitgesandten Auszug danke ich Dir. Ich
werde sehen, was ich unternehme, wenn ich von Dir die anderen Sache geschickt
bekomme. Daß Kurt sich in Urlaub befunden
hat, freute mich. Doch auch nicht ganz ungetrübt. Als ich las, daß er nur 14
Tage Erholungsurlaub bekommen hat, und daß man ihm den Rest noch gestrichen
hat, das ist doch allerhand. Ich verstehe nicht, da man allgemein sonst 6
Wochen gibt. Daß er diesmal einmal mehr an sich gedacht hat, ist ganz in
Ordnung. Es ist ja ganz ungewiß, wie lange es dauern wird, bis er wieder einmal
nach hause kommt. Wenn er die wenigen Tage noch genossen hat, dann hat es mich
doppelt für ihn gefreut. Das Geld spielt ja sowieso keine Rolle, denn wenn er
wieder hier draußen sitzen muß, dann ist es aus mit der persönlichen Freiheit.
Daß die Verpflegung im Lazarett so schlecht war, habe ich auch bei meinem
kurzen Lazarettaufenthalt in Frankreich spüren müssen. Man konnte fast zu der
Auffassung kommen, daß das mit Absicht geschieht, damit man bald wieder
verschwindet. Herzliche Grüße und Küsse an Dich und die Kinder. Dein Ernst.
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