Sonntag, 18. Juni 2017

Brief 281 vom 18./20.6.1942


Meine liebste Frau !                                                  18.6.42   

Wenn man keine Post bekommt und wenn sonst nicht passiert, muß man anfangen mit Geschichtenschreiben. Es brauchen ja keine Märchen zu sein sondern Geschichten, die sich so ereignen. Nun wirst Du denken, machen sich denn schon nach 8 Wochen Rußland irgendwelche Störungen bemerkbar. Ich glaube, daß es noch nicht soweit ist. Aber nun zur Sache, denn es gibt Dinge, die erst eine Entwicklung hinter sich haben und die man während einer längeren Zeitdauer beobachten kann. So ist dies auch mit unserem Radio, von dem ich Dir früher schon einmal schrieb. Als ich hierher kam, fand ich einen Radioapparat vor, der sogar spielte. Der Kamerad hatte ihn schon etliche hundert Kilometer mitgeschleppt und er war sein großer Stolz. Ich selbst war ja auch überrascht und hatte sowas überhaupt nicht vermutet. Nachdem ich mich also von der ersten Überraschung erholt hatte, betrachtete ich mir dieses Ding näher. Der Kamerad wies mir alle Vorteile und Vorzüge. Auch zu der Behauptung, daß diese Apparat wohl einem deutschen gleichwertig wenn nicht sogar besser sei. Obwohl ich mich nicht so restlos überzeugt fühlte, was er sicherlich auch an meinem Gesicht gesehen hatte, gab ich mich doch zufrieden. Ich war stiller Teilhaber  beim Hören geworden, was schließlich für mich das wichtigste war. Doch mit dem Genießen sollte es nicht lange gehen. Die an sich schon kränkliche Stimme des Apparats wurde immer schwächer und schwächer. Bis ich dann von einer Dienstreise zurückkam schien es, als hätte er seinen letzten Seufzer getan.  Er machte also nicht mehr mit und alles gute Zureden half nicht mehr. Was blieb uns also übrig, wir holten einen Fachmann her.  Der besah sich das Ding und sagte, das ist nur eine Kleinigkeit, das werden wir bald haben. Die Batterien, die unserem Zimmergenossen das Leben gaben, wurden mitgenommen um wieder frische Energien aufzunehmen. Nach wenigen Tagen kam er wieder zurück und sagte, das ist nicht so schlimm, er wird gleich wieder gehen. Ich weiß nun nicht, war er mit unsere Behandlung nicht zufrieden, er hatte seinen eigenen Sinn und machte eben doch nicht mehr mit. Es half auch kein Zureden, kein Wechseln der Kontakte, kein Versetzen der Pole. Es war damit aus. Wir gaben aber nicht nach, denn wir dachten, hilft gutes Zureden nicht, dann muß man mit Gewalt nachhelfen . Ein anderer Fachmann wurde zu Rate gezogen. Der sagte, ja, die Röhren sind entzwei, da ist nicht zu machen. Woher Röhren zu organisieren, das ist das größte Kunststück. Alle gangbaren Wege wurden benutzt, als das nichts half, wurden Kameraden beauftragt, von auswärts welche zu besorgen. Wir glaubten schon fast nicht mehr daran, da trafen eines mittags zwei neue Röhren ein. Ein neuer Versuch wurde unternommen. Es ging wieder nicht, denn es sollte wieder am Akku liegen. Auch eine Aufladung des Akkus half nichts, trotz der neuen Röhren und frisch aufgeladnem Akku und neuer Batterie wollte er nicht mehr mitmachen.  Wir mußte uns also mit unserem schweigsam gewordenen Apparat zufrieden geben und auf bessere Zeiten hoffen. Wir waren schon soweit, daß wir ihn als Zielscheibe zum Schießen benutzen wollten. Aber unsere Ehrfurcht für die bisher geleistete Arbeit hinderte uns    an der Ausführung unseres Planes. Er hat es uns aber auch nun gedankt. Seine Selbständigkeit hat er nun zwar aufgegeben, denn er ist eine Abhängigkeitsverhältnis eingegangen.  Wir haben ihn an den gemeinsamen Drahtfunk anschließen lassen.  Sowie in der Zentrale der Sender eingeschaltet wird, dann macht er nun eifrig mit und spendet uns wieder fleißig Musik. Feinnervig muß man dabei nicht sein, denn dann müßte man das Radiohören gleich wieder einstellen. Früh wird man geweckt, ohne daß man etwas tut, fängt der Apparat an. Zu neuem Leben ist er wieder erwacht und er tut willig seine Pflicht, wenn ihm dazu Gelegenheit gegeben wird. In mancher Beziehung merkt man ihm aber seine russische Abstammung an. Es fällt ihm manchmal schwer, das Deutsche und dann vor allem deutschen Gesang zu übertragen. Es scheint, als ließen seine Gefühle das nicht zu. Dann fängt er an zu schnarren und zu klicken, daß man ihn nicht so ganz verstehen kann. Auf deutsche Dialekte hat er es dann ganz besonders abgesehen, denn da überschlägt sich meist seine Stimme. Aber wenn man es im Guten mit ihm versucht, macht er schon wieder weiter. Einen Ärger bekommt er, wenn man früh so unhöflich ist und macht es wie meine Stubenkamerad, der die Ungehörigkeit besitzt und dabei schnarcht. Da fängt er an un kreischen. Auf diese Art erziehen wir uns gegenseitig, unser Apparat und wir.  Heute habe ich Dir genug vorgesponnen. Sei vielmals gegrüßt und recht herzlich geküßt von Deinem Ernst.

Meine liebste Annie !                                                        20.6.42  
 
Seit dem 14. waren wir wieder ohne Post. Heute früh hat es wieder etwas gegeben. Deine Briefe vom 2., 3. 4. 5. und 6. habe ich erhalten. Ich danke Dir vielmals dafür. Der Marinesturm hat auch wieder etwas von sich hören lassen. Außerdem kam noch das Päckchen mit den Inspiroltabletten und die 3 Päckchen Zeitungen. Für alles danke ich Dir nochmals.  Zu Deinem ersten Brief, dem Du die Durchschriften an Erna und Deinen Vater beigefügt hast, veranlasst mich zu einer ernsten Sorge um dich. Das ganze Missverhältnis, das zwischen Dir, Deinem Vater und Siegfried entstanden ist, und zwar nur wegen dem Frauenzimmer, kann in der Form nicht mehr weiter gehen. Ich hatte erst die Absicht, den Brief an Deinen Vater nicht fertig zu schreiben, und wie ich die Dinge nun aber sehe, gehen sie mich mehr an, wie es mir scheinen wollte. Ich kann nicht zusehen und dabeistehen, wie Du Dich kaputt machst, nur weil Dein Vater glaubt, seine Interessen vertreten und seinen selbstsüchtigen Standpunkt durchzusetzen. ER soll machen was er will, aber ich schreibe ihm, daß durch sein Verhalten alles eine ganz andere Form angenommen hat, wie sie sich auch nicht hätte durchsetzen können, wenn er etwas weiter gedacht hätte, als nur an sich. Wenn ihm die Gesundheit seiner eigenen Kinder so wenig am Herzen liegt, dann lege auch ich keinen großen Wert auf die Beziehungen zwischen uns allen. Du weißt, daß ich radikal Schluß machen kann und mich auch auf niemanden stützen brauche. Ich habe das einmal gemacht und ich denke, daß ich es ziemlich gründlich gemacht hatte. Die Beziehungen zu Paula hatte ich jahrelang so gestaltet, daß sie uns heute fast noch weniger bedeutet als eine fremde Person. Ich kann es auch in diesem Fall, damit wir unsere Ruhe haben. Ich pressiere nicht mit meinem Schreiben, denn ich bin gegenwärtig nicht in der richtigen Schreibstimmung. Ich werde es in einer Form machen, die meinen Standpunkt unzweideutig klarstellt und daß ich keine Lust habe, mich länger mit der Geschichte zu beschäftigen. Du bist mir für die Familie wertvoller als der ganze Kram. Wenn es Deinem Vater nicht passt, dann soll er es ändern, die Verantwortung trägt er selbst. Deine Ansicht und die Stellungnahme wegen der Angelegenheit mit Erna ist durchaus richtig und Dein Vater soll zusehen, wo er die Unterstützung herbekommt, wir mischen uns nicht dazwischen. Bei der anderen Geschichte hat er uns doch auch nicht gefragt. Daß er den Termin der Heirat schon auf den Herbst legen will und nicht, wie er mir und auch Siegfried versprochen hat, nach dem Krieg, kann ich nicht so recht vergessen. Ich denke, daß es Siegfried ebenso gehen wird. Daß er Dir gegenüber sich seinerzeit auch anders geäußert hat, vergaß er auch ziemlich schnell. Ich bitte Dich, mache Dir nicht allzu viel Gedanken über alles und wenn Du willst, werde ich die Sache allein regeln. Daß Du für den Pelzmantel einen Schutzsack gekauft hast, hat schon seinen Sinn, denn den ganzen Sommer über kannst Du ihn doch nicht tragen und dann ist er wenigstens sicher untergebracht. Das Auslüften ist dann schnell geschehen und macht wenig Mühe. Meine SAchen kann ich ja doch nicht anziehen, dann hast Du doch nicht immer die Sorge damit, daß sie zerfressen sein könnten. Für den mitgesandten Auszug danke ich Dir. Ich werde sehen, was ich unternehme, wenn ich von Dir die anderen Sache geschickt bekomme.  Daß Kurt sich in Urlaub befunden hat, freute mich. Doch auch nicht ganz ungetrübt. Als ich las, daß er nur 14 Tage Erholungsurlaub bekommen hat, und daß man ihm den Rest noch gestrichen hat, das ist doch allerhand. Ich verstehe nicht, da man allgemein sonst 6 Wochen gibt. Daß er diesmal einmal mehr an sich gedacht hat, ist ganz in Ordnung. Es ist ja ganz ungewiß, wie lange es dauern wird, bis er wieder einmal nach hause kommt. Wenn er die wenigen Tage noch genossen hat, dann hat es mich doppelt für ihn gefreut. Das Geld spielt ja sowieso keine Rolle, denn wenn er wieder hier draußen sitzen muß, dann ist es aus mit der persönlichen Freiheit. Daß die Verpflegung im Lazarett so schlecht war, habe ich auch bei meinem kurzen Lazarettaufenthalt in Frankreich spüren müssen. Man konnte fast zu der Auffassung kommen, daß das mit Absicht geschieht, damit man bald wieder verschwindet. Herzliche Grüße und Küsse an Dich und die Kinder. Dein Ernst.

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