Sonntag, 4. Juni 2017

Brief 270 vom 4.6.1942


Mein liebes, gutes Mädel !                                                     4.6.42         
   
Heute wurde ich mit reichlich Post überschüttet, worüber ich sehr erfreut war. Päckchen, Zeitungen und Briefe von Dir, dann ein Brief Deines Vaters, ein Brief und eine Karte in der Familienforschungssache und eine Postkarte von Alice.
Es trafen ein Deine Briefe vom 18., vom 19. und der mit den Blumen vom 20./21. und vom 22.5.
Wenn ich mich auch über alle freuen könnte, so macht mir eines doch Sorge und das ist die Sache mit Deinem Vater. Ich hatte erst die Absicht, nichts mehr von allem zu schreiben, doch durch die Art und Weise, wie Dein Vater das leidige Thema behandelt, tut er, wie wenn wir die Schuldigen wären. Ich billige in jeder Beziehung das, was Du geschrieben hast, denn wenn ich diesen Brief nochmals überlese, kann ich bei Ausschaltung einer Voreingenommenheit Dir gegenüber nichts feststellen, was irgendwie beleidigend sein könnte. Dein Schreiben ist offen und sachlich und entbehrt jeder Spitze ihm gegenüber.
Ich kann auch nicht verstehen, daß uns Dein Vater dieses Fräulein aufzwingen will.  Auch die Art, wie er am Rande uns gewissermaßen droht, daß er mit allen Schluß machen will, ist nicht dazu angebracht, die ganze Angelegenheit zu vereinfachen.
Auf sein Schreiben an mich  werde ich ihm in dieser Angelegenheit nochmals antworten und ihn bitten, daß er mit dieser Stellungnahme die ganze Sache für abgeschlossen betrachtet, denn ich habe den Eindruck, und das nach öfterem, wiederholtem Überlegen, daß dieses Fräulein ihm den Kopf schon so voll gemacht hat und ihm jetzt alles mögliche verspricht. Wie die Dinge jetzt  liegen, scheint ja alles schon soweit entschieden zu sein.
Ich bitte Dich aber, lasse den Dingen ihren Lauf, denn auch Siegfried hat sich entsprechend eingerichtet, wie ich aus seinem Schreiben lese. Wer von beiden die Schuld trägt, daß das Verhältnis zwischen Deinem Vater und Erna nicht mehr so ist, wollen und können wir nicht nachprüfen. Das ist auch nicht unsere Sache, ich kann mir aber denken, daß Erna sich auch schon Gedanken gemacht hat, wie es wird, wenn dieses Fräulein einmal in die Wohnung einrückt. Daß sie durch das Verhalten Deines Vaters gleichgültig werden kann, kann ich mir vorstellen.  Doch die Beweggründe dafür zu suchen, liegt ja nicht bei uns.
Daß es nicht schön ist, ihn von Fall zu Fall warten zu lassen, kann ich wohl verstehen, doch ich habe das Gefühl, als wenn das Fräulein da auch noch etwas nachhilft. Wie dem auch sei, ich dulde nicht, daß Dein Vater Dich durch seine Briefe in Gewissenskonflikte bringt. Du brauchst keine Angst zu haben, daß ich ihm etwa scharf schreibe, im Gegenteil, ich werde mich bemühen und rücksichtsvoll wie nur irgend möglich zu schreiben; wenn auch die Briefe Deines Vaters, alle, die ich bis jetzt in dieser Beziehung bekommen habe, nicht gerade von Rücksichtnahme auf den Empfänger strotzen. Hoffen wir, daß es möglich ist, diese Geschichte zu einem ordentlichen Abschluß zu bringen. 
Heute sende ich die Päckchen 4 und 5 an Euch ab. In dem einen sind 4 Tafeln Schokolade, die wir hier empfangen haben und die ich für Euch aufgehoben habe. Dann hatte ich auf meiner Dienstfahrt für Marschverpflegung 2 Käse bekommen, die habe ich ebenfalls mit eingepackt, weiterhin bekamen wir hier Fisch, den ich gleichfalls für Euch gedacht hatte. Für Vater sind einige Stumpen und Zigarren dabei. Den Zwiebelsamen habe ich auch gleich mitgesandt. Das ist alles. Hoffentlich kommt alles gut an, daß Ihr Eure Freude daran habt und auch mit verwerten könnt.
Nun wieder zu den letzten Briefen. Über die Möglichkeit, sich etwas auf der Messe zu kaufen, haben sich die Kinder sicher wieder gefreut und sie werden es auch mit Stolz getan haben. Dazu hat ja Vater auch noch verholfen. Der Messebetrieb ist ja jetzt nicht so groß, aber das geht nun einmal nicht im Kriege. Du fragst, warum ich jetzt die Feldflasche und die anderen Ausrüstungsgegenstände hier brauche und in Frankreich nicht.
Ja weißt Du Mädel, hier sind die Verhältnisse etwas anders. Man hat hier ja nichts zur Verfügung. In Frankreich gab es ein Bett und das dazu nötige Zeug. Es gab ordentliche Waschgelegenheiten, Eßgeschirr usw. usw.
Das fehlt hier alles. Hier muß man sich schon etwas militärisch einrichten.  Man muß hier ein Eßgeschirr und Besteck mitbringen bzw. verabfolgen lassen. Zeltbahn und Decken muß man haben, sonst läuft man Gefahr, eines Tages auf nacktem Boden schlafen zu müssen. Man weiß ja nicht, in welche Situation man kommen kann. Darum brauchst Du nicht gleich Angst zu bekommen. Aber es ist besser, man hat das, als wenn man im Bedarfsfalle ein langes Gesicht machen müßte. Es gibt hier nun auch einmal Überängstliche, die so übertreiben oder die sich hier wichtig machen wollen. Das ist aber alles sinnlos.
Auf die anderen Briefe gehe ich in den kommenden Tagen wieder ein. Herzlich grüße ich Dich und die Kinder. Halte Dich weiter gut und mache Dir keine Sorgen mehr in der Geschichte wegen Deines Vaters, denn es hat doch wenig Wert. Nimm aber recht viele herzliche Küsse entgegen von Deinem immer an Dich denkenden Ernst.

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