Sonntag, 4. Juni 2017

Brief 269 vom 3.6.1942


Meine liebe Annie !                                                            3.6.42     
 
Überraschend mußte ich gestern eine Dienstreise antreten, so daß ich nicht dazu kam, Dir zu schreiben. Unser Kriegsverwaltungsrat sprach schon kürzlich davon, daß ich wegen Fragen des Arbeitseinsatzes und der Arbeiterwerbung für Deutschland mit dem zuständigen Arbeitsamt sprechen sollte. Gestern gab sich gerade die Gelegenheit, daß ein Kraftwagen nach Lubenie (?) fuhr, das ist übrigens der Ort, wo ich kürzlich mit unserem Oberst schon war.  Man muß diese Gelegenheit ausnützen, denn sonst kommt man nicht so schnell vorwärts. Das habe ich bei meiner Heimreise gut feststellen können. Die Rückreise konnte ich gestern Nachmittag um 5 Uhr antreten und heute früh um 4 Uhr bin ich wieder hier eingetroffen. Die gleiche Fahrt hat mit dem Kraftwagen etwas über eine Stunde gedauert. In Bezug auf die Beförderung spielt Zeit hier keine Rolle. Wenn man hier so über Land fährt, gewinnt man den Eindruck, als erholt sich alles wieder nach und nach. Man merkt aber auch überall die ordnende Hand der Deutschen, die Straßen bekommen langsam das Aussehen, das man schlechthin erwarten kann.  Man sieht wohl am Straßenrand noch einmal ein Gerippe liegen von einem verwundeten Pferd oder einer verendeten Kuh. Doch im großen und ganzen wird alles soweit aufgeräumt. Die Kraftwagen, die auf der Strecke geblieben waren und nicht mehr verwendet werden konnten, sind so ziemlich ausgeschlachtet. Da bleibt nicht mehr viel abzutransportieren.
Das ist das gleiche Bild wie in Frankreich auch. Die Felder sind schon zum großen Teil bestellt und die Saat kommt schon heraus.  Das ist ja hier nicht so, daß man erst lange den Boden bearbeiten muß, damit überhaupt etwas wächst. Hier pflügt man den Boden um, sät aus und läßt das ganze festwalzen, dann ist die ganze Frühjahrsbestellung schon getan. Der Boden ist so fruchtbar, daß man sich nicht wundern braucht, daß die Leute hier so bequem sind. Es wächst den Leuten hier alles zu, es geht ja alles so mühelos. Die Erde hat keine Steine und ist ganz schwarz. Man macht auch nicht, wie bei uns, den Fruchtwechsel, sondern macht gedankenlos jahraus jahrein das selbe und denkt, es wird schon wachsen.
Ich habe dann gestern noch eine Weile im Soldatenheim in Lubie gesessen.  Dort saßen Kameraden und spielten Musik. Der eine sang dazu mit wirklich schöner Stimme „S‘ ist Feierabend“. Erst habe ich dabei wieder an Deine liebe Mutter denken müssen und an Dich im besonderen. Aber noch eine weitere Sache erlebte ich gestern, an der man feststellen konnte, wie klein die Welt ist. Wenn man auf der Reise mit anderen zusammenkommt, dann fragt man meist, aus welchem Landstrich sie in Deutschland kommen. So traf ich gestern bei der Fahrt mit einem Transportzug einen Soldaten, der einen auffallenden Klang in seiner Haltung und Sprache hatte, die darauf schließen ließen, daß er nicht weit von unserer Gegend sein kann. Er sagte mir dann auch auf meine Frage, daß er aus dem Allgäu und zwar aus der Bodenseegegend stamme. Als er mich dann fragte, ob ich Lindenberg kenne, konnte ich ihm  da mit einer Gegenfrage auf Alfred Seifert beantworten. Worauf er dann entgegnete, daß er ihn schon kenne, denn er sei ja verwandt mit ihm. Ist das nicht eigenartig? Die letzte Nacht verbrachte ich dann auf dem Bahnhofsgelände, weil ich mich nicht der Gefahr der Ratten, Läuse und anderen Ungeziefers aussetzen wollte. Es dauert aber doch lang, bis man so eine Nacht im Warteraum herumbringt.  Der Mond schien schön hell, die Sterne sahen herab, der Große Wagen, unser heimatliches Sternbild, grüßte und ließ mich an Euch denken. Gegen 2 Uhr fing dann der Tag schon an zu grauen und ½ 4 Uhr stand schon die Sonne am Himmel. 
Daß  Du noch einen Kofferschlüssel hattest, wußte ich nicht mehr genau, darum hatte ich Dir meinen Schlüssel  zugesandt. Daß alles gut angekommen ist, freut mich, vor allem, da Du Gelegenheit hattest, alles gleich zu versorgen. Es war noch ziemlich Wäsche, die ich drüben hatte. Hier habe ich ja nicht mehr viel dabei. Außer 3 eigene Hemden, 2 Paar eigenen Strümpfen und 3 Unterhosen, habe ich alles zu Dir geschickt, damit ich mich hier nicht unnötig belaste.
Mit meiner Ankunft hier weißt Du ja Bescheid. Das war nun nicht ganz so schlimm wie es bei Euch scheinen konnte, denn von der Schneeschmelze habe ich nicht mehr viel gemerkt. Es waren im Verhältnis nur wenige Tage, die ich hier mit kaltem Wetter erlebt habe.  Jetzt ist es ja schwül und fast hochsommerlich, die Sonne meint es sehr gut und mit Gewitter wird auch nicht gespart. Gestern und vorgestern hat es ziemlich gewittert. Das muß aber auch sein.
Die Erkältung haben die Kinder auch wieder gut hinter sich gebracht.  Man ist immer wieder froh, wenn es weiter nichts Ernstliches ist.  An sich ist es aber ein gutes Zeichen ihres Gesundheitszustands, daß sie alles so gut überhauen. Sie verhalten sich ja meist auch brav, wenn sie etwas haben. Das hilft selbstverständlich  auch die Arbeit dabei erleichtern. Daß Du wieder eigene Früchte aus dem Garten holen kannst, wie beispielsweise Rharbarber, das ist Dir wieder so das richtige. Ich sehe Dich im Geiste im Garten, wie Du wieder erntest. Der Kuchen wird sicher wieder geschmeckt haben.
Über die Arten der Maikäfer war ich noch nicht unterrichtet. Daß es Schornsteinfeger dabei gibt, ist mir neu. Bei uns gab es nur gewöhnliche Maikäfer und Könige. Hier habe ich nur die letzteren gesehen. Wahrscheinlich kommt das daher, daß man hier vor Jahren die Monarchen und Adlige abgesetzt hat. Daß sich Helga nicht fürchtet, sie anzufassen, ist schon gut, denn ich weiß, wie Du immer darunter zu leiden hast. Daß das ja etwas besser ist, ist mir auch eine gewisse Beruhigung. Es ist nur gut, daß es die Viecher nicht das ganze Jahr über gibt. Daß ich mich gefreut hatte, daß Du mir unter der mutmaßlichen Feldpostnummer einen Brief geschickt hast, teilte ich Dir schon seinerzeit mit. Es war schon richtig, daß Du es gemacht hattest.
Die Karte von Wittenburg sende ich Dir heute wieder mit zurück. Ebenso einen Brief der Stadt., der gleichzeitig ein Schreiben von Rickert enthielt, der es mit seiner Tätigkeit sehr wichtig nimmt. Manchmal möchte ich das auch so machen können, wie diese Leute. Dann ist noch ein Brief dabei aus Marburg, der von mir irrtümlich dorthin gerichtet wurde. Ich merkte diesen Irrtum erst später, habe darum diesem Schreiben seinen Lauf gelassen.  Jetzt habe ich so ziemlich alles aus Deinem großen Brief beantwortet. Es sind noch einige kleine Sachen aus anderen Schreiben, die ich morgen mit erledigen werde. Ich hoffe zwar, daß ich morgen wieder Post von Dir bekomme. Heute grüßt und küßt Dich recht herzlich und die Kinder. Dein Ernst.

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