Sonntag, 18. Juni 2017

Brief 278 vom 12./13.6.1942


Mein liebes Mädel !                                                12.6.42    

In den vergangenen zwei Tagen ist bei uns Post verteilt worden, aber außer den drei Zeitungspäckchen, die Du am 31. weggeschickt hast, habe ich heute nichts erhalten. Auch sonstige Post traf nicht ein. Dafür wird bei der nächsten Post umso mehr dabei sein.
Wie das hier mit unserem Dienst so ist, habe ich Dir bis jetzt noch nicht mitgeteilt. Früh ist im allgemeinen um 7 Uhr Wecken.  Sehr oft stehe ich schon früher auf, denn, wie ich Dir schon schrieb, ist es ja hier schon so zeitig hell. Es ist nur gut, daß wir eine Verdunklung vor den Fenstern haben, sonst würde man durch die Helle noch viel eher munter werden. Um 8 Uhr ist Dienstanfang, der dann bis 1 Uhr geht. Bis vor kurzer Zeit hatten wir von 12 bis 2 Uhr Mittag. Jetzt ist die Mittagspause auf die Zeit von 1 bis ½ 4 Uhr verlegt und damit um eine halbe Stunde verlängert worden. Abends geht der Dienst bis ½ 7 Uhr, anschließend geht man dann zum Essen nachdem man sich daheim noch einmal frisch gemacht hat. Meist ist es dann ½ 8 Uhr, bis man dann an sich selbst denken kann. Am Samstag geht der Dienst auch erst seit letzter Woche bis ½ 6 Uhr abends. Man ist uns also eine ganze Stunde entgegengekommen und läßt uns jetzt eine Stunde eher gehen. Am Sonntag geht der Dienst bis mittags ein Uhr und dann haben wir den ganzen Nachmittag frei. Wir sind hier mehr eingespannt wie im Westen, aber schließlich müssen wir uns fügen, wenn auch manchmal keine Arbeit für diese ausgedehnte Arbeitszeit vorhanden ist. Ich kann über meinen Vorgesetzten bestimmt nicht klagen. Die Erfahrungen, die ich bis jetzt mit ihm gemacht habe, ließen mich bald das Gegenteil behaupten. Gestern sagte er zu mir „Ich bin froh, daß sie da sind“ und zwar ganz unvermittelt oder daß ich ihm eine besondere Veranlassung dazu gegeben hätte. Du weißt aber, daß ich bei irgendeinem Lob immer sehr skeptisch bin, weil manche Menschen auch Launen unterliegen und bei meiner vorhergehenden Dienststelle hatte ich auch eine trübe Erfahrung machen müssen. Der Mann ist zwar hier in seinen Anschauungen gereifter und verläßlicher. Ich bedaure deshalb, daß er uns wahrscheinlich schon in nächster Zeit verlassen wird. Was dann wieder nachkommt, weiß man nicht.  Was nun die Papiere anbelangt, die ich wegen meiner Anstellung von Dir verlangte, so kann das schon stimmen, was Dur mir in Deinem Schreiben angeführt hattest. Ich weiß aber nicht mehr genau, waren in den vorhergegangenen Schreiben noch andere Anlässe angeführt, die sich auf die Anstellung stützen. Bevor ich meine Zusage zum Übertritt in die Beamtenlaufbahn gab, wurden meines Wissens in den Schreiben der Stadt an mich verschiedene Bestimmungen eingezogen, die sich auf den Werdegang beziehen. Lies doch das bitte noch einmal durch und soweit es sich um etwas anderes handelt und soweit es von Bedeutung sein könnte, kannst Du mir davon Abschrift fertigen und über die Bestimmungen erkundigen. Wie ich Dir schon schrieb, will ich wieder einmal einen Vorstoß unternehmen, sobald das möglich ist. Wie sich das machen läßt, muß ich dann erst einmal sehen.  Daß ich nun nach vor einem Jahr abgelegter Prüfung ewig den Assessor bei der Stadt spiele, das kommt wohl kaum in Frage. Da ich keine Möglichkeit habe, meine Kräfte wie andere in der Heimat einzusetzen und die dafür noch befördert werden, ist ja nicht meine Schuld. Ich will aber erst jetzt abwarten, wie die Bestimmungen lauten und was man daraufhin unternehmen kann. Für die gesandten Zeitungen danke ich Dir vielmals. Ich werde sie mir nach und nach vornehmen. Deinem Vater werde ich also, wie ich Dir schon schrieb, „Das Reich“ auferlegen. Dann brauchst Du mir das nicht mehr schicken. Wegen der Rundschau habe ich Dir schon Bescheid gegeben. Ich hoffe, daß Ihr gesund seid, denn ich müßte mir sonst Gedanken machen. Ich glaube aber, daß das nicht notwendig sein wird. An Vater und an Kurt richte bitte Grüße aus. Ihr selbst seid aber recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

Meine liebste Annie !                                                   13.6.42 
    
Etwas mehr wie eine Woche trennen uns von dem Jahrestag, an dem Deutschland in den Krieg mit Rußland eintrat. Ich erinnere mich noch gut, wie wir an dem Sonntagmorgen in Frankreich die Proklamation des Führers im Radio mit anhörten, und wie man dann mit Spannung in den darauf folgenden Tagen auf die ersten Ergebnisse wartete. Welche Ausmaße und welche Härte die Kämpfe annehmen würden, konnte man sich damals nicht so leicht vorstellen. Bei der Stärke unserer Wehrmacht und deren Schlagkraft hatte man sich das anfänglich anders vorgestellt. Daß wir auf Sicherung gekämpft haben, leuchtet jedem jetzt ein, nachdem man die tatsächliche Stärke des Gegners hat zu spüren bekommen. Ein Winter liegt nun wieder hinter uns, der für mich nun nicht so hart war wie für die Kameraden, die schon seit Anfang dabei sind. Vor einem Jahr hätte ich mir das jedenfalls nicht räumen lassen, daß ich einige tausend Kilometer weiter östlich sein werde. Wir warten weiter, bis es wieder vorwärts geht. Von der Heimat geht es zwar immer weiter weg, aber dem Ende kommen wir damit bedeutend näher.  Von der Antwort aus Großrosenburg hatte ich Dir wohl noch nicht geschrieben. Die konnten mir nichts weiter angeben. Sie haben nochmals das Geburtsdatum der Dorothea Wahrlich mit dem 12.5.1740 festgestellt. Weitere Neuigkeiten gab es dort also nicht. Es wurde mir noch geschrieben, daß ich mich nach Gramsdorf wenden sollte, wenn ich Weiteres wissen wollte. Wie er nun darauf kommt, daß ich mich wieder nach Gramsdorf wenden soll, kann ich mir noch nicht erklären. Sobald ich auf meinen anderen Brief aus Gramsdorf Antwort habe, werde ich wieder dorthin schreiben. Die anderen haben nur immer das geschickt, was ich speziell angefordert hatte. Meine Anfrage ging aber noch darüber hinaus. Da haben die Brüder offenbar Angst gehabt, daß sie ihr Geld nicht bekommen, wenn sie mehr leisten. Ich habe ja gleich wieder geschrieben. Jetzt will ich sehen, was sich dann weiter ergibt. Diesen Spaß kann ich mir ja jetzt leisten, denn mein Geld kann ich doch nicht so brauchen, wie in Frankreich, weil die Verpflegung ausreichend ist., und weil man hier nirgends hingehen kann. Einkäufe kann man nicht machen, das habe ich Dir schon wiederholt mitgeteilt, so daß ich tatsächlich Geld für diese Zwecke übrig habe. Wenn man sich auch ab und zu ein paar Eier kauft, so fällt das nicht weiter ins Gewicht.  Gestern habe ich, wie ich Dir schon angekündigt hatte, von Wodka Eiercognac gemacht. Ich hatte sogar etwas Zucker bekommen, so daß ich dies schon entsprechend probieren konnte. Ich habe extra den besseren Wodka für Dich genommen. Für jede Flasche habe ich 7 ½ Eier genommen. Es sind mehr Eier drin wie Alkohol. Der Alkoholgehalt ist fast unbedeutend. Schätzungsweise 20%. Wenn Du den trinkst, schadet Dir das bestimmt nicht. Du wirst noch etwas Zucker dazutun müssen. Wenn Du etwas Schokolade hineinreibst und vielleicht etwas Vanillinzucker nimmst, bekommt das noch einen besseren Geschmack. Die Eier sind alle frisch, Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, daß es etwa nicht genießbar wäre. Ich denke, daß der Alkohol die Eier drin vor dem Verderben schützt.  Probiere einmal und teile mir bald Deine Meinung darüber mit.  Wenn Du den Kindern noch etwas Milch dazu gibst, können sogar die Kinder das trinken. Weil ich gerade Schokolade mit erwähnte, muß ich Dir noch mitteilen, daß ich wohl wieder eine Tafel für Euch zurückgelegt habe. Kürzlich wurde aber eine halbe Tafel zugeteilt, die habe ich zwischendurch gegessen. Wenn ich aber wieder welche erhalte, dann gehört die selbstverständlich Euch.  Ich weiß wohl, daß Du nicht darauf wartest, aber wenn ich sie Euch schicken kann, dann macht Ihr mir eine Freude damit, denn man hat hier doch nichts weiter. Du weißt ja, daß mir sonst nichts fehlt.  Morgen ist sicherlich wieder Posttag. Ich hoffe, von Dir wieder Nachricht zu bekommen. Man muß sich mit dem Warten hier einrichten. Recht herzliche Grüße und viele Küsse sendet Dir und den Kindern Dein immer an Dich denkender Ernst.

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