Freitag, 9. Juni 2017

Brief 271 vom 5.6.1942


Meine liebste Annie !                                                                           5.6.42        
 
Bevor ich mich an die Beantwortung des ganzen gestrigen Postsegens mache, will ich Dir erst einmal kurz von gestern hier berichten. Unser Oberrat hat uns gestern Abend, also den anderen Assistenten und mich, zu sich eingeladen. Ich fand das sehr nett von ihm. Er hat dann eigens zu diesem Besuch seine Flasche Benediktiner geöffnet, die eigentlich erst für einen anderen Zweck gedacht war. Wenn man sonst hier nichts weiter hat als die Arbeit, dann freut man sich, wenn man sich nett unterhalten kann und dabei auch etwas Angenehmes zu trinken bekommt. Wir sind sogar über den Zapfenstreich ausgeblieben, was hier im allgemeinen nicht so einfach ist, wie das in Frankreich der Fall war. 
Heute komme ich erst am Abend dazu, Dir weiter zu schreiben, was bis jetzt immer im Dienst so nebenher möglich war. Ich bin aber gegenwärtig so mit Arbeit zugedeckt, daß mir die Zeit nicht mehr reicht. Man hat mir noch mehr Sachen übertragen, doch jetzt muß ich einmal Halt sagen, sonst wird es zuviel.
Neben der Bearbeitung der Steuern, die mein Vorgänger ausschließlich allein bearbeitet hat, habe ich jetzt noch die Arbeitertransporte nach Deutschland, dann Erfassung der Handwerker und die weitere Behandlung und Durchführung der Verordnungen, dann Überwachung der Druckereien. Es ist viel damit zu tun, aber der Tag geht wenigstens dabei herum.
Mit dem Schuhausbessern hast Du auch immer wieder Deine Arbeit. Die Kinder sind immer fleißig, damit die Sachen kaputtgehen. Aber auch mit dem Garten kommst Du in Bezug auf Arbeit nicht zu kurz. Tomaten hast du nun auch gesetzt; hoffentlich bekommt Ihr dann auch entsprechend eine große Ernte.
Daß Jörg so das Zeug verkitscht zeugt ja davon, daß er ziemlich lebhaft ist, doch es ist schon gut, daß Du ihn dabei etwas überwachst, denn alles soll er nun nicht vertauschen, sonst führt das zu weit. Die Zankangelegenheit wegen der Gardinen ist schon ärgerlich, ebenso mit dem Schwer. Die Brüder sollten sich doch einmal jahrelang hier draußen herumdrücken müssen, dauernd weg von ihrer Familie, dann wollten wir einmal sehen, wie sie ihre Schnauze verreißen würden. Aber ich sage mir, wir haben uns dafür angestrengt, bis wir das erreicht haben, was jetzt daheim ist.  Daß es immer wieder Neider gibt, das kann man nun einmal nicht ändern. Wir für unseren Teil haben uns immer bemüht, anderen das neidlos zu lassen, was sie hatten. Am besten ist es wohl, man hört nicht darauf, denn wenn man diese Leute gerichtlich belangen will, kommt man doch nicht zu dem Ziel, daß sie ihre Schnauze für immer halten, und man hätte nur noch die Kosten und den Ärger dazu. Darum ist es am besten, man läßt die Leute ganz beiseite liegen und sieht sie nicht. Bei dem Geisteszustand und der Primitivität dieser Menschen kann man da nicht viel anderes verlangen, aber machen wir es deshalb umgekehrt wie sie es wollen, freuen wir uns über ihren Ärger, denn das ist uns ein Zeichen dafür, daß wir unsere Sachen in Ordnung haben.
Die Schrift von Helga unter den Briefen ist nicht gerade schön. Schreibt sie denn auf Linien besser und liegt es nur daran, daß sie noch nicht das richtige Größenverhältnis zueinander herausbekommt. Es sieht alles so wacklig aus. Du brauchst ihr es nicht zu sagen, wenn es bei ihren Arbeiten nicht der Fall ist, denn ich weiß, daß sie sich dann grämt. Daß sie aber mit ihren Grüßen mir eine Freude gemacht hat, kannst Du ihnen beiden sagen. 
Für Feuerzeugsteine danke ich Dir recht herzlich. Bis jetzt habe ich sie noch nicht umgewechselt, denn ich will nicht besonders darauf ausgehen. Bis jetzt habe ich gerade noch genug Eier bekommen. Heute Abend habe ich für ein Stückchen Briot vier Eier bekommen, damit leide ich keinen Mangel. Ich werde schon noch Verwendung dafür haben, darauf kannst Du Dich verlassen. 
Die Geschichte mit meiner Beurteilung ist schon eigenartig, doch wenn ich mir das alles nochmals durch den Kopf gehen lasse, so komme ich immer wieder zu dem Ergebnis, daß alles nur persönlicher Haß war, anders kann ich es mir nicht erklären. 
Die Abschriften der Familienforschung „Michel“ habe ich auch erhalten. Ich danke Dir dafür. Ob mir das aber so reicht, weiß ich noch nicht, darüber werde ich in den nächsten Tagen schreiben, teilweise habe ich schon Antworten von den Pfarrämtern erhalten. Wenn Dein Vater die Sachen, die er noch hat, nicht herausgibt, können wir es, so leid es mir darum tun würde, auch nicht ändern.
Für das übersandte Besteck danke ich Dir recht vielmals. Jetzt kann man doch wieder richtig essen. Mit diesem kombinierten Löffel-Gabel-Instrument geht es so zur Not, doch es geht entschieden besser so, da alles nichtrostend ist.  Hast Du schön gemacht, denn man muß sonst so Obacht geben. Das geht manchmal nicht immer so wie man möchte. Wegen der Butterdose hatte ich Dir ja schon geschrieben, daß Du diese nicht mehr kaufen brauchst. 
Wegen der Radioröhren für unseren Apparat muß ich Dir mitteilen, daß ich diese nicht mehr kaufen konnte. Ich glaubte, ich hätte das schon getan. Du kannst aber einmal, soweit das möglich ist, die Nummern und Bestimmungen, die auf diese Röhren aufgedruckt sind, feststellen. Ich werde dann versuchen, mir diese beschaffen zu lassen. Besser ist es schon, wenn noch Ersatzröhren vorhanden sind. Du mußt eben zusehen, wie sich das machen läßt.
Eines bitte ich Dich heute nochmals. Bei den Zeitungssendungen brauchst Du nicht soviel Kleberei zu machen, denn ich zerreiße mir dadurch meist immer die Zeitungen. Daß Du mir gleich für einen Monat die Zeitung bestellt hast, ist wirklich nett, aber mir genügt es schon, wenn ich ab und zu eine von Konstanz bekomme. Es muß nicht sein, daß ich sie laufend erhalte.
Für die anderen Zeitungssendungen ebenfalls herzlichen Dank. Da habe ich wieder etwas zu tun. Für die gesandten Postkarten danke ich Dir ebenfalls. Sie prangen schon über meinem Bett. Da habe ich sie immer vor mir, wenn ich bei uns in der Unterkunft bin.
Daß Ihr an Deinem Ehrentag etwas besser gelebt habt, das kann ich nur verstehen. Wenn Ihr dauernd Eure Lebensweise besser gestalten würdet, hätte ich auch nichts dagegen, wenn es Euch nur die Karten erlauben würden. Daß Du Deine Freude immer an der eigenen Ernte hast, ist auch mir immer wieder eine Freude. Vor allem, wenn ich bedenke, daß wir den Garten noch vor dem Kriege uns zugelegt hatten. Der Ertrag aus dem kleinen Garten hinter dem Haus ist eben doch nicht so groß, daß man den großen Bedarf selbst decken kann. Durch die Erweiterung hast Du doch wieder ein schönes Stück gewonnen, denn dort wird es sicher gut wachsen.  Freie Zeit gönnst Du Dir aber so gut wie gar nicht. Wenn Du nicht im Garten zu tun hast, dann springst Du mit den Kindern in den Wald, um noch Zapfen zu suchen oder Tee zu holen. Ich weiß wohl, daß das unseren früheren Gepflogenheiten entspricht, ich will aber nicht haben, daß Du Dich kaputt machst. Ich will Dich immer und immer wieder mahnen, das Du für uns da bist und Dich auch entsprechend halten mußt, daß Du uns gesund bleibst. Wenn Du aber Freude an den Waldgängen hast, dann mache sie bitte weiter, ich will Dir nur nichts in den Weg legen.
Daß Ihr die Beobachtung im Wald machen konntet, ist ja auch interessant für die Kinder gewesen. Wenn man diese Sachen in der Natur sieht, prägt sich das viel besser ein, wie wenn sie ihr Wissen aus Schulbüchern allein sammeln müssen.
Für die mitgesandten Grüße aus dem Wald danke ich Euch recht herzlich. Der Waldmeister duftet jetzt noch ganz stark.  Warm muß es doch einmal werden. Man meint aber immer, es muß erst eine längere Übergangszeit kommen. Wenn aber der Winter solange angehalten hat, dann hält die Übergangszeit nicht in der Ausdehnung an. Hier ist das ja ganz besonders krass. Hier war es noch längere Zeit kalt und dann war auf einmal der Frühling da, der aber gleich eine Wärme mitbrachte, die schon stark an den Sommer gemahnt.
Daß die Kinder jetzt barfuß laufen, ist ja auch eine gewisse Entlastung für Dich, denn jetzt brauchen sie dann nicht so viele Schuhe und die Reparaturen fallen dann auch nicht so in dem Maße an. Daß sich Jörg so selbständig betätigt und sich Verschiedenes selbst baut, macht mir Spaß, das regt ihn doch immer wieder an. Wenn er aber bei den Soldatenspielen so viel schießen muß, dann werden seine Zündplättchen bald alle sein. 
Als ich die Antwort auf meinen Bericht von der Dienstreise erhielt, war ich schon wieder auf Dienstreise in den gleichen Ort. Man merkt dann erst, wie lange eigentlich die Post braucht, bis sie hin und her befördert ist.
Daß Kurt aus dem Lazarett entlassen wird, ist ja nach seinen Äußerungen über den Zeitpunkt der Genesung, an der Zeit gewesen. Ich hoffe und wünsche es ihm von Herzen, daß er nun einige Wochen sich erholen darf und nach Konstanz kommen kann.  Daß die Wunde aber immer noch nicht zu ist, bedauere ich sehr, denn ich denke mir, daß er teilweise hat ziemlich viel mitmachen müssen. Nur daß er es nicht schreibt. 
Heute habe ich wieder genügend geschrieben. Ich mußte aber einmal mehr schreiben, damit ich mit der Beantwortung nachkomme. Jetzt habe ich wieder einige Wünsche. Kannst Du mir vielleicht bei Gelegenheit eine Kerze mitsenden, denn man kann sie einmal brauchen, wenn das Licht ausgeht. Ich weiß nicht genau, habe ich schon um Rasierklingen gebeten. Wenn nicht , dann kaufe doch einmal welche, aber nicht zu teure.
Herzlich grüße und küsse ich Dich und bitte Dich , den anderen ebenfalls herzliche Grüße zu bestellen. Viele Küsse sendet Dir außerdem nochmals Dein Ernst.

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