Mein
liebes, gutes Mädel !
27.3.43
Soeben habe ich unserer Helga auf ihren letzten Brief geantwortet. Das ist wieder einmal ein Brief von lauter Vögeln geworden. Ganz unwillkürlich habe ich mit dem Spatz angefangen und daran hat sich dann ein ganzer Teil anderer Gattungen angeschlossen. Durchschlag für Dich liegt ja wieder bei. Auf diese Weise bleibt man ja auch gedanklich mit den Kindern zusammen. Schön ist ja, daß sie schon all das verstehen, was man schreibt. Ich habe mit Absicht nur an Helga geschrieben, damit Jörg von sich aus den Ansporn zum eigenen Schreiben wieder bekommen soll. Es hat keinen Zweck, ihn dazu zu treiben. Es ist klar, dazu hat er zuviel Leben in sich, als daß ihm das draußen herumspringen mehr Freude macht, wie das In der Stube sitzen. Was unseren Dienst und vor allem unsere Dienststelle anbelangt, so kann man sagen, daß alles im Fluss ist. Besser wäre wohl gesagt, es ist eine Stromschnelle. Es geht so durcheinander und so viele neue Situationen ergeben sich. Erst sollten wir doch ganz auffliegen. Dann sollten wir auseinandergerissen werden. Dann sollten wir geschlossen wieder woanders eingesetzt werden.
Dann gab es noch verschiedene kleine Zwischenlösungen, die man nicht mehr weiter beachtete und dann hieß es zuletzt, daß unser Chef mit einem Oberinspektor allein wegkommen würde und seit gestern ist die Lage nun so, daß unser Chef jetzt wieder hier bleibt. Das scheint wohl nun endgültig zu sein. Denn der Mann, der ihn hier ablösen sollte, kommt nun an die Stelle, an die er hinsollte. Viel Lärm um nichts, könnte man da sagen. Als auch für mich damals der Fall einer Umsiedlung einzutreten schien, musste ich mir auch Gedanken machen, was man dann alles mitnehmen muß, um an der neuen Dienststelle einigermaßen als Mensch wieder leben zu können. Ich kam zu der für hiesige Verhältnisse zwar nicht sehr erstaunliche Feststellung, daß dazu schon allerhand nötig ist. Man kann hier nicht so reisen wie bei uns in Westeuropa. Von dem üblichen Waschbedarf kann man ja ganz absehen. Wenn ich aber vergleiche, mit wie wenig Sachen ich nach Frankreich reiste. Das hätte ich hier nicht wagen dürfen.
Wenn es nicht darum wäre, daß man es selbst transportieren muß, dann müßte man mit dem Bett anfangen. Das ist ja ohne weiteres günstig, als man es zusammenklappen kann, so daß es nur eine Fläche ist. Bei einem Gemeinschaftsumzug lädt man sämtliche Betten auf einen LKW, dann geht das. Aber den Strohsack, den muß man auf alle Fälle mitnehmen. Dann vor allem zwei Decken. Wenn man es hat, dann Bettbezüge.
Es sieht schon etwas menschlicher aus. Das ist dann aber erst nur das Schlafen, was man dann hat. Das Schanzzeug, das heißt auf gut deutsch, Messer, Gabel und Löffel, braucht man auf alle Fälle wie auch das Kochgeschirr und die Feldflasche. Wenn man das nicht hat, ist man ein einsamer Wanderer in der Wüste. Die Waschschüssel ist ein sehr wichtiger Artikel. Die hütet man wie einen Augapfel. Kaufen kann man diese Dinge hier nicht, und auf Kammer liegen diese Sachen nicht. Wenn man nicht ganz verkommen will, sollte man noch etwas bei sich haben, womit man sich die ab und zu vorhandene Freizeit vertreiben kann. Bei kleineren Einheiten ist meist nichts vorhanden.
Weder etwas zum Lesen noch ein Spiel oder sonst etwas. Hier geht es ja noch. Wenn jemand eigenes Geschirr hat, dann gilt er schon als vornehm. Es handelt sich ja nicht allein darum, daß man es besitzt, aber man muß doch diesen Kram immer selbst schleppen, wenn man einmal herausgerissen wird. Fürs erste wäre ja diese Gefahr gebannt. Ja, da siehst Du, was man so für Sorgen hier hat. Es sind zwar noch verschiedene andere Kleinigkeiten. Aber das sind immerhin die, die gleich ins Auge fallen. Heute habe ich nun noch das Pfarramt in Groß-Rosenburg angeschrieben. Jetzt habe ich an alle Stellen geschrieben, von denen ich noch etwas in der Ahnensache anfordern kann.
An Nannie habe ich gerade auch noch geschrieben. Ich will sie auch nicht solange auf Antwort warten lassen. Damit bin ich wirklich aller Briefschulden ledig. Ich grüße Dich recht herzlich und küsse Dich sehr fest, wobei ich Dich fest an mich drücke.
Dein Ernst.
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